Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

STADT/339: Berlin - Geht die Spree den Bach runter? (Der Rabe Ralf)


DER RABE RALF
Nr. 174 - Juni/Juli 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Geht die Spree den Bach runter?
Zwischen Realität und ersehnter Lebensqualität

von Janine Behrens



Wo beginnt Qualität und wo hört sie auf? Schaut man sich die Spree in ihrem Verlauf mal etwas genauer an, dann kann von Qualität kaum irgendwo die Rede sein. In Brandenburg bahnt sich die Verockerung der Spree (siehe RABE RALF Februar/März 2013), bedingt durch die Klima- und Umweltkiller Braunkohletagebaue, ihren Weg. Der "Eisenschlamm", der beim Braunkohleabbau in Verbindung mit Sauerstoff und Grundwasser entsteht und irgendwann auch die Berliner Spree erreichen wird, nimmt Flora und Fauna im Brandenburgischen Spreewald zunehmend die Lebensgrundlage. Und auch für's menschliche Auge und Wohlbefinden ist die braune Suppe wenig anschaulich. Hinzu kommt die stetig steigende Sulfatbelastung - ebenfalls ein lästiges Nebenprodukt der Braunkohlegiganten. Steigt der Sulfat-Messwert weiter in der Spree, so haben wir in Berlin bald kein beispielgebend sauberes Trinkwasser mehr. Auch für die Gesundheit sieht es düster aus, denn die hohe Sulfatbelastung, die sich perspektivisch auf das Trinkwasser niederschlagen wird, ruft heftige Magen-Darm-Beschwerden hervor.

Doch gerade die Berliner Innenstadt kämpft mit einem weiteren leidigen Problem: Mischkanalisation. Jährlich fließen über drei Millionen Kubikmeter Abwasser in die Spree ab, weil die Kanalisation aufgrund starker Regenfälle etwa 20 bis 30 Mal im Jahr überläuft.

Doch es regt sich Widerstand gegen die dreckige Brühe - seit einigen Jahren entdecken Berliner/-innen, welchen Erholungsfaktor so ein Fluss in der lauten Großstadt bieten kann. Ob Strandbars am Spreeufer in Mitte, das gut besuchte Badeschiff in Kreuzberg oder ein ruhiger Wanderweg entlang ihrer Nebenflüsse in Marzahn: die Berliner/-innen zieht es ans Wasser.

SpreeCity

Seit 2010 initiieren verschiedene Organisationen, darunter die GRÜNE LIGA Berlin, unter dem Dach des Projekts Stadtgespräch Berlin mit Experten, Politikvertretern und Einwohner/-innen bürgernahe Dialoge rund um den Themenkomplex Wasser in Berlin. In diesem Jahr sollen die Stadtgespräche mithilfe des neuen Projekts SpreeCity, das durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt gefördert wird, handlungsorientiert verschärft werden. Der Diskussionsprozess soll sich an zwei Themensträngen orientieren und abarbeiten.

Der erste Komplex wird die Wasserqualität der Spree näher beleuchten. Fragen, warum der Gewässerzustand noch nicht den europäischen Anforderungen entspricht, welche neuen Zielsetzungen sich daraus ableiten, Fragen nach Einflussmöglichkeiten im öffentlichen wie auch privaten Raum und sogar die Realisierbarkeit von Badewasserqualität werden zur Diskussion gestellt.

Der zweite Themenstrang bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Wasser und Stadt. Die Ufernutzung infolge der Einengung der Spree durch das Wachstum Berlins sowie die zukünftige Uferentwicklung und die Frage nach der Bedeutung der Spree für die Menschen heute werden hier eine Rolle spielen.

Im Rahmen von SpreeCity fanden bereits zwei gut besuchte Stadtgespräche statt, zwei weitere folgen in diesem Jahr. Darüber hinaus sind Aktionen am Fluss in Kooperation mit Initiativen entlang der Spree von Mai bis September 2013 sowie ein weiterer Entscheiderworkshop (einer fand bereits im März statt) zur Identifizierung der in der Stadt diskutierten Themen und die anschließende Diskussion der Vorschläge im Oktober/November geplant.

Zudem wird es auf dem Umweltfestival der GRÜNEN LIGA Berlin am 1. und 2. Juni für Bürger/-innen die Möglichkeit geben, an einer interaktiven Karte Gedanken und Vorschläge, die sie mit der Entwicklung der Spree verbinden, öffentlich darzustellen.

Bilanz

Seit dem Jahr 2000 gibt es die Europäische Wasserrahmenrichtlinie, ein Gesetz für den Gewässerschutz. Diese besagt, dass bis 2015 alle EU-Länder dafür Sorge zu tragen haben, dass ihre Oberflächengewässer sowohl in einen guten chemischen als auch ökologischen Zustand zurückzuführen sind. Bürger/-innen sollen dabei in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Hier und dort hat es funktioniert, vielerorts aber ist kaum etwas passiert. Trotz reger Proteste der Umweltschützer musste die Bundesregierung 2011 bekanntgeben, dass bis 2015 nur 18,5 Prozent der Oberflächengewässer in Deutschland der Zielsetzung entsprechen werden. Im Klartext bedeutet das: Vier von fünf Flüssen haben bis dato mit Sauberkeit und Lebensqualität nur wenig zu tun.

Projekte, wie insbesondere SpreeCity, die den Weg des (inter)aktiven Bürgerdialogs eingeschlagen haben, sind schön und gut - dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um die Lebensqualität an der Spree mit all' ihren Facetten zu verbessern, ist ein Umdenken der Politiker/-innen notwendig, was gegenwärtig noch auf sich warten lässt. Von den Ergebnissen aus Stadtgesprächen und Workshops werden die sich kaum beeindrucken lassen, so manch einer meint schließlich auch, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, so zumindest glauben sie selbst. Lieber schmücken sie die politischen Agenden mit kostspieligen Prestigeprojekten, wie dem Bau des teuersten Autobahnteilstücks Deutschlands, wie es sich für die hochverschuldete Hauptstadt gehört.

Berlin besteht zu sieben Prozent aus Wasser. Ein Prozent davon entspricht bislang den Kriterien der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Für eine Hauptstadt, die Vorbildfunktion genießen sollte, ein Armutszeugnis. Ob Flughafen, Autobahn oder Staatsoper: In Berlin geht so einiges den Bach runter - leider auch die Spree.

*

Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 174 - Juni/Juli 2013, Seite 6
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2013