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ENERGIE/200: Desertec-Kritik. Für kriegs-präventive Energiewirtschaft in Bürgerhand (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 2/2010
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

Für eine kriegs-präventive dezentrale Energiewirtschaft in Bürgerhand

Desertec-Kritik

Von Henrik Paulitz


Nach jahrelangen Diskussionen um die Wüstenstrom-Konzeption "Desertec" soll mit dem vorliegenden Beitrag der Versuch unternommen werden, die wesentlichen Hintergründe und Motive wie auch die Erfolgschancen dieses Vorhabens zu beleuchten. Ein Plädoyer für eine kriegs-präventive dezentrale Energiewirtschaft in Bürgerhand.

Spätestens seit den Ölpreiskrisen Ende der 1970er Jahre, dem Konflikt um Erdöl-Lieferungen aus dem Nahen Osten, heißen die beiden Pfeiler der deutschen und europäischen Energiepolitik: Rückbesinnung auf heimische Energiequellen und Diversifizierung der Bezugsquellen von Energie.

Als heimische Energiequelle wurde damals wieder verstärkt die Steinkohle gefördert. Der Ausbau der Atomenergie wurde - sachlich völlig unzutreffend - als "quasi-heimische" Energiequelle propagiert. Inzwischen stellen die von den Kohle- und Atomkonzernen bekämpften, heimischen Erneuerbaren Energien das Rückgrat einer perspektivisch weitgehend unabhängigen und krisenfesten Energieversorgung dar. Mit den Erneuerbaren Energien aus regionaler Produktion erweist sich der erste Pfeiler der Energiepolitik als tragfähige Strategie.


Die "Energie-Außenpolitik" ist zum Scheitern verurteilt

Weitgehend gescheitert ist hingegen die Strategie einer Diversifizierung der im Ausland liegenden Bezugsquellen von Energie. So sollen die Erdöl- und Erdgasvorkommen der Nordsee schon bald ausgebeutet sein. Zwar brachte das so genannte Erdgas-Röhren-Geschäft mit der damaligen Sowjetunion auf dem Wärmemarkt für einige Zeit Entlastung durch russisches Erdgas und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erhoffte sich die Deutsche Bank mit der "Europäischen Energie-Charta" den schnellen und billigen Zugriff auf deren gigantischen fossilen Energiereserven. Schon vor Jahren mussten die westlichen Manager aber realisieren, dass sich Russland vom Westen nicht einfach billig ausbeuten lässt.

Längst geht es um Strategien, wie man an Russland vorbei die fossilen Reichtümer Asiens nach Europa schafft. An die Stelle der Europäischen Energie-Charta trat ein Dauerkonflikt um Macht und Einfluss in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Und auch die Erdgaslieferungen aus Russland selbst sind zum ständigen Streitpunkt im Poker um Energie geworden.

Die deutsche und europäische Außenpolitik beschäftigt sich seit Jahren fast nur noch mit dem erhofften Import von Energie und anderen Rohstoffen. Heute firmiert die Diversifizierungsstrategie unter den Begriffen "Energie-Außenpolitik" und "Energie-Sicherheit". Diese Begriffe stehen zum einen für das Interesse an zuverlässigen Energielieferungen, zum anderen versteckt sich hinter diesen Begriffen die Bereitschaft, den Zugriff auf die Energiereserven fremder Völker mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Nicht umsonst warnte der deutsche Umwelt-Staatssekretär Michael Müller vor Jahren vor einem Zeitalter der Energie- bzw. Ressourcen-Kriege. Im Kampf der Weltmächte um Energie werden alle Register gezogen. Rohstoffreiche Länder werden mit fadenscheinigen Begründungen wie dem stets brauchbaren Menschenrechts-Argument mit Kriegen überzogen, man unterstützt gezielt oppositionelle Kräfte, finanziert sogar Revolutionen und installiert auf diese Weise Regierungen, die anschließend Verträge und Lizenzen mit den westlichen "Siegermächten" abschließen sollen ("Regime-Change").

Längst ist auch wieder Afrika in den Blickpunkt geraten, seit dort große Rohstoff-Vorkommen gefunden wurden, und schon läuft eine politische Debatte, wie man den Neo-Kolonialismus positiv werten könnte - historische Schuld und Moral spielen dabei praktisch keine Rolle. Heutzutage ist wieder alles möglich. Ausgeschlossen sind noch nicht einmal Stellvertreter-Konflikte unter europäischen Staaten.

