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BILDUNG/381: Internationales Kolleg für Umweltforschung (MünchnerUni Magazin)


MünchnerUni Magazin 02/2009
Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München

Globale Geistesblitze
Internationales Kolleg für Umweltforschung

Von Cindy Heinkel


Die Meldungen über mangelnden Ingenieurnachwuchs, das Schattendasein der Naturwissenschaften in der Schule oder über die schwach besiedelte Techniker-Landschaft in Deutschland reißen nicht ab. Jüngst forderte Bundesbildungsministerin Annette Schavan, Ingenieure für den Schulunterricht in Fächern wie Mathematik und Physik einzusetzen. Warum also in Zeiten wie diesen ausgerechnet Geisteswissenschaften fördern?


Darauf weiß Professor Christof Mauch eine einfache Antwort: "In den Geisteswissenschaften steckt Anregung und Kreatives - ein Potenzial jenseits der Kalkulationen von Statikern und Statistikern, Ingenieuren und Ökonomen", sagt der Lehrstuhlinhaber für Nordamerikanische Kultur-, Sozial- und Politikgeschichte an der LMU. "Gerade der Reflex auf Wissenschaft, Technik und Wirtschaft und auf die Defekte und Defizite, die in der Modernisierung stecken, macht die Stärke der Geisteswissenschaften aus." Auch die Bundesregierung hat deren Stellenwert erkannt und fördert seit 2007 innerhalb der Initiative "Freiraum für die Geisteswissenschaften" Hochschulen, die ein stimmiges Konzept für ein Internationales Kolleg mit geisteswissenschaftlichem Fokus eingereicht haben. Zu sieben ausgewählten Standorten zählt seit Ende Oktober 2008 auch München mit dem "Rachel Carson Center".

Die LMU und das Deutsche Museum haben den stattlichen Betrag von rund zwölf Millionen Euro für die nächsten sechs Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zugesagt bekommen. Gemeinschaftlich leiten die beiden Wissenschaftler Christof Mauch (LMU) und Helmuth Trischler (Deutsches Museum) das Projekt. Sie haben sich vorgenommen, über "Naturals kulturelle Herausforderung" zu forschen und dabei ein breites Spektrum an Wissenschaftsdisziplinen einzubeziehen. Neben der Kerndisziplin der Geschichtswissenschaft unter anderem auch Politologie, Soziologie, Theologie, Amerikanistik, Ethnologie, Regionalstudien sowie Natur- und Ingenieurwissenschaften wie Biologie oder Agrar- und Forstwissenschaften. Ihr Kolleg soll im Förderzeitraum mehr als 100 Fellows, anerkannte Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt, zum Austausch ihrer Forschungsergebnisse nach München holen. Forschungsschwerpunkte wie Naturrisiken und -katastrophen, Umweltkritik, Transformation von Landschaften und umweltbezogene Wissensformen und Wissensbestände werden im Mittelpunkt stehen. Mauch selbst interessiert der Umgang und die Bewältigung von Naturkatastrophen: "Bagdad wurde vor 1.000 Jahren jährlich überschwemmt und war doch eine großartige Stadt. In Japan haben die Menschen eine eigene Erdbebenkultur etabliert. Auf den Philippinen haben sich Architektur und Viehzucht, Lebensweisheit und Witz an das Wiederkehren von Überschwemmungen adaptiert - warum?"

"Das Thema Umwelt ist prekär und zukunftsträchtig zugleich", sagt Mauch. Vielleicht ein Grund, warum das BMBF die Förderzusage machte. "Es existieren zwar viele Einzelinitiativen in Deutschland, aber kein echtes Zentrum, das sich geisteswissenschaftlich mit Umweltfragen beschäftigt. Ausgerechnet Deutschland, das sich oft als Umweltmusterland sieht, hat keinen Ort, an dem das Verhältnis Mensch-Natur systematisch reflektiert wird - historisch, philosophisch, kulturwissenschaftlich." Eine weitere Trumpfkarte, die offensichtlich im Wettbewerb um die Förderung stach, war die Einbeziehung eines externen Partners - des Deutschen Museums. Es ist mit rund 1,4 Millionen Besuchern pro Jahr nicht nur das meistbesuchte Museum Deutschlands, sondern gehört auch zu den international führenden Standorten der Erforschung von Wissenschaft und Technik. Seit 1963 unterhält es enge Beziehungen zur LMU, seit dem gibt es einen gemeinsamen Forschungsverbund und aktuell Kooperationen in mehreren Exzellenzclustern. Trischler, der eine Professur für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt Wissenschafts- und Technikgeschichte an der LMU innehat und den Bereich Forschung des Deutschen Museums leitet, gefällt die Idee, Wissenschaftler mit ganz unterschiedlichem umweltrelevanten Erfahrungsschatz an einen Tisch zu holen. "Die Ergebnisse können dann in Ausstellungen dokumentiert und so in den öffentlichen Raum hineingetragen werden", so Trischler.

Schon jetzt lassen die Initiatoren ihre Kontakte spielen, nutzen Konferenzen und Wissenschaftsforen, um geschätzte Kollegen aus allen Erdteilen für die Mitarbeit am Internationalen Kolleg zu begeistern. Kolloquien und Workshops sowie Sommerakademien sind geplant. Ein großes digitales Archiv mit Primärquellen aller Art zu Umwelt und Geschichte soll entstehen. Ein Newsletter, mehrere Buchreihen sowie Ausstellungen am Deutschen Museum tragen die Arbeit des Kollegs nach außen. Christof Mauch hat noch mehr vor: "Auf Dauer sollen die Studierenden stärker eingebunden werden, ein Studiengang soll entstehen und auch ein Doktorandenkolleg." Ein großer Stein auf dem Weg zum Forscherzentrum wurde erst kürzlich aus dem Weg geräumt. Zwei Stockwerke in der Schellingstraße 9 mit insgesamt 14 Räumen sind für das Kolleg reserviert: Genau gegenüber der Historiker, nur einen Katzensprung zur Staatsbibliothek - eine exponierte Lage, die besser nicht hätte gewählt werden können.

Ab dem 1. August wird es konkret. Gleich in der Auftaktwoche wird das "Rachel Carson Center" auf dem World Congress for Environmental History in Kopenhagen offiziell vorgestellt. Der Name ist Programm: "Die Amerikanerin Rachel Carson hat mit ihrem Buch 'Der stumme Frühling' 1962 den Einfluss der Menschen auf die Natur und die schleichende Veränderung der Umwelt eindringlicher beschrieben als irgendeine andere Wissenschaftlerin oder Schriftstellerin. Wenn in den 60er Jahren weltweit ein ganz neues Umweltbewusstsein entstand, dann haben wir das niemand anderem so sehr zu verdanken wie Rachel Carson", erklärt Christof Mauch. Außerdem zeige der berühmte Name, dass in München kein Elfenbeinkolleg entstehe, kein bayerischer Provinzturm, sondern ein international geprägtes, wissenschaftliches Zentrum, das vermitteln will in alle Welt. So treffen die Münchener Wissenschaftler den Nerv des BMBF, welches in seinen Materialien die Kollegs als "Bausteine einer deutschen Wissenschafts-Außenpolitik" oder gern auch als "Salons der globalisierten Wissenschaft" beschreibt. Mauch klingt zu elitär und antiquiert, zu sehr nach Männergesellschaft und Zigarren. "Wir möchten im Kolleg keine Barone in Clubsesseln sein, lieber Denkarbeiter und Netzwerker."


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Quelle:
MünchnerUni Magazin 02/2009, Seite 26-27
Herausgeber: Präsidium der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)
München
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2009