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INITIATIVE/494: "Begegnung auf Augenhöhe" - Fragen an Citizen-Science-Experte Peter Finke (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

"Begegnung auf Augenhöhe"

Fragen an Citizen-Science-Experte Peter Finke


Peter Finke ist ein Freund klarer Worte. 2006 trat der Professor für Wissenschaftstheorie und Kulturökologie aus Protest gegen die Folgen des als Bologna-Reform bekannten EU-weiten Umbaus der Hochschulausbildung freiwillig noch vor der Pensionsgrenze aus dem regulären Dienst aus. Seit Jahrzehnten aktives NABU-Mitglied, bezeichnet er sich selbst als "Citizen-Science-Aktivist seit der Schülerzeit". Mit kritischem Blick auf den Wissenschaftsbetrieb wirbt er für eine "Begegnung auf Augenhöhe" zwischen Bürgern und Wisssnschaft.


Herr Professor Finke, was bedeutet eigentlich "Citizen Science"?

Die noch wichtigere Frage ist: Was heißt eigentlich "Wissenschaft"? Es ist falsch, mit dieser Bezeichnung nur die Berufswissenschaft der Hochschulen und Forschungslabors zu meinen. Es gibt viele gute Sachkenner, die sich Forschung zutrauen: an Themen ihres Interesses, und das nicht auf einer Stelle, sondern "nebenbei", ehrenamtlich. Die meisten tun es nicht schlecht oder dilettantisch, sondern sehr zuverlässig und solide. Sie haben alles gelesen und gelernt, was sie zu ihrem Gebiet fanden. Man denke nur daran, wie intensiv sich manche Menschen mit einem Hobby beschäftigen. Doch es geht nicht nur um Hobbys, es geht um bürgerschaftliches Engagement.

Und was ist das Ziel dieses Engagements?

Privileg und Stärke von Citizen Science ist es, den schleichenden bis rasenden, erwünschten bis gefährlichen Wandel in unserer Umwelt wahrzunehmen und zu dokumentieren. Der NABU muss sich nicht drängen lassen, endlich Citizen Science-Projekte aufzulegen. Er tut dies von Anbeginn und er tut es sehr erfolgreich. Die "Stunde der Gartenvögel" oder andere, anspruchsvollere populäre Programme setzen die Citizen-Science-Idee einfach und mit großem Wiederhall um.

In wichtige politische Fragen mischt man sich zu Recht ein, weil sonst die Macht der ökonomischen Nutzungsinteressen alles Gemeinnützige kaputt zu machen droht. Übrigens macht Citizen Science in der Regel zwar viel Spaß, aber auch nicht immer Spaß. Es handelt sich eben nicht nur um Hobbywissenschaft. Der Alltag des ehrenamtlichen Ornithologen, Botanikers oder Schmetterlingsforschers kann frustrierend sein, wenn Jahr für Jahr der Artenschwund deutlicher wird.

Wie kann man Bürgerwissenschaft am besten fördern?

Seit Anbeginn einer Wissenschaftspolitik hat man immer nur die Profis gefördert. Dass es noch etwas anderes gibt, wurde gar nicht gesehen. Aber will man denn wenigstens heute wirklich die Wissenschaft der freien Bürger fördern? Ich habe manchmal meine Zweifel, wenn ich sehe, wie groß der Einfluss der beruflichen Standesorganisationen auf die Politik ist. Da legt man nun zwar, gemeinsam mit diesen, seit Neuestem ein Programm zur Förderung von Citizen Science auf, doch wen fördert man damit tatsächlich? Nur Profis dürfen Anträge schreiben, und nur sie bekommen Geld dafür, dass sie sich "Citizen Science-Projekte" ausdenken.

Was wäre der richtige Ansatz?

Wenn man Bürgerforschung wirklich fördern will, sollte man sich ein Beispiel am Naturschutz nehmen. Zuerst kommt eine unvoreingenommene Bestandsaufnahme: Was ist (noch) vorhanden, wo und warum? Entsprechend muss man fragen: Wo bei uns gibt es bürgerschaftliches Engagement, bei dem sich Menschen freiwillig dafür einsetzen, bei Fragen weiterzukommen, die akademisch nicht entschieden genug vorangetrieben werden? Da hätte man zum Beispiel manche Vereine gefunden, aber auch gute Einzelkämpfer.

