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GEFAHR/020: Brandsatz Fukushima - Zugedeckt ... (SB)


Starker Grundwasseranstieg am Akw Fukushima Daiichi

Betreibergesellschaft Tepco "kämpft" mit Plastikplanen gegen zusätzliche Verstrahlung des Meeres

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Dem Kuroshio sei Dank, dürften sich die Betreiber des havarierten Atomkraftwerks Fukushima-Daiichi sagen, denn er spült das radioaktive Grundwasser schneller weg, als es nachfließen kann ...

Beim Kuroshio handelt es sich um einen Meeresstrom, der von Süden kommend an der Ostküste Japans entlangfließt und dabei eine beachtliche Geschwindigkeit an den Tag legt. Die Meeresströmung verfrachtet unvorstellbare Mengen an radioaktiven Teilchen in die Weiten und Tiefen des Pazifischen Ozeans, so daß sich die Radioaktivität weder im Hafenbecken des Akw Fukushima-Daiichi noch unmittelbar vor der Küste, in der traditionell Fischfang betrieben wird, im größeren Ausmaß ansammelt. Seit der Zerstörung von vier der sechs Meiler dieses Akws auf der japanischen Hauptinsel Honshu am 11. März 2011 durch ein Erdbeben und einen Tsunami dringen jeden Tag schätzungsweise 300 bis 400 Tonnen radioaktiv kontaminiertes Grundwasser aus dem Meeresboden und reichern den Pazifik immer mehr mit Radionukliden an.

Das Akw war auf einem unterirdischen Fluß errichtet worden, der nun, nachdem die Betonfundamente der Reaktoren zerstört sind, teils in die Gebäude eindringt, sich dort mit dem Löschwasser vermischt, das zur Kühlung der Kernschmelzbereiche eingespeist wird, und dabei radioaktiv auflädt, bevor er unterirdisch weiter ins Meer fließt.

Die Abschätzung von 300 bis 400 Tonnen ist womöglich geschönt, denn so genau läßt sich ein solcher Grundwasserstrom nicht messen. Aufgrund eines aktuellen Anlasses dürfte jedenfalls die Menge sogar noch zugenommen haben, denn der Taifun "Malakas" hat zunächst über dem Süden Japans enorme Niederschlagsmengen abgeregnet, ist vor der Küste nach Norden gezogen, zu einem tropischen Tiefdruckgebiet abgeschwächt, aber hat es auf dem Akw-Standort noch kräftig regnen lassen. Dadurch ist das Grundwasser auf dem Gelände angeschwollen und hat zeitweise ein höheres Niveau als die oberste Bodenschicht erreicht. Wie die Zeitung Asahi Shimbun meldete [1], hatte sich einen Tag lang ein Brunnen unterhalb des Reaktors 1 bis zum Rand gefüllt. Weil der Brunnen über eine Betoneinfassung verfügt, ist angeblich kein verstrahltes Grundwasser oberflächlich ins Meer geflossen. Tepco-Arbeiter hatten vergeblich versucht, den Anstieg des Grundwassers mit Hilfe provisorisch installierter Pumpen zu senken.

Zudem wurde der Schutzwall zum Meer mit Plastikplanen zugedeckt, damit das radioaktive Wasser nicht ins Hafenbecken läuft. Wer jemals versucht hat, fließendes Wasser mit Plastikplanen aufzuhalten, dürfte dabei festgestellt haben, daß das nicht zuverlässig funktioniert, selbst wenn die Plane mit Sandsäcken beschwert wird. Erstens quillt immer ein Teil des Wassers unter der Folie hindurch, zweitens baut man mit der Plane eine regelrechte Schußbahn für das Wasser, das dann zu den Seiten hin ausweicht.

Wenn laut Tepco im Hafenbecken keine erhöhten Strahlenwerte gemessen wurden, sagt das noch nicht viel. Denn nimmt man die bisherige (Des-)Informationspolitik des Unternehmens zum Maßstab, könnte so eine Aussage vieles bedeuten, beispielsweise daß

- man die Meßstelle so gewählt hat, daß garantiert keine erhöhten Werte festgestellt werden,

- das verstrahlte Wasser noch gar nicht die Zeit hatte, das Hafenbecken zu erreichen,

- das Hafenbecken bereits hochgradig verstrahlt ist, aber von diesem Niveau aus dann keine erhöhten Werte registriert wurden,

- man die Arbeiter mit ungeeigneten Meßgeräten ausgestattet hat, damit sie die relevanten Radionuklide auf keinen Fall erfassen,

- der Meeresstrom entlang der Küste dafür sorgt, daß das Hafenbecken, obgleich scheinbar weitreichend abgeschottet, regelmäßig freigespült wird.

