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STRAHLUNG/095: Das neue Strahlenschutzgesetz - Fortschreibung des Lehrgebäudes der Atomlobby (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 3/2017
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

STELLUNGNAHME
Das neue Strahlenschutzgesetz - Fortschreibung des Lehrgebäudes der Atomlobby

Von Inge Schmitz-Feuerhake


Für Deutschland wurde der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen, es ist aber Mitglied der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM. Diese hat mit Grundnormen-Richtlinien zum Strahlenschutz verbindliches europäisches Recht geschaffen, das die Bundesrepublik in innerdeutsches Recht umsetzen muss. Grundlage für die Strahlenschutzvorschriften bilden dabei die Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission ICRP, die seit Langem wegen ihrer Betreiberfreundlichkeit und Verharmlosung von Strahlenrisiken bei Umweltschutzgruppen in der Kritik steht.


Im Dezember 2013 wurde die Richtlinie 2013/59/EURATOM erlassen, um die Strahlenschutzgesetzgebung an neuere Erkenntnisse der ICRP anzupassen. Das Bundeskabinett hat daraufhin im Januar 2017 ein Strahlenschutzgesetz beschlossen, das sowohl die bisherige Strahlenschutzverordnung als auch die Röntgenverordnung ablösen soll. Es ist bereits vom Bundestag gebilligt worden.

Die Richtlinie basiert auf den Empfehlungen der ICRP in ihrer Publikation 103 aus dem Jahr 2007, in der wesentliche Erkenntnisse über Niederdosiseffekte aus den letzten Jahrzehnten nicht berücksichtigt werden. Während die ICRP auf der alten Behauptung beharrt, dass eine Dosis bei hoher Dosisleistung wie in Hiroshima und Nagasaki stärker krebserzeugend wirkt als eine kumulative nach einer Langzeitexposition, ergab sich genau das Umgekehrte in großen Studien an Nukleararbeitern, die innerhalb der gesetzlich zulässigen Dosisgrenzwerte messbar vermehrt an Krebs erkrankten.

Die ICRP lässt jedoch praktisch nur die Ergebnisse von den japanischen Atombombenüberlebenden als Referenzwerte gelten und halbiert dieselben noch, um sie für andere Anwendungsfelder von ionisierenden Strahlungen wie berufliche Exposition, Umweltkontaminationen und Röntgen einzusetzen (Anwendung eines Dosis- und Dosisraten-Effektivitätsfaktors (DDREF) = 2, s. Tabelle 1). Weitere Erkenntnisse der internationalen Forschung darüber, dass bei Erwachsenen Kreislauf- und andere systemische und organische Erkrankungen durch niedere Strahlendosen erzeugt werden, führen in ICRP 103 ebenfalls nicht zu erweiterten Schutzmaßnahmen.


Tab.1: Zu erwartende Gesundheitsschäden nach Exposition einer Bevölkerung mit niedriger Dosis, Angaben nach ICRP und Bewertung


Das genetische Strahlenrisiko, d.die Schädigung der Nachkommen nach Bestrahlung der Eltern, wird von der ICRP bis zur Unkenntlichkeit herunterdekliniert mit der Behauptung, es gäbe keinerlei wissenschaftliche Evidenz für einen solchen Effekt am Menschen bei niedriger Dosis. Dies ist nur möglich unter Ausblendung zahlreicher internationaler Forschungsergebnisse, insbesondere über die Folgen der radioaktiven Strahlung von Tschernobyl. Bekanntlich gibt es die offiziell verbreitete Behauptung internationaler Strahlenschutzgremien bis hin zur WHO, der Reaktorunfall habe praktisch keine Gesundheitsschäden in der Bevölkerung erzeugt mit Ausnahme einiger Schilddrüsenkarzinome bei Kindern.

Die gefundenen Effekte nach Tschernobyl werden einfach bestritten, indem man behauptet, die Bevölkerungsdosis sei viel zu klein gewesen, um erkennbare Folgen zu verursachen. Die Strahlendosis bei Umweltradioaktivität kann aber nicht direkt gemessen werden, sondern wird in Modellrechnungen mit vereinfachten Annahmen über die Ausbreitung der Radionuklide und ihr Verhalten im menschlichen Stoffwechsel abgeschätzt. Die Vertrauensbereiche der Ergebnisse, d.h. ihre Unsicherheiten, sind unbekannt. Auf die Probleme der Dosimetrie wird ebenfalls seit Langem von Kritikern hingewiesen und auch zu diesem Themenkomplex wurden Forderungen an den Gesetzgeber erhoben.