Zweiter Schritt: den bestehenden Bestand sichern, indem man seinen Lebensraum absichert und auch im Umfeld wieder bessere Bedingungen schafft. Heißt: Bürgerforscher arbeiten oft unter erbärmlichen Bedingungen - von der Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen, von den Medien nicht ausreichend unterstützt, durch die Diskriminierung, "Dilettanten" zu sein, behindert. Das könnte man ändern, ohne die Ehrenamtlichkeit anzutasten, die wichtig ist.

Die Themenfindung ist aber nicht der einzige Konfliktpunkt.

Stimmt. Eine wichtige juristische Frage ist zum Beispiel, wem eigentlich erhobene Daten gehören. Der Antwortrahmen ist klar: Sie gehören immer demjenigen, der sie erhoben hat. Aber im Detail gibt es viel Streit: Dürfen Behörden, die diese Daten brauchen, sie ihren Beschaffern und Besitzern durch Ausübung moralischen Drucks abbetteln? Wie heißt es dort? "Du hast das doch ehrenamtlich erhoben, es gehört also im Grunde der Allgemeinheit." Das ist Unsinn. Ehrenamtlichkeit wird hier mit Kostenlosigkeit verwechselt, die auch gar nicht gegeben ist. Privat getragene Kosten sind auch Kosten. Freizeit ist auch Zeit. Inhalte von allgemeiner Bedeutung sind nicht deshalb frei verfügbar. Oft werden solche Forschungsergebnisse beansprucht, ohne auf die Idee zu kommen, dass man dafür wenigstens eine Aufwandsentschädigung bezahlen müsste.

Bürgerforscher arbeiten oft unter erbärmlichen Bedingungen, werden nicht wahrgenommen oder diskriminiert.

Also geht es auch ums liebe Geld?

Es gibt zwar Leute, die meinen, Geld sei die größte Mangelware der Wissenschaft und auch der Bürgerwissenschaft. Aber das ist falsch. Zeitmangel ist ein viel größeres Problem, der Erwartungsdruck von Lobbys und Interessengruppen, die Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit, aber auch der oft zu beklagende Mangel an Mut, sich alldem zu widersetzen. Geld fehlt vielen Fächern dann, wenn Politik und Wirtschaft sich von deren Themen keinen Profit in ihrem Sinne erwarten, daher die verbreitete Vorstellung vom Mangelfaktor Geld. Aber ein Blick auf Boomfächer wie Nano-, Pharma- oder IT-Forschung, auch Genetik oder reine Zweckforschung zeigt: Wenn die Außeninteressen und Nutzenerwartungen stimmen, ist Geld vorhanden - manchmal so viel, dass die Betroffenen Probleme damit haben, es sinnvoll auszugeben.

Was ist dabei die Rolle der Zivilgesellschaft?

Man hört immer wieder Redeweisen wie "Wissenschaft trifft auf Gesellschaft" oder gar "Wissenschaftler diskutieren mit Bürgern". Jede Wissenschaft ist Teil und Produkt einer Gesellschaft, jeder Wissenschaftler ist selber ein Bürger und viele dieser Bürger sind zwar keine Berufswissenschaftler, aber dennoch hervorragende Sachkenner auf bestimmten Gebieten. Es ist also wichtig, dass Berufswissenschaftler nicht nur zu Ihresgleichen reden, sondern endlich lernen, auf Augenhöhe auch mit normalen Menschen, mit Laien, Nichtprofis der Wissenschaft zu kommunizieren, in einer Sprache, die die auch verstehen können. Und sie müssen sich auch auf deren Sprache einlassen. Sie müssen begreifen, dass sie unter Umständen auch von den Laien etwas zu lernen haben: den Blick für Zusammenhänge, für die Bedeutung des Ganzen, des Nahen. Das geschieht immer noch viel zu selten.


Peter Finke, 73, geboren in Göttingen, lehrte u.a. ab 1982 Wissenschafts-, Sprach- und Kulturtheorie an der Universität Bielefeld und sieht Citizen Science als Weg zu einer echten Wissensgesellschaft.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/16, Seite 12 - 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2016

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