Mitwelt-Stiftung-Oberrhein - 6. Februar 2023
Hintergrund:
1973 - 2023: 50 Jahre keine Brennelementfabrik / Plutoniumfabrik
BBR in Heitersheim
von Axel Mayer
Wir schreiben das Jahr 2023. Die letzten deutschen AKW werden (hoffentlich) abgestellt und die Brennelementefabrik in Lingen steht ohne russisches Uran vor dem Aus.
Wenn heute an Atomprotest am Oberrhein erinnert wird, dann gilt dieses Erinnern zumeist dem erfolgreichen Fessenheim-Protest oder den durch Bauplatzbesetzungen verhinderten AKW in Wyhl und Kaiseraugst(CH). Die erfolgreichen Proteste gegen das französische AKW in Gerstheim bei Strasbourg und gegen das geplante Hochrhein-AKW in Schwörstadt werden meist vergessen. Auch in Breisach am Kaiserstuhl war 1971 der Bau eines der größten AKW-Standorte der Welt (mehrere Reaktorböcke mit insgesamt 4000 MW!) geplant.
Häufig ganz vergessen wird der erfolgreiche Protest gegen die Brennelementefabrik BBR in Heitersheim, der im Jahr 1973 seinen Anfang nahm.
Bis 1973 profitierte die Wirtschaft in Heitersheim von Schacht III des Kalibergwerks Buggingen mit vielen Arbeitsplätzen. Als 1973 die Kalibergwerke in Heitersheim und Buggingen ihren Betrieb einstellten (und vor der Schließung, passend zum Zeitgeist, noch unsachgemäß Giftmüll eingelagert wurde), gingen über tausend Arbeitsplätze verloren. Es sollte dann dort eine Brennelementefabrik angesiedelt werden. Versprochen wurde zuerst, dass 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Es zeigte sich allerdings, dass lediglich 150- bis 200 neue Arbeitsplätze in die Region gekommen wären.
Im Herbst 1973 begannen nicht öffentliche, geheime Verhandlungen
zur Ansiedlung einer Plutoniumfabrik. Im Herbst 1974 wurden diese
Gespräche durch Whistleblower öffentlich. Es wurde öffentlich
bekannt, dass beim gerade erst stillgelegten'Schacht 3' der
Kalisalz-Grube Buggingen [1] eine Brennelementefabrik geplant
war, die nicht nur Uran sondern evtl. auch Plutonium verarbeiten
sollte. Es bestand die Gefahr, dass für die Brennelemente auch
hochgiftiges Plutonium verwendet worden wäre.
Anfang Texteinschub
Der giftigste Stoff der Welt
"Plutonium - sinnigerweise benannt nach Pluto, dem griechischen
Gott des Totenreiches - ist der giftigste Stoff, den es gibt.
Seine kurz reichende Alpha-Strahlung reißt gewissermaßen tiefe
Schneisen in jedes lebende Gewebe und zerstört es. Dabei kann es
nur schwer oder gar nicht ausgeschieden werden. Es setzt sich
fest, reichert sich sogar an, die Strahlung ist bei einer
Halbwertszeit von 24000 Jahren faktisch dauerhaft vorhanden.
Bereits wenige Millionstel Gramm (Mikrogramm) können sofort,
sogar nur etliche Milliardstel Gramm (Nanogramm) langfristig
tödlich wirken ..." Zitat Frankfurter Rundschau
Ende Texteinschub
Schon vor dem Bekanntwerden dieser Pläne gab es wenige Kilometer
von Heitersheim entfernt in Fessenheim und Breisach [2] massive
Proteste gegen geplante Atomanlagen. So kam es am nahen
Kaiserstuhl im September 1972 zur ersten großen Kaiserstühler
Treckerdemo mit 560 landwirtschaftlichen Fahrzeugen.
Die BBR-Nein-Gruppe in Heitersheim/Baden war ab 1973 aktiv, um die geplante Plutoniumfabrik, welche für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich Plutonium-Brennelemente produzieren sollte, zu verhindern. Der BBR-Nein-Gruppe gelang es im Zusammenspiel mit einer erwachenden Umweltbewegung am Oberrhein, eine große Mehrheit gegen die Ansiedlung der Fabrik zu organisieren. Sie veröffentlichte u.a. die Broschüre 'Die BBR in Heitersheim'. Vom AK Umweltschutz der Uni Freiburg erschien 1975 die Broschüre 'Kein Plutonium nach Heitersheim'. Die Stimmung in der Bevölkerung wendete sich ab 1975 gegen die planende Betreiber-Firma. Während einer Bürgerversammlung wurden von der Gruppe 'BBR Nein' zwei Korruptionsfälle aufgedeckt. Die frisch gegründete AGUS (Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Markgräflerland) half der örtlichen BI politisch und juristisch.
Die Brennelementefabrik in Heitersheim war letztendlich
politisch nicht durchsetzbar, auch weil sich immer mehr
Winzergenossenschaften dem Protest anschlossen.
Diese frühen, verzweifelt-hoffnungsfrohen ökologischen Konflikte
am Oberrhein (Heitersheim (D), Marckolsheim (F), Wyhl (D),
Kaiseraugst (CH), Gerstheim (F)...) brachen erstmals mit der
vorherrschenden Nachkriegslogik der Gier, des Wachstumszwangs und
der Zerstörung. Sie waren erste Zeichen der Hoffnung mit
Fernwirkung und haben die globalen Zerstörungsprozesse
entschleunigt. Mit der Schließung der letzten drei deutschen AKW
endet im Jahr 2023 eine Phase, die vor einem halben Jahrhundert
auch in Heitersheim begonnen wurde.
Doch die Macht der weltweiten Atomlobby zeigt sich immer noch. In den perfekten aktuellen Desinformationskampagnen zum Atomausstieg und wenn alle Energieimporte aus Russland nach Europa boykottiert werden, nicht aber der Import von russischem Uran nach Europa [3] und wenn dies (fast) kein Medienthema ist.
Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein
(Der Autor ist seit einem halben Jahrhundert in der
Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer
in Freiburg)
[1] https://deref-gmx.net/mail/client/QOQAyA2gxlk/dereferrer/?redirectUrl=https%3A%2F%2Fwww.mitwelt.org%2Fkalihalde-buggingen-verursacherprinzip-erfolg.html
[2] https://deref-gmx.net/mail/client/6O0SWuQ7Ncg/dereferrer/?redirectUrl=https%3A%2F%2Fwww.mitwelt.org%2Fakw-kkw-atomkraftwerk-breisach
[3] https://deref-gmx.net/mail/client/SDtTHi-zIeQ/dereferrer/?redirectUrl=https%3A%2F%2Fwww.diepresse.com%2F6242321%2Fwie-die-atomindustrie-in-der-eu-und-den-usa-von-russischem-uran-abhaengt
weitere Informationen:
https://www.mitwelt.org
https://www.mitwelt.org/keine-brennelementefabrik-heitersheim-bbr
Getragen von der kleinen Hoffnung auf das vor uns liegende
Zeitalter der Aufklärung
(das nicht kommen wird wie die Morgenröte nach durchschlafner
Nacht)
*
Quelle:
Mitwelt-Stiftung Oberrhein, 06.02.2023
mit freundlicher Genehmigung des Autors Axel Mayer
Venusberg 4, 79346 Endingen
mitwelt.stiftung(at)gmx.net
https://www.mitwelt.org
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. Februar 2023
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