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BUCH/576: Wie Konzernvertreter in Ministerien sich ihre Gesetze schreiben (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

bücher

Bananenrepublik Deutschland


VertreterInnen von Industrie und Kapital schreiben sich in den Ministerien ihre eigenen Gesetze. Unter dem Deckmantel der politischen Fachberatung gerät das Gemeinwohl unter die Räder von Konzernen und Verbänden.

Wenn die Gesetze vom Parlament gemacht, von der Regierung durchgesetzt und dem Rechtssystem überwacht werden, dann nennt man das eine Demokratie. Ein System allerdings, in dem sich Industriekonzerne, Wirtschaftsverbände und andere Lobbyorganisationen mit freundlicher Einladung der Politik ihre Gesetze selbst schreiben, nennt man Klientelismus! In einem solchen System leben wir momentan, das macht das Buch "Der gekaufte Staat" von Sascha Adamek und Kim Otto deutlich. Beide Journalisten sind für das investigative ARD-Magazin Monitor tätig. In ihrem Enthüllungsbuch decken sie die zwielichtigen Tätigkeiten von Lobbyisten an der Grenze der demokratischen Legitimität in Deutschland und den EU-Institutionen auf.

Im Normalfall versorgt der Lobbyist die politischen Akteure mit wichtigen Informationen hinsichtlich der Interessen, Anliegen und Bedenken der großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbände. Wirtschafts- und Verbandslobbyisten verfügen oftmals über detailliertes Fachwissen, das zur Entscheidungsfindung bei gesetzgeberischen Handlungen positiv beitragen kann. Allerdings gilt es dabei stets zu beachten, dass die Kenntnisse dieser Vertreter stets die wirtschaftlichen Einzelinteressen vertreten. Die politischen Verantwortlichen - die qua Amt das Interesse der politischen Gemeinschaft als Ganzes zu vertreten haben - müssen hingegen die wirtschaftliche Argumentation der Lobbyisten im Sinne des gesellschaftlichen Wohls abwägen und die Konsequenzen daraus für den politischen Entscheidungsprozess ziehen.

Um den Informationsfluss zwischen Politik und Wirtschaft zu verbessern, berief die rot-grüne Bundesregierung im Oktober 2004 ein Personalaustauschprogramm namens "Seitenwechsel" ein. Im Rahmen dieses Programms sollten Vertreter aus der freien Wirtschaft, Verbänden und anderen Interessengruppen zeitlich befristet in Ministerien arbeiten und dort ihr Fachwissen einbringen. Zugleich sollen Ministerialbeamte und Angestellte der politischen Institutionen ebenfalls zeitweilig die Seite wechseln und sich mit den Prozessen der freien Wirtschaft in den Konzernen und Verbänden vertraut machen. Das Bundesprogramm nahmen zahlreiche Konzerne und Wirtschaftsorganisationen mit Begeisterung an und entsendeten mehr als 100 Konzernvertreter in die obersten Bundesbehörden. Im Gegenzug waren lediglich zwei Hand voll Beamte in den Konzernen und Verbänden, um dort Erfahrungen zu sammeln.

Das Delikate an "Seitenwechsel" besteht in der Lohnfortzahlung durch die entsendenden Organe. Ein entsandter Angestellter, der im Rahmen des Austauschprogramms in einem Ministerium seinen Arbeitsplatz bezieht, erhält sein Salär also weiterhin von seinem Konzern. Wem seine Loyalität in diesem System gilt, liegt auf der Hand. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!"

Wirklich fatal wird das Ganze aber, wenn man bedenkt, dass diese "Leihbeamten" einmalige Einblicke in ministeriumsinterne Belange erhalten, in verschlossenen Akten blättern können und die so erhaltenen Informationen brühwarm an ihre Geldgeber weiterreichen können. Darüber hinaus schreiben Lobbyisten inzwischen an Gesetzentwürfen mit, entwerfen Richtlinien und treiben Reformen im eigenen Interesse voran. Dabei ist das Lobbywesen eine Ausgeburt des neoliberalen Staatsmodells, indem ein "schlanker Staat" seine Expertise "gesponsert" bekommt. Das Wohl des Bürgers und Otto-Normal-Verbrauchers spielt für die edlen Spender aus der freien Wirtschaft jedoch keine Rolle.

