Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

BUCH/609: V. Bennholdt-Thomsen - "Geld oder Leben - Was uns wirklich reich macht" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

GELD ODER LEBEN
Was uns wirklich reich macht

Von Jörg Parsiegla


Der etwas reißerische Titel, den Veronika Bennholdt-Thomsen für ihren Essay gewählt hat, täuscht. Denn dies ist weder ein weichgespülter Ratgeber für Gestresste noch eine Empfehlung auf dem Weg hin zur Selbstverwirklichung.

Nein, der Professorin an der Universität für Bodenkultur in Wien und Leiterin des außeruniversitären Instituts für Theorie und Praxis der Subsistenz e.V. in Bielefeld geht es um ein großes Thema der Zukunft: Was ist, wenn die Verwandlung des Geldes in Dinge, die wir zum Leben brauchen, nicht mehr klappt, weil sich das Geld in Luft aufgelöst hat? Zugegeben, ein auf den ersten Blick überspitzt erscheinendes Szenarium. Andererseits, angesichts der gegenwärtigen Systemkrise - Konjunkturpakete hin, Rettungsschirme her - eine nicht völlig aus der Luft gegriffene Frage.

Bennholdt-Thomsens Herangehen an das Thema funktioniert aber auch ohne Krise. Die Autorin macht uns in acht Kapiteln, über knapp hundert Seiten, mit der Subsistenztheorie vertraut, die eine Daseinsweise erklärt, die auf die Erwirtschaftung des Lebensnotwendigen gerichtet ist (und die dennoch nichts mit der Steinzeit zu tun haben muss).

Warum ist das Subsistenzprinzip bei großen Teilen der modernen Gesellschaft diskreditiert und wird mit ärmlichen Verhältnissen gleichgesetzt? Bennholdt-Thomsen leitet ihre Antworten aus der Kapitalismustheorie ab und trägt fünf Aspekte zusammen, die der heutigen Sicht die Wahrnehmung der Subsistenz versperren, darunter die Missachtung der Natur, die kolonialistische Ausbeutung und die Angst vor der Knappheit.

Sie entlarvt Wachstumszwang und Gelddiktat, die LEBEN nur als Nebeneffekt anfallen lassen, und stellt an deren Stelle die Entkommerzialisierung der Köpfe und Herzen - schwere Kost für den Leser, denn sie impliziert, dass wir mehr oder weniger (fast?) alle auf unseren Eigennutz bedachte Mittäter sind. Immerhin tröstlich, dass - wenn wir das Problem sind - wir auch die Lösung sein können: "Der Appell an das Individuum und an die Zivilgesellschaft (...), wie er heutzutage aus einem breiten Spektrum von Bewegungen laut wird, sich für eine ökologisch und sozial gerechte Welt einzusetzen, entspringt diesem Blick von unten".

Damit kommt die Autorin zur Beantwortung der Fragen, die sich beim Lesen unwillkürlich stellen: Wie jetzt, leben ohne Geld? und: Warum nicht im Supermarkt einkaufen? Die konkreten Antworten - Tauschbörsen, Umsonstläden, Regionalwährungen - mögen auf den ersten Blick unzureichend sein und angesichts globaler Zusammenhänge utopisch erscheinen. Für Bennholdt-Thomsen sind sie jedoch der Beginn zur Schaffung entkommerzialisierter Freiräume, die nicht nur neue Teilhabechancen für sozial Benachteiligte eröffnen, sondern die auch die Rückbesinnung auf Tugenden wie die Überwindung der Geldgier, die Wertschätzung des Handwerks und die Stärkung lokaler und regionaler Wirtschaftskonzepte einleiten. Letztendlich propagiert sie damit eine Kultur des Gebens, in welcher der homo donans den homo oeconomicus und die Subsistenz das Wachstum ersetzt.

GELD ODER LEBEN erschien in der neuen Reihe "quergedacht" des oekom verlag. In den kleinen Bändchen liefern renommierte Autoren mit ihren gewagten Ideen Ansätze für alternative Denk- und Lebensweisen zum Thema. Somit gibt auch Veronika Bennholdt-Thomsen mit ihrer Arbeit Denkanstöße, die erste Schritte zur Veränderung ermöglichen. Lektüretipp für den geneigten Leser: durchbeißen, sacken lassen, nachdenken!

Veronika Bennholdt-Thomsen
GELD ODER LEBEN
Was uns wirklich reich macht
oekom verlag München
Reihe quergedacht, 2010
1. Auflage, 93 Seiten, 8,95 Euro
ISBN 978-3-86581-200-1


*


Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010, S. 26
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010