Malakas war nicht der erste Taifun in diesem Jahr, bei dessen Zug über Japan hinweg größere Regenmengen auf dem Akw-Betriebsgelände und in der landseitig erhöhten Umgebung abgeladen wurden. Zwischen dem 1. August und 20. September wurden auf dem Akw-Standort 575 Millimeter Niederschlag registriert. Ist dieser Wert schon hoch, so wird er den Messungen in der Präfektur Miyazaki zufolge noch deutlich übertroffen. Dort waren binnen 24 Stunden 578 Millimeter Niederschlag gefallen. [2]

Daß nun der ganze Boden weitgehend wassergetränkt ist, erhöht die Gefahr, daß Radioaktivität aus tieferen Schichten aufgeschwemmt wird. Eigentlich hätte man die Erde viel tiefer abgraben müssen, wollte man so etwas verhindern, aber das wäre nicht gegangen. Schon heute türmen sich an zahlreichen Sammelstellen große, schwarze Kunststoffsäcke, in denen verstrahltes Erdreich, Blätter, Zweige und anderes Material gelagert wird.

Der regensatte Boden könnte sogar dazu führen, daß die maroden Fundamente der Meiler nachgeben und es zu unerwarteten Versetzungen an den Gebäuden kommt. Außerdem wurden auf dem Gelände dicht an dicht mehr als 1000 große Tanks errichtet, in denen verstrahltes Wasser gesammelt wird, um es später durch eine der Dekontaminationsanlagen zu schleusen. Danach darf es immer noch nicht in den Pazifik geleitet, sondern muß in weiteren Tanks gelagert werden, da das radioaktive Tritium bislang nicht herausgefiltert werden kann. Diese Tanks üben in ihrer Gesamtheit eine enorme Gewichtsbelastung auf den Boden aus, der ähnlich wie bei den Gebäuden aufweichen und nachgeben könnte. Nur weil es dazu bisher nicht gekommen ist, den Schluß zu ziehen, daß so ein Szenario nicht eintreten könnte, wäre voreilig.

Die japanischen Liquidatoren, die auf Kosten ihrer Gesundheit die Aufräumarbeiten erledigen, sind die ersten, die durch den Anstieg des Grundwasserpegels gefährdet sind. Sie können sich nicht darauf verlassen, daß die einst dekontaminierten oder als weniger stark verstrahlt ausgemessenen Stellen heute noch genauso begehbar sind wie vor einer Woche. Womöglich drangen mit dem Grundwasseranstieg radioaktive Partikel an die Oberfläche, die diese noch lange Zeit verstrahlen werden.

Indem Tepco auf ein vielstufiges System aus Subunternehmen zurückgreift, die Leiharbeiter vermitteln, kann es diese feuern, sobald ihre zulässige Jahresdosis erreicht ist, ohne daß diese Liquidatoren eine auch nur annähernd angemessene Alterssicherung erhielten.

Bis heute werden radioaktive Stoffe aus den Blöcken 1 bis 3 nicht nur unterirdisch ins Meer gespült, sondern auch vom Wind davongetragen. Denn bei den Aufräumarbeiten entstehen Stäube, und wenn Kühlwasser verdunstet oder Gischt an der Küste trocknet, bleiben radioaktive Partikel zurück, die dann vom Wind davongetragen werden. Weil aber den Energiekonzernen die großen Fernsehsender gehören, läßt sich die Kontamination allenfalls medial zudecken, aber ganz gewiß nicht physikalisch. An allen Ecken und Enden dringen die Radionuklide an die Oberfläche, und Tepco, das sie mal hierhin und mal dahin schiebt, täuscht dadurch Betriebsamkeit vor, bekommt das Problem jedoch nicht in den Griff.


Fußnoten:

[1] http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201609210047.html

[2] https://www.japantoday.com/category/national/view/typhoon-leaves-at-least-36-injured

22. September 2016


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