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ATOM/351: Atomkraft - nein danke oder ja bitte? Projekt HoNEST erforscht den Umgang mit Kernenergie (idw)


Deutsches Museum - 28.10.2016

Atomkraft - nein danke oder ja bitte?

Projekt HoNEST erforscht den Umgang mit Kernenergie


In 31 Ländern der Erde wird derzeit Kernkraft zur Energiegewinnung genutzt. Während sich Deutschland für den Atomausstieg entschieden hat, setzen andere Nationen wie die USA auf den Ausbau. Warum die Atomkraft in einigen Ländern umstritten ist und in anderen nicht, fragt sich auch die Europäische Atomgemeinschaft EURATOM. Im Rahmen des EU Forschungsprogramms Horizon2020 hat die Organisation deshalb ein Projekt ins Leben gerufen: "History of Nuclear Energy and Society" (HoNEST) soll die Veränderungen in den komplexen Beziehungen zwischen Kernenergiesektor und Gesellschaft weltweit abbilden. Das Deutsche Museum ist eines von 24 Instituten aus 16 Ländern, die diese Untersuchungen durchführen.

Auf der Museumsinsel in München wird im Rahmen des internationalen Projekts "History of Nuclear Energy and Society" (HoNEST) die Entwicklung der Kernenergie und ihrer Rezeption in der Gesellschaft in den vergangenen 60 Jahren in Westdeutschland erforscht. Für dieses Projekt hat der Technikhistoriker Prof. Dr. Helmuth Trischler, Leiter der Forschungsabteilung des Deutschen Museums, im Dezember 2015 die Historikerin Dr. Astrid Mignon Kirchhof an das Institut geholt. Die Expertin für globale Umweltgeschichte des 20. Jahrhunderts hat in den vergangenen Monaten am sogenannten "Country-Report West-Germany" gearbeitet. "Die einzelnen Berichte sollen bis Ende Dezember bei der Projektleitung eingereicht werden", sagt Kirchhof, "den Großteil haben wir auch schon verfasst, aber es bleibt noch einiges einzuarbeiten."

Sämtliche Reports aus mehr als 20 inner- und außereuropäischen Ländern werden in einem ersten Schritt von Historikern erarbeitet, die hierfür Archivmaterial und Forschungsliteratur auswerten, aber auch Interviews führen. Das Material wird bei der HoNEST-Koordinationsstelle in der Universität Pompeu Fabra in Barcelona gesammelt. "In einem zweiten Schritt fügen Sozialwissenschaftler die Ergebnisse in einem Großbericht für EURATOM zusammen", erklärt Dr. Kirchhof die Organisation des Projekts. Am Ende sollen die so gewonnen Erkenntnisse zu einer reflektierten Debatte beitragen, wenn es um die Energiequellen der Zukunft geht und um den Übergang zu einer nachhaltigen, sicheren und sauberen Energieversorgung.

"Damit das gelingen kann, folgen die Berichte alle einer gemeinsamen Struktur und Systematik", so Kirchhof. Die Vorgaben für die Berichte der Historiker lauten:

  • In einem "Historical Narrative" die Argumente der Atomkraft- Befürworter und -Gegner darstellen und die beteiligten Akteure benennen; als Letztere hat die Historikerin für ihren Bericht über Westdeutschland Regierung, Wissenschaft, Wirtschaft, Berufsverbände, Gewerkschaften und Gesellschaft aufgeführt.
  • "Facts and Figures", also eine Zahlen- und Fakten-Sammlung;
  • "Five Events", fünf herausragende Ereignisse in der Kernenergie-Geschichte des betreffenden Landes - in Westdeutschland sind das unter anderem die gesellschaftlichen Verwerfungen rund um die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf;
  • und ein "Show Case" als Anschauungsbeispiel. Dafür hat Dr. Kirchhof den "Schnellen Brüter" in Kalkar ausgewählt.

"Dabei war mir der Gesellschaftsaspekt wie schon bei meinen früheren Forschungsarbeiten überaus wichtig", sagt die Historikerin. Ein besonders interessanter Punkt war für sie herauszufinden, warum die deutsche Umweltbewegung so gewalttätig war: "Die Gründe hierfür liegen in unserer jüngeren Geschichte. Nach dem Ende des Dritten Reiches gab es die Einstellung, dass man sich einsetzen muss, für das, was man für richtig hält. Und dabei herrschte eine grundlegende Skepsis gegenüber staatlicher Autorität." Darüber hinaus fehlte bei den westdeutschen Aktivisten der 1970er- und 1980er-Jahre in der säkularisierten Gesellschaft eine starke religiöse Basis, wie sie beispielsweise in den USA vorhanden ist. Auf dieser Grundlage baut in Amerika auch die Verankerung in einer Kultur des gewaltfreien zivilen Widerstands auf, die auf dem geistigen Erbe Henry David Thoureaus beruht.

Für ihre umfangreichen Recherchen konnte Astrid Mignon Kirchhof neben Befunden aus Interviews mit unterschiedlichsten Akteuren - vom Atomkonzern Areva bis zu den "Müttern gegen Atomkraft" - bereits auf viel Archivmaterial sowie existierende Forschung in der Sekundärliteratur aber auch Berichte aus dem Internet zurückgreifen. Die enge Abstimmung mit Helmuth Trischler hat ihr die Arbeit zusätzlich erleichtert: "Er hat ebenso wie ich Interviews für den Bericht geführt und ist für alle Fragen rund um das Projekt wirklich immer ansprechbar, und wir schreiben gemeinsam!"

Wenn in wenigen Wochen der Feinschliff am Länderbericht abgeschlossen ist, ist für Astrid Mignon Kirchhof allerdings das Projekt noch nicht beendet: Denn der Forschungsverbund legt auch großen Wert darauf, die Themen herauszuarbeiten und zu verbreiten, die die Öffentlichkeit interessieren. "Da habe ich zum Beispiel einen internationalen Vergleich des Engagements von Frauen der jeweils nationalen Antiatomkraftbewegungen vorgeschlagen", sagt die Expertin.

Einige bereits erschienene Publikationen von Dr. Astrid Mignon Kirchhof sind ebenso auf der Homepage von HoNEST gelistet, wie die teilnehmenden Institutionen und detaillierte Beschreibungen der einzelnen Teilprojekte. Auf honest2020.eu kann sich auch jeder Interessierte registrieren, um über die Ergebnisse des Projekts auf dem Laufenden gehalten zu werden und sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.deutsches-museum.de/forschung/projekte/schwerpunkt-ii/cluster-2/
http://www.honest2020.eu/

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news662233

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1175

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsches Museum, Gerrit Faust, 28.10.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2016

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