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AKTION/107: Kelsterbach - Widerstand gegen Flughafenausbau und brutale Räumung (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

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Widerstand gegen Flughafenausbau - ein Rückblick

Von Erik Mohr


Der Frankfurter Flughafen wird weiter ausgebaut. Größtes Projekt ist eine vierte Landebahn. Dafür wurde wieder Bannwald gerodet, obwohl nach hessischem Forstgesetz der Bannwald "für das Gemeinwohl unersetzlich" ist. Aus gutem Grund: Er schützt die Bevölkerung vor Lärm und Luftschadstoffen, speichert ihr Trinkwasser und dient den Menschen in der dicht besiedelten Rhein-Main-Region als Naherholungsgebiet.

Flugzeuge sind die klimaschädlichsten Verkehrsmittel. Jeder Liter des Flugzeug-Treibstoffs Kerosin schädigt das Klima so stark wie fast zehn Kilogramm des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid. Ein Flug auf die Kanaren schadet dem Klima pro PassagierIn mehr als würde jeder Fluggast ein Jahr lang jeden Tag rund 30 Kilometer allein mit dem Auto fahren.

Umwelt-AktivistInnen hatten am 28. Mai 2008 aus Protest gegen den Ausbau den Kelsterbacher Wald besetzt, der der Landebahn Nordwest weichen soll. Anfang der 80er Jahre war für den Bau der Startbahn West gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung großflächig Wald gerodet worden. Der damalige hessische Ministerpräsident Holger Börner gab das Versprechen, dass nach dem Bau kein Baum mehr für den Flughafen fallen wird. Gesetzlich verankert wurde dies, indem der verbliebene Wald mit der Klassifizierung als Bannwald die höchstmögliche Schutzstufe erhielt.

Das Widerstandsdorf im Kelsterbacher Wald wurde im Februar nach mehr als neun Monaten von der Polizei brutal geräumt. Erik Mohr von ROBIN WOOD hat im Widerstandsdorf gelebt und sich gegen den Flughafenausbau gewehrt.


Die beste Aktion

Vor allem sonntags kamen viele Besucher an den Kuchenstand in unser Protestcamp. Mir wurde bald klar, warum so viele Menschen in der Rhein-Main-Region keine Hoffnungen in ihre gewählten politischen Vertreter und diesen angeblichen Rechtsstaat haben. Immer wieder hatte es in den vergangenen Jahren Wortbrüche von Politikern und der Flughafenbetreibergesellschaft Fraport gegeben. Mehr als 120.000 Menschen hatten Einwendungen gegen den Ausbau des Flughafens erhoben, erfolglos. 260 Klagen gegen den Ausbau sind noch nicht einmal verhandelt worden, doch das zuständige Regierungspräsidium gab dem Antrag der Fraport auf "Sofortvollzug" statt und genehmigte damit die Rodung des Bannwaldes und den Beginn des Flughafenausbaus. Eil- und Befangenheitsanträge wurden meist ohne Begründung abgelehnt.

Laut Gesetz ist der "Sofortvollzug" nur bei "überragendem öffentlichen Interesse" zulässig. Im Gespräch mit den vom Lärm geplagten Menschen der Region habe ich schnell Zweifel an diesem "überragenden öffentlichen Interesse" bekommen. Selbst wenn daran keine Zweifel bestünden, hätte es dennoch in einer Zeit, in der Fluggastzahlen, Frachtmengen und die Anzahl an Starts und Landungen rückläufig sind und aufgrund der Wirtschaftskrise mittel- und langfristige Prognosen keine Notwendigkeit der Landebahn vorhersagen, auch keine Notwendigkeit für einen Sofortvollzug gegeben. Es sei denn, man sieht die Verhandlung der Klagen als eine Gefahr für den Ausbau. Gute Nacht, Rechtsstaat! Wenn die Seilschaften zwischen Fraport, Regierung und Gerichten kein Interesse an Legalität haben, ist es legitim und notwendig, dass Menschen mit zivilem Ungehorsam und direkten Aktionen wie Blockaden ihr Recht einfordern.