Und natürlich findet auch der Konflikt im erdölreichen Nahen Osten kein Ende. Vor Jahren wurde der Irak überfallen, derzeit muss man mit einem Krieg gegen Iran rechnen. Nicht außer Acht lassen darf man in diesem Zusammenhang auch den Konflikt um die Erdgas-Reserven im Meer vor dem Gaza-Streifen.

Erfolgreich ist die "Energie-Außenpolitik" mit ihren Dauerkonflikten und Kriegen nicht. Alle Unterstützung für Revolutionen und Kriegseinsätze der Bundeswehr bzw. Unterstützungen für US-Kriege führten nicht zu stabilen Verhältnissen und der Möglichkeit, sich zuverlässig und dauerhaft die Bodenschätze der betroffenen Länder anzueignen (vgl. u.a. Georgien, Irak, Afghanistan/Mittlerer Osten, Sudan, Demokratische Republik Kongo etc.). Aller Voraussicht nach wird dieses Konzept auch in Zukunft scheitern. Diese Energiepolitik ist ganz einfach deswegen zum Scheitern verurteilt, weil militärische "Erfolge" nicht von Dauer sind. Diese Energiepolitik scheitert zusätzlich aber auch deswegen, weil Länder wie etwa China, Indien und selbst der Iran mit der EU und den USA um die knappen Energieressourcen konkurrieren und zum Teil weitaus erfolgreicher Lieferverträge aushandeln. Nicht umsonst bringen sich die USA und die Europäer in Zentralasien im Vorhof Chinas militärisch in Stellung.

Nicht umsonst ist Deutschland beispielsweise auch im Sudan politisch und militärisch engagiert und versucht, den ölreichen Süden vom Nordsudan bzw. der Zentralregierung abzuspalten, die Öl an China liefert. Perspektivisch drohen im Namen dieser Energie-Außenpolitik ständige Kriege und Stellvertreterkriege und nicht zuletzt auch kriegerische Auseinandersetzungen mit China.

In diesem Gesamt-Kontext ist auch das Wüstenstrom-Konzept "Desertec" zu sehen. Desertec ist der erneute Versuch Europas, in Konkurrenz zu anderen Weltmächten und vermutlich auch in Konflikt mit den betroffenen Ländern große Energiemengen aus einer Weltregion auszubeuten. Auch dieses Konzept birgt die Gefahr, dass es Anlass für ständige Konflikte, militärische Sicherungsmaßnahmen und möglicherweise auch Kriege sein würde. Eine dauerhaft stabile und konfliktarme Energieversorgung ist mit einem solchen Vorhaben kaum realisierbar.

Allein schon die enorme Anzahl der beteiligten Länder und Akteure auf afrikanischer wie auch auf europäischer Seite macht es äußerst unwahrscheinlich, dass es sich bei Desertec um eine erfolgversprechende Diversifizierungsstrategie handelt.

Die jüngste Ankündigung Frankreichs, in Konkurrenz zum deutschen Desertec-Konsortium seinerseits Solar- und Windenergie aus Afrika nach Europa transportieren zu wollen, offenbart den in Medien und Öffentlichkeit meist kaschierten, industriepolitischen Dauerkonflikt zwischen Deutschland und Frankreich. Das von deutschen Banken und Großkonzernen gesteuerte Desertec-Konsortium wird aus französischer Sicht natürlich als Kampfansage gesehen, weil Frankreichs Elite Afrika und den Mittelmeerraum primär als französisches Interessen- und Einflussgebiet betrachtet. Das zeigt, dass ein kooperatives Miteinander Deutschlands und Frankreichs bei der "Nutzung" des nordafrikanischen "Sonnengürtels" eher unwahrscheinlich ist.

Wie soll ein milliardenschweres Großvorhaben wie Desertec realisiert werden, wenn sich schon in der Frühphase Frankreich - ein zentrales Transitland für den Transport des Wüstenstroms nach Mitteleuropa - von den Deutschen übervorteilt fühlt?