Der Lobbyismus befindet sich seit einigen Jahren auf einem einzigartigen Siegeszug. Von der Kommune bis zur EU-Kommission, kaum eine politische Ebene ist noch nicht von Lobbyisten durchdrungen. Erschüttert begutachten kann man dieses Vorgehen am Beispiel des Betreibers des Großflughafens Frankfurt, der Fraport AG. Nicht nur, dass der Lärmschutzbeauftragte des Bundeslandes ein Mitarbeiter des Flughafenbetreibers ist. Nein, die Fraport-AG hat auch noch einen Angestellten im Bundesverkehrsministerium, einen Mitarbeiter in der hessischen Staatskanzlei und einen Beschäftigten in der hessischen Flugaufsicht postiert. Hintergrund dieses intensiven Engagements war das Tauziehen um das hessische Luftlärmgesetz, welches den Ausbau sowie die Startund Landezeiten des Frankfurter Großflughafens zugunsten der umliegenden Gemeinden beschränken sollte. Ergebnis der langwierigen Verhandlungen war stattdessen eine Gesetzesnovelle, die dem Ausbau des Frankfurter Flughafens kaum Grenzen setzt - dank der FraportVertreter in den Länder- und Bundesbehörden. Die Kosten der vier abgestellten Mitarbeiter waren daher sinnvolle Zukunftsinvestitionen des Frankfurter Flughafenbetreibers.

Dies ist nur eine von dutzenden Lobbyattacken, die Adamek und Otto aufdecken. Egal ob Energie- oder Finanzpolitik, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik, Verbraucherschutz oder öffentlicher Dienst - die politische Bühne ist vom Lobbyismus durchdrungen. In der EUHauptstadt Brüssel tummeln sich nach Expertenmeinungen zwischen 15.000 und 20.000 Lobbyisten. Das heißt, auf jeden EU-Parlamentarier kommen fast 20 Lobbyisten. Wer will angesichts solcher Zahlen noch von einem demokratischen Prinzip sprechen?

Lobbyismus heißt aber nicht nur, Mitarbeiter zu entsenden, sondern auch Vertreter der politischen Klasse für sich zu gewinnen und diese für sich arbeiten und argumentieren zu lassen. Auch hierbei sind die Wirtschaftsverbände und Großkonzerne indessen höchst erfolgreich. Außer Acht lassen sollte man dabei nicht die vielen kleinen Gefälligkeiten, die Konzerne und Verbände den Bundestagsabgeordneten gewähren. Bestes Beispiel ist die kostenfreie Bahncard 100, die allen Bundestagsabgeordneten das Reisen mit der Deutschen Bahn zum Nulltarif erlaubt. Auf diese Weise erkauft sich Bahnchef Hartmut Mehdorn jeden Tag das Wohlwollen unserer Parlamentarier, die das Geschäftsgebaren der Bahn dafür geflissentlich ignorieren.

Die Berliner Journalisten Adamek und Otto haben mit diesem Buch die ideale Vorlage für eine längst überfällige gesellschaftspolitische Auseinandersetzung geschrieben, die die Machenschaften von Lobbyisten in höchsten Regierungsämtern schonungslos aufdeckt. Während im politischen Alltagsgeschäft Konzerne und Interessensverbände in den Ministerien an vorderster Front an Gesetzen mitarbeiten, verlieren die Interessen der Bürger immer mehr an Relevanz. Sie möchten das alles nicht glauben? Sie meinen, dieser Ausverkauf demokratischer Grundregeln kann in diesem Staate nicht System sein. Nun, überzeugen sie sich selbst und lesen "Der gekaufte Staat".

Thomas Hummitzsch, Berlin

Mehr zum Thema unter http://www. lobbycontrol.de oder
http://www.keinelobbyisten-in-ministerien.de

Kim Otto, Sascha Adamek
Der gekaufte Staat
Wie bezahlte Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben
Kiepenheuer & Witsch, 2008
aktualisierte Neuauflage als Taschenbuch ab 20.04.09
336 Seiten, 8,95 Euro ISBN: 978-3-462-04099-9


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Siegeszug Lobbyismus: Die Fraport AG beschäftigt nicht nur den Lärmschutzbeauftragten des Landes, sondern hat Mitarbeiter im Bundesverkehrsministerium, im hessischen Landtag und bei der hessischen Flugaufsicht postiert (Foto: Fraport AG)


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09, S. 40-41
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2009