Die Waldbesetzung gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens war die beste Aktion, an der ich bisher mitgewirkt habe. Sie war mehr als eine Umweltaktion: Wir konnten uns über neun Monate mit Menschen und Medien, die zu uns in den Wald kamen, über unsere Utopien von einer besseren Welt austauschen. Wir versuchten bewusst zu leben und auf überflüssigen Konsum zu verzichten. Was wir einkaufen mussten, war meistens vegan. Wir versuchten auf die Bedürfnisse anderer Rücksicht zu nehmen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, in Gesprächen besonders die weniger redegewandten und zurückhaltenden Menschen zu Wort kommen zu lassen, Neuankömmlinge und oft auch von der Gesellschaft ausgeschlossene Menschen an Aktionen und der Gemeinschaft teilhaben zu lassen. Privateigentum haben wir geteilt oder mit Bibliothek und Kleiderkammer gleich ganz abgeschafft und allen zur Verfügung gestellt. Täglich haben wir für alle Besetzer und Besucher gekocht, gegessen wurde zusammen. Regelmäßig musste Wasser geholt und Feuerholz gesammelt werden. Essen, das in einer Bäckerei und auf dem Biomarkt nicht mehr verkauft wurde, musste abgeholt und das Geschirr gespült werden. Das alles setzte Engagement und Hilfsbereitschaft voraus.


Der Zaun

Am 20. Januar wurde Barack Obama als neuer Präsident der USA vereidigt. Die Fraport nutzte diesen Tag, an dem das öffentliche Interesse weit weg vom hessischen Wald war, um mit den Rodungsarbeiten zu beginnen. Die Polizei zäunte unser Widerstandsdorf ein und hob unseren Erdbunker aus, in dem sich ein Aktivist angekettet hatte. Nachts wurde der Zaun beleuchtet, jede Lampe hatte einen eigenen lärmenden Generator.

Seit diesem Tag kontrollierte die Polizei rund um die Uhr vor jedem Eintritt ins Widerstandsdorf die Personalien und durchsuchte uns. Kletterausrüstung und Schlafsäcke durften nicht mehr in das nun eingezäunte Dorf genommen werden. Viele Polizisten gaben falsche Auskünfte. Erst im Februar sollten die Kelsterbacher Stadtverordneten über einen eventuellen Verkauf des städtischen Waldes an Fraport abstimmen. Doch schon lange vorher antworteten immer wieder Beamte auf die Frage, warum in Kelsterbach nicht das grundsätzliche Waldbetretungsrecht gelte, der Wald sei an die Fraport verkauft worden. Das ist er zum Glück bis heute nicht. Einzelne Polizisten drückten sich klarer aus: "Wir machen hier, was Fraport sagt."

Der Zaun um unser Waldcamp wurde von Angestellten eines privaten Sicherheitsdienstes bewacht. Viele Wachleute wussten nicht einmal, dass hier eine Landebahn gebaut werden soll, geschweige denn, wie die Rechtslage ist. Wenn ich mit ihnen gesprochen hatte, kam häufig kurz darauf einer ihrer Chefs und wies sie zurecht. War der Chef wieder weg und ich sprach sie erneut an, sagten sie kein Wort mehr und blickten unsicher und traurig zur Seite. Ein Unternehmen, dass seinen Angestellten verbietet, mit Menschen zu sprechen, ist moralisch bankrott.

Wir versuchten, die Rodungsarbeiten durch Besetzungen von Bäumen und Baumerntemaschinen zu verhindern. Wer sich an diesen Aktionen zivilen Ungehorsams beteiligt hatte, wurde nach der polizeilichen Räumung stundenlang festgehalten. Im Polizeigewahrsam wurden die AktivistInnen fotografiert, ihnen wurden teils mit Gewalt Fingerabdrücke abgenommen, einige wurden nackt ausgezogen. Die Rückkehr ins Widerstandsdorf wurde ihnen verboten.

Einige wollten deshalb ihre Zelte angrenzend zum Rodungsgebiet und nahe bei unserem Widerstandsdorf aufschlagen. Die Polizei wies ihnen jedoch eine andere Stelle fernab davon zu. Trotzdem wurden die AktivistInnen mitten in der Nacht von anderen Polizisten aus dem Schlaf gerissen, mit Gewalt und halbnackt aus ihren Zelten gezerrt. Die Polizei nannte es eine "routinemäßige Personalienkontrolle". Nach meinem Eindruck war dies eine von vielen Repressionsmaßnahmen, die nicht mit den Aufgaben der Polizei von Sicherheit oder Rechtsstaatlichkeit zu vereinbaren sind. Es sollte sich noch häufiger zeigen, dass die Polizei die schnelle Durchsetzung der Interessen der Fraport höher bewertet als die Gesundheit von Menschen.

Wer trotz "Betretungsverbot" zurück in unser Widerstandsdorf wollte, wurde vom unmotivierten Wachpersonal nicht davon abgehalten, nachts den Zaun zu überklettern. Dennoch erschwerten die zahllosen Platzverweise Aktionen gegen die Rodungsarbeiten. Als wir in unserem Widerstandsdorf eingezäunt und rund um die Uhr bewacht wurden, nachts die Scheinwerfer grell leuchteten und die Generatoren lärmten, tagsüber die Bäume in Hörweite zu Boden krachten und die Räumung stündlich drohte, wäre es für viele gesünder gewesen, einfach zu gehen. Doch wir konnten nicht anders: Wir mussten bleiben und uns diesem Unrecht in den Weg stellen.

Die Räumung

Am 18. Februar drangen morgens um 7:30 Uhr etwa 150 Polizisten von allen Seiten in unser Widerstandsdorf ein. Ausgerechnet in dieser Nacht hatten nur zehn AktivistInnen in den Bäumen übernachtet, obwohl wir mit fünf Baumhäusern und mehreren Plattformen dreißig Schlafplätze in den Bäumen hatten. Polizeikletterer stiegen mit Steigeisen an den Stämmen hoch und zerschnitten unsere zahlreichen Seilbrücken. Die knapp vierzig WaldbesetzerInnen am Boden wurden gezwungen, das Camp zu verlassen. Jede und jeder bekam eine persönliche Polizei-Eskorte, einige wurden in Gewahrsam genommen. Die Presse konnte den Einsatz nicht beobachten, denn die Polizei verwehrte ihr den Zugang zum Camp mit der (falschen) Begründung, sie bräuchten dafür eine Genehmigung der Fraport. Unter unseren Baumhäusern positionierten sich Hubwagen. Vier AktivistInnen hatten sich im Boden des ROBIN WOOD-Baumhauses und um den Stamm der massiven Eiche angekettet. Wie üblich bevorzugte die Polizei beim Lösen der Ankettvorrichtungen mit Trennschleifern die schnelle und schmerzhafte gegenüber der für die Gesundheit von Menschen sicheren Variante. Später erfuhr ich, dass noch drei weitere KletteraktivistInnen sich auf einer Baumplattform und in einem anderen Baumhaus angekettet hatten.

Am Boden ließ ich mich tragen. Den Polizisten sagte ich: "Sie müssen verstehen, dass ich diesen Wald nicht freiwillig verlasse, auch wenn ich weiß, dass ich keine Chance habe." Während der Fahrt zum Polizeipräsidium sah ich noch Teile des kahl geschlagenen Waldes. Ich musste weinen, aber ich fühlte mich unglaublich stark: Wir hatten uns trotz der Repressionen nicht an unserem Protest hindern lassen. Ich dachte: "Der Traum vom die Menschen schützenden Bannwald ist aus, aber ich werde alles geben, dass mein Traum von einer gerechteren und friedlicheren Welt Wirklichkeit wird."


Ingewahrsam

Auf dem Polizeirevier kamen zwei Polizisten in meine Zelle und forderten mich zum Mitkommen auf. Ich sagte, ich würde nur in die Freiheit gehen. Ein Polizist drohte mir, "brachiale Gewalt" anzuwenden. Ich erinnere mich genau, wie ich ganz ruhig sitzen blieb und in ruhigem Ton sagte: "Es gibt für Sie gar keinen Grund, brachiale Gewalt anzuwenden. Ich sitze hier ganz friedlich. Von mir geht keine Gefahr aus. Egal wie Sie sich verhalten, ich werde ruhig und friedlich bleiben." Daraufhin packten er und sein Kollege mich und schleiften mich in ein anderes Zimmer. Dort sollte ich mich nackt ausziehen. Das verweigerte ich. Angeblich wollten sie so sicherstellen, dass ich mich nicht selbst verletze. Ich entgegnete, dass ich trotz der Zerstörung des Bannwaldes ein lebensfroher Mensch sei. Es gebe für mich überhaupt keinen Grund, mich zu verletzen, ebenso wenig für sie, das anzunehmen. Sie zogen mich trotzdem aus. Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, schleiften sie mich in die Zelle zurück, aus der sie mich heraus geholt hatten. Nach einer Weile holten sie mich erneut, um mich erkennungsdienstlich zu behandeln.

Sie fotografierten mich und erzwangen die Abnahme von Fingerabdrücken. Ein Polizist drückte sein ganzes Körpergewicht auf meinen Finger, während mir der andere, der mir zuvor "brachiale Gewalt" angedroht hatte, schmerzhaft den Arm verdrehte. Er drehte so lange, bis ich unter den Tisch fiel. Ich weinte und wiederholte, dass ich, egal wie sie mich behandeln würden, gewaltfrei bliebe, weil Gewalt in meinem Traum von einer friedlicheren und gerechteren Welt keinen Platz hätte.


Gewalt

Ich konnte den Polizisten, der mir den Arm verdrehte, nicht verstehen. Als ich ihn fragte, ob es ihm denn Spaß machen würde, mir so große Schmerzen zuzufügen, sagte er: "Natürlich macht es mir keinen Spaß." Da verstand ich, dass er zu dieser Misshandlung genötigt wurde. Das System war schuld und seine Schwäche, sich dem zu widersetzen.

Von Anfang an wurde uns Gewaltbereitschaft unterstellt, doch die Bestrebungen, uns zu kriminalisieren, blieben erfolglos. Ich unterstelle der Polizei, dass es auch für sie niemals Anzeichen gewaltsamen Widerstands gab. Polizisten hatten keinen Grund, sich vor uns zu fürchten. Warum lagen dann die Nerven bei der Polizei so blank, dass auf einer Demo nach der Räumung ein Polizist mit seiner Schusswaffe einen Clown bedrohte, der mit seinem Finger ein Peace-Zeichen in den Staub der Motorhaube eines Polizeifahrzeuges malte?

Warum wurde eine friedliche Aktivistin von einem Polizisten so sehr misshandelt, dass sie auch heute, zwei Monate später, ihren Arm nur eingeschränkt und unter starken Schmerzen beugen kann? Warum hat sie dieser Polizist, als er sie auf einer späteren Demo wieder erkannte, ausgelacht? Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich Gewalt in allen ihren Formen ablehne. Doch nach den Misshandlungen meiner FreundInnen durch die Polizei, nach den Provokationen und dem Gefühl der Ohnmacht kann ich Menschen, die daran verzweifeln und selbst Gewalt anwenden, nicht mehr kurzerhand verurteilen.


Danach

Nein, wir, die in dieser Gesellschaft leben, in der wer gierig ist, als erfolgreich gilt und wer rücksichtslos ist, als führungsstark, haben es im Widerstandsdorf oft nicht geschafft, gerecht zueinander zu sein, auf verletzende Sprüche zu verzichten und andere zu Wort kommen zu lassen.

Aber wir haben geübt anders zu leben. Wir haben uns über Grenzverletzungen, Sexismus, Homophobie, Umweltschutz, Tierrechte und Veganismus ausgetauscht und viel Wichtiges für unser eigenes Leben gelernt, das wir in keiner normalen Schule oder Universität hätten lernen können. Wir protestierten solidarisch mit den BürgerInnen der Region mit vielen radikalen gewaltfreien Aktionen und lebte n einigermaßen selbstbestimmt und glücklich in der Natur.

Erik Mohr
Kontakt: E.Mohr@gaia.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

"Auch wenn wir den Kelsterbacher Wald nicht vor der Rodung durch Fraport retten konnten, haben der gemeinsame Protest mit den BürgerInnen der Region gegen den Ausbau...
... und neun Monate Leben im Widerstandsdorf im Wald bei uns Utopien eines selbstbestimmten Lebens entstehen lassen"
20.01.09: Als Barack Obama vereidigt wird, nutzt die Fraport den Tag, um mit der Rodung zu beginnen: Sie zäunt das Dorf ein und hebt den Erdbunker aus
18.02.09: Räumung des ROBIN WOOD-Baumhauses
Baumerntemaschinen wurden besetzt, um die Rodung zu verhindern
Obwohl der Widerstand gegen den Kahlschlag im Wald friedlich und gewaltfrei war, ging die Polizei mit aller Härte gegen die Protestierenden vor
Der Kelsterbacher Wald ist für eine vierte Landebahn gerodet worden, obwohl heute mehr als zweifelhaft ist, ob die zusätzlichen Kapazitäten für den Frankfurter Flughafen überhaupt gebraucht werden

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2009