Diversifizierung durch Wüstenstrom scheitert seit über 30 Jahren

Die Realisierungschancen der Wüstenstrom-Konzeption "Desertec" muss auch vor dem Hintergrund bewertet werden, dass es sich im Grunde um einen "alten Hut" handelt, der schon seit mehr als drei Jahrzehnten propagiert, keinesfalls aber realisiert wird. Die Gründe für das Scheitern dieser Diversifizierungsstrategie sind vielfältig:

Die erforderliche Kooperation der Energiekonzerne scheitert
Die erforderliche Kooperation der Staaten scheitert
Die nordafrikanischen Staaten wollen es vielleicht gar nicht (warum wurde noch nicht ein Wüstenkraftwerk konkret projektiert?)
Realisierungsprobleme durch die Beteiligung zahlreicher Firmen aus Standort-Ländern (vgl. Atomkraftwerks-Bau in Finnland mit vielen beteiligten Unternehmen: alles geht schief)
Die vormals geplante Wasserstoffwirtschaft als Riesen-Infrastruktur war technisch schwer umsetzbar und gegen den Widerstand der Mineralölwirtschaft praktisch nicht durchsetzbar
Beim heutigen Transportkonzept hohe Stromverluste trotz HGÜ-Leitungen
Die Stromkonzerne wollen keine Konkurrenz für die eigenen Kohle- und Atomkraftwerke; ein Milliardengeschäft steht mit Desertec in Frage
Großer Landbedarf (Problem in Küstennähe)
Enormer Wasserbedarf (Problem in der Wüste) Evtl. schwere Verfügbarkeit von Standorten außerhalb von Sandwüsten (Sandsturmproblematik)
Gewaltiger Finanzbedarf (Die EU-Kommission ist skeptisch: "400 billion Euro is a lot of money."; EPR in Finnland war mit 3 Milliarden kaum finanzierbar)
Gewaltige finanzielle Risiken für Banken und Versicherungen
Fehlende Rechtssicherheit für die "Investoren" (u.a. Eigentumsgarantie) Terror- bzw. Sabotagegefahr (vgl. Einschätzung von Vattenfall dazu) Gefahr der militärischen Aneignung der Anlagen durch andere Staaten Gefahr einer Energierevolte durch die lokale Bevölkerung (vgl. Probleme in Nigeria), daher Notwendigkeit von brutalen Sicherheitsapparaten
Eine vorrangige Abnahmegarantie zu garantierten hohen Preisen durch die Netzbetreiber ist nicht leicht durchsetzbar (Wüstenstrom wird für die Verbraucher teuer!) Preiswerte Konkurrenz durch dezentralen Wind- und Solarstrom stellt die Finanzierung in Frage

Die unrealistischen Verheißungen von Großprojekten

Man darf in der Desertec-Diskussion auch die psychologische Komponente nicht außer Acht lassen. Die schiere Größe technischer Vorhaben begeistert und elektrisiert immer wieder die Menschen. Je größer die beteiligten Konzerne, je größer der Finanzbedarf und je größer das Vorhaben, desto eher glauben viele an eine schnelle Realisierung.

Die Argumentation läuft ganz ähnlich wie während der Atom-Euphorie der 1950er und 60ere Jahre: Mit dem konzentrierten Einsatz geballter Energie lösen die beteiligten Physiker, Ingenieure und Konzerne mit einem Streich die Energieprobleme der Menschheit. Die Sehnsucht auf der einen Seite trifft auf das Versprechen einer vollständigen und schnellen Erlösung auf der anderen Seite.

Bei nüchterner Betrachtung ist allerdings festzustellen, dass es sich in aller Regel um völlig unrealistische, von den Medien und von interessierter Seite aufgeputschte Verheißungen handelt. Fast alle Großprojekte der Energiepolitik sind entweder vollständig, zumindest aber in der lautstark angekündigten Dimension gescheitert.

Hier einige Beispiele:

Wiederaufarbeitung
Schneller Brüter
Hochtemperaturreaktor
Fusionsreaktor
Dutzende Atomexporte von Siemens
Renaissance der Atomenergie mit Dutzenden Europäischen Druckwasser-Reaktoren (z.B. auch der vor Jahren geplante EPR im russischen Smolensk mit HGÜ-Atomstromtrasse nach Berlin/Kassel)
Europäische Stromtrassen
Zahllose Pipeline-Projekte

Für all diese Projekte fließt zwar jede Menge Geld in die Taschen von Forschungseinrichtungen und Konzernen, realisiert wird aber so gut wie nichts. Vielleicht geht es auch beim Wüstenstrom nur um milliardenschwere Subventionen für viel beschriebenes Papier, Konferenzen und für heiße Luft?!

Man darf jedenfalls nicht jede Ankündigung von Konzernen für bare Münze nehmen. Das Desertec-Konzept wird in der vorgeschlagenen Form niemals Realität werden - ebenso wie in den vergangenen drei Jahrzehnten.


Deutsche Bank gibt Schneckentempo vor

Das Desertec-Konzept ist ohnehin nichts anderes als ein Gedanken-Modell, das mit der Realität nichts zu tun hat. In der Realität geht es lediglich um die mögliche Realisierung von Einzelprojekten, also um einzelne solarthermische Kraftwerke und um einzelne Stromtrassen oder gar nur um Lückenschlüsse. Und jedes einzelne Teilprojekt muss mühsam auf den Weg gebracht werden. Eine schnelle Realisierung ist völlig ausgeschlossen.

Das Desertec-Konzept sieht auf dem Papier optimistisch eine Realisierung bis 2050 vor, um dann lediglich 15% des Stroms zu liefern. Diese 15% Strom aber können zusätzliche dezentrale Anlagen in nur wenigen Jahren bereitstellen.

Diese optimistischen Vorhersagen der Desertec-Promotoren werden von den beteiligten Konzernen aber in keiner Weise unterstützt. Die Deutsche Bank bremst wie schon seit vielen Jahren beim Tempo. Tenor: Wir haben viel Zeit, keine unnötige Hektik. Die Deutsche Bank ist sich zudem alles andere als sicher, ob das Konzept tatsächlich umsetzbar ist. Mit Hilfe von Pilotprojekten soll zunächst die Frage beantwortet werden, ob das Vorhaben in Nordafrika realitätstauglich ist: "Does it work in this context?"

Ebenso zurückhaltend zeigt sich RWE: "Desertec heißt das Projekt. Aber noch ist es Vision", so RWE-Manager Frank Dinter in einer Anzeige des Unternehmens.

Das zeigt, dass es alles andere als wahrscheinlich ist, dass Desertec im Jahr 2050 15% des Stroms in Europa liefern wird.


"The hidden nuclear agenda"

Der Europaabgeordnete Claude Turmes warnt obendrein vor einer versteckten Nuklear-Agenda ("The hidden nuclear agenda"). Turmes verfügt über Dokumente und mündliche Informationen, wonach die Stromtrassen zwischen Nordafrika und Europa faktisch für den Transport von Kohle- und Atomstrom gebaut werden sollen. Italienische und französische Unternehmen wollen in Tunesien ein Kohlekraftwerk und in Ägypten und Albanien Atomkraftwerke bauen. Ein Großteil des Stroms soll nach Europa geliefert werden und dafür werden die vermeintlichen Solarstrom-Seekabel benötigt. Das Desertec-Konzept dient also möglicherweise der Legitimierung der Kohle- und Atomstromleitungen ("Green Washing").

Insbesondere auch bei den Ankündigungen Frankreichs, man wolle in Konkurrenz zu Desertec Solarstrom aus Nordafrika nach Europa importieren, sollte man vorsichtig sein und nicht vorschnell einen produktiven Solar-Wettbewerb annehmen. Gut möglich, dass es Frankreich insgeheim nur um die politische Durchsetzung von Atom- und Kohlestromtrassen zwischen Afrika und Europa geht.

Die potenzielle Lüge bei der Legitimierung des Netzausbaus erinnert im Übrigen an Kommunikationsstrategien in Deutschland: Auch bei den geplanten Stromtrassen in Norddeutschland, die mit den geplanten Offshore-Windparks legitimiert werden, geht es interessierten Kreisen offenbar darum, Strom aus neuen Kohlekraftwerken von Nord- nach Süddeutschland zu transportieren.


"Desertec" ist die Fortschreibung eines falschen "Geschäftsmodells"

Nimmt man an, dass es in den kommenden Jahrzehnten zur Errichtung einiger solarthermischer Kraftwerke in Nordafrika kommen könnte, so stellt sich die Frage nach den Motiven und Beweggründen der beteiligten Konzerne und nach dem möglichen Nutzen für die Bevölkerung.

Die an dem Vorhaben interessierten Großbanken (insbesondere die Deutsche Bank), Versicherungsriesen (Münchener Rück) und Energiekonzerne haben allein deswegen ein Interesse am Desertec-Konzept, weil es eine Fortschreibung des gesellschaftsschädlichen "Geschäftsmodells" der heutigen Stromwirtschaft zu erlauben scheint. Es geht um ein "System der Abzocke", bei dem relativ günstig erzeugter Großkraftwerksstrom (niedrige Kosten) mit staatlicher Billigung zu weit überhöhten Strompreisen (hohe Preise) an die Bevölkerung verkauft wird. Dadurch werden gigantische Gewinne realisiert.

Von technischer Seite ist es hierbei völlig egal, ob es sich um ein Atomkraftwerk, ein Kohlekraftwerk, ein Offshore-Windpark oder um ein Wüstenkraftwerk handelt. Ausschlaggebend ist allein, dass sich die Großkraftwerke in der Hand weniger Finanzhäuser und Energieriesen befinden.

Der Staat soll auch wie üblich alles vorfinanzieren und das volle Risiko tragen. Staatssubventionen sollen den Bau der HGÜ-Stromtrassen bzw. von Kraftwerken ermöglichen, das vermeintliche unternehmerische Risiko wird u. a. durch Hermes-Bürgschaften aufgefangen, öffentliche Banken sollen zinsgünstige Dumping-Kredite vergeben (vgl. Billig-Kredit für den EPR-Atomkraftwerksbau in Finnland), während private Großbanken selbstverständlich den vollen Zins kassieren. Es handelt sich im Kern um ein Konzept der Vermögenskonzentration bei den einschlägigen Großkonzernen und zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise.

Mit einem Europäischen Verbundnetz im Zuge einer potenziellen Teilrealisierung des Desertec-Konzepts entstünde ein europäisches Super-Monopol, das die Umverteilung von unten nach oben möglicherweise noch sehr viel aggressiver durchsetzen könnte als heute schon. In diesem Kontext ist zu sehen, dass schon heute ärmere Bevölkerungsschichten Probleme haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen. Desertec könnte insofern zur weiteren Verarmung in Europa beitragen.


Kein Konzept der Entwicklungshilfe

Auch in Entwicklungsländern profitieren erwartungsgemäß natürlich lediglich die reichen Eliten von Großkraftwerken. Die reichen und einflussreichen Clans werden es verstehen, Liefer- und Service-Verträge für eigene Firmen durchzusetzen, von Landverkäufen bzw. Verpachtungen zur profitieren, Miteigentümer der Großkraftwerke zu werden etc. etc.

Die breite Bevölkerung hingegen zahlt - sofern und soweit sie sich einen Strombezug überhaupt leisten kann - wie bei uns üblich die Zeche durch überhöhte Strompreise. Desertec wäre insofern nichts als eine Kopie der europäischen "Stromdiktatur" auf Entwicklungsländer.

Obendrein würden die europäischen Stromkonzerne wie RWE und EdF (Électricité de France) ihre Marktmacht nicht nur in Europa vertiefen, sondern auf Nordafrika und den Nahen Osten ausdehnen. Immer mehr Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten würden Kunden von RWE & Co.

Auch für Entwicklungsländer dürfte daher grundsätzlich die Empfehlung richtig sein, dass breite Bevölkerungskreise nur von "Kraftwerken in Bürgerhand" profitieren können. Die Entscheidung über die Energieversorgungsstruktur obliegt aber natürlich den Betroffenen selbst.


Wüstenstrom blockiert den dezentralen Weg

In Europa ist Desertec eine Kampfansage an den laufenden, dezentralen Ausbau Erneuerbarer Energien in Bürgerhand. Denn das deutsche Stromnetz ist schon heute "übervoll". Trotz der Stillstände mehrerer Atomkraftwerke exportierte Deutschland in den vergangenen Jahren jede Menge Strom ins Ausland. Geplante Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke, Weiterbetrieb und Neubau von Kohlekraftwerken sowie der dezentrale Zubau Erneuerbarer Energien werden die Stromüberschüsse in Deutschland weiter erhöhen.

Das wird erwartungsgemäß zu deutlich verschärften Auseinandersetzungen um die privilegierte Einspeisung von Strom ins Netz führen. Für "Desertec-Strom" ist im Netz eigentlich "kein Platz", außer es gelingt den Konzernen, eine vorrangige bzw. privilegierte Einspeisung des Wüstenstroms politisch durchzusetzen.

Die Banken werden schlichtweg nicht dazu bereit sein, Wüstenkraftwerke mitzufinanzieren, wenn der Absatz des Stroms in das Netz nicht staatlich absolut wasserdicht garantiert ist und garantiert hohe Preise für den Strom bezahlt werden. Schon heute sieht man beim EEG, wie das läuft: Offshore-Windstrom kann privilegiert und zu deutlich höheren Preisen eingespeist werden als Binnen-Windstrom. Die Finanzierung von Wüstenkraftwerken steht und fällt also mit wasserdichten langfristigen staatlichen Einspeisegarantien.

Welchen Strom aber wird der Wüstenstrom dann potenziell verdrängen? Die großen Energiekonzerne werden alles daran setzen, dass Strom aus Kohlekraftwerken und aus Atomkraftwerken nicht verdrängt wird. Erwartungsgemäß würde es dann darauf hinauslaufen, dass der erneuerbare Strom aus Bürgerkraftwerken nicht mehr privilegiert und zu adäquaten Preisen ins Stromnetz eingespeist werden kann. Dadurch würde der weitere dezentrale Ausbau dann weniger wirtschaftlich und möglicherweise sogar weitgehend zum Erliegen gebracht.

Doch selbst wenn - wie erwartet - der Wüstenstrom nicht in größerem Stil realisiert wird, so blockiert er schon heute den dezentralen Ausbau. Weil nämlich Konzerne, Bundesregierung, Medien, Grüne und Greenpeace die Illusion verbreiten, Desertec werde schon morgen alle unsere Energiesorgen lösen, fehlen wesentliche Triebkräfte zur weiteren Beschleunigung des dezentralen Ausbaus der Erneuerbaren Energien.

Potenziellen Investoren in dezentrale Anlagen wird vorgemacht, vermeintlicher "Low-Tech-Wüstenstrom" sei besser als die Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach. Und im Vertrauen auf die schnelle Realisierung "guter" Offshore-Windparks werden grüne Kommunalpolitiker davon abgehalten, vor Ort für die Durchsetzung von Binnen-Windenergieanlagen zu kämpfen.


Für "Kraftwerke in Bürgerhand"

Vor diesem Hintergrund spricht alles für dezentrale Kraftwerke in Bürgerhand. Wie die Realität der vergangenen Jahre zeigt, kommt der Ausbau dezentraler Energieanlagen mit großer Geschwindigkeit voran. Dafür gibt es sehr viel mehr Investoren als beim zentralistischen Weg. Diese Investoren müssen keinerlei Rücksicht auf ihre Monopolstrukturen und auf eigene Kohle- und Atomkraftwerke nehmen.

Eine dezentrale Energiewirtschaft stärkt die wirtschaftliche Potenz von Bürgern und Kommunen, stärkt die Freiheit und das Selbstbewusstsein der Menschen, fördert die Demokratie, sorgt für mehr Verteilungsgerechtigkeit, reduziert die Gefahr der Energie-Armut, fördert regionale Wirtschaftskreisläufe, sorgt für Arbeitsplätze in der Region und fördert somit indirekt die Gesundheit der Menschen.


Für eine kriegs-präventive dezentrale Energiewirtschaft

Durch die Nutzung heimischer Erneuerbarer Energien werden Energieimporte im großen Stil überflüssig. Länder, die auf "Energieautonomie" setzen, werden sich in Zukunft nicht mehr an Energie-Kriegen beteiligen (müssen). Eine dezentrale Energiewirtschaft ist daher ein ganz entscheidender Schlüssel für die Verhütung von Kriegen. Weder die Deutsche Bank, noch RWE, noch die Bundesregierung, noch die großen Medien, noch die Parteien, noch Verbände wie Greenpeace können eine auf dem Reisbrett entworfene Energiezukunft vollständig durchsetzen. Es wird in der Realität einige solarthermische Kraftwerke geben (evtl. auch in der Wüste) und es wird einen weiteren massiven dezentralen Ausbau geben. Auch wird es noch auf Zeit fossile und nukleare Großkraftwerke geben.

Einfluss haben die genannten Akteure allerdings darauf, den Energie-Mix mehr in die eine oder in die andere Richtung - möglicherweise ganz erheblich - zu verschieben. Vor diesem Hintergrund geht es nicht darum, das eine oder andere solarthermische Kraftwerk zu verteufeln. Soll es doch gebaut werden. Kein Problem!

Es geht allerdings darum, dass sich der dezentrale Weg als der aus den dargelegten Gründen einzig sinnvolle möglichst weitgehend durchsetzt, nicht zuletzt auch aus friedenspolitischen Gründen. Dafür müssen sich möglichst viele Akteure gemeinsam stark machen.

Henrik Paulitz ist Energie-Experte der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Kontakt: paulitz@ ippnw.de; www.ippnw.de/atomenergie


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Quelle:
Solarzeitalter 2/2010, 22. Jahrgang, S. 3-9
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
Redaktion: EUROSOLAR e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2010