Die EU-Richtlinie versteht sich nämlich als Rahmenvorschrift und den einzelnen Mitgliedsstaaten sind verschärfte Strahlenschutzmaßnahmen gestattet, sofern sie der Richtlinie nicht widersprechen.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) setzt sich seit vielen Jahren für einen besseren Schutz gegenüber industriell erzeugten und natürlich auftretenden Strahlungen ein und hat die folgenden 14 Forderungen aufgestellt und begründet. Diese wurden in einer Verbändeanhörung vorgetragen, die das Bundesumweltministerium im Oktober 2016 zum Entwurf des neuen Strahlenschutzgesetzes durchführte. Angeschlossen haben sich diesen Forderungen die Deutsche und die Schweizerische Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), die Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. sowie zahlreiche Antiatom- und Umweltschutzgruppen und Einzelpersonen.

Forderungen des BUND an die Strahlenschutzgesetzgebung (2017):

  1. Ergänzung der vorrangigen Schutzziele um die Unversehrtheit der Nachkommen
  2. Senkung des Dosisgrenzwerts für die Bevölkerung um den Faktor 10 auf 0,1 mSv pro Jahr und Begrenzung der Kollektivdosis bei Maßnahmen mit Umweltkontaminationen
  3. Senkung der Dosisgrenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen um den Faktor 10
  4. Senkung von organspezifischen Grenzwerten: Haut und Augenlinse sind als empfindlich für stochastische Schäden einzustufen
  5. Einführung eines Dosisgrenzwertes für die Gonaden
  6. Erhöhung der Schutzvorschriften bei Schwangerschaft
  7. Verbindliches Regelwerk zur Begrenzung der diagnostischen Strahlenbelastung durch Berücksichtigung von Referenzdosen; Wiedereinführung der genetisch signifikanten Dosis in der diagnostischen Radiologie
  8. Einführung eines Grenzwerts für Radon in Gebäuden von 50 Bq/m³
  9. Senkung des Grenzwerts für den Radiumgehalt in Mineral- und Trinkwasser für die Vergabe des Hinweises "geeignet für Zubereitung von Säuglingsnahrung" auf 10 mBq pro Liter; Deklarationspflicht über den Radiumgehalt in Mineralwässern
  10. Berücksichtigung der höheren relativen biologischen Wirksamkeit von Neutronen und Protonen als nach ICRP für Dosisermittlungen bspw. bei Flugpersonal und Atomtransporten
  11. Erweiterung der Rechenvorschriften für die Ermittlung von Bevölkerungsdosen; Angabe von Vertrauensbereichen für Dosisfaktoren bei Inkorporation, bei Transportrechnungen nach AVV und weiteren Faktoren, die für die Berechnung von Strahlenexpositionen benötigt werden
  12. Aufhebung der aktuellen Freigaberegelungen für gering radioaktive Reststoffe und Abfälle
  13. Revision des Auswahlverfahrens für die Besetzung von Fachgremien
  14. Einrichtung von Universitätslehrstühlen für unabhängige Strahlenbiologie und Strahlengenetik

Die fehlerhafte Einschätzung der gesundheitlichen Folgen diskutiert der BUND anhand der in der Tabelle 1 aufgeführten Stichworte. Dieses und die Begründung für die übrigen Forderungen umfassen in der Stellungnahme 25 Seiten und stützen sich auf 143 Literaturangaben.

Der BUND gehörte daraufhin auch zu den wenigen eingeladenen Referenten in einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages am 27. März 2017, der allerdings insgesamt nur 90 Minuten Zeit gewidmet wurden (die Stellungnahme des BUND ist Ausschussdrucksache 18(16)539-G Deutscher Bundestag). Allerdings war politisch schon von vornherein klar, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die EU-Richtlinie eins zu eins in das deutsche Recht umzusetzen. Den Forderungen des BUND hat sich nur die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke angeschlossen.

Daher bleibt es eine wichtige Aufgabe, den Widerstand gegen überkommene Strahlenschutznormen fortzusetzen. Wirksame Anstrengungen, die ständig steigende Strahlenbelastung durch die medizinische Diagnostik einzudämmen, wird das neue Gesetz nicht auslösen. Dabei ist anhand der wissenschaftlichen Literatur belegbar, dass diese einen beachtlichen Anteil an den gestiegenen Krebsraten in der Bevölkerung hat, die auch bei Kindern seit den 1980er-Jahren zu beobachten sind (www.kinderkrebsregister.de).

Leidtragende bleiben weiterhin die Arbeitnehmer mit berufsbedingten Strahlenschäden, die mit überholten Risikozahlen von den Berufsgenossenschaften abgespeist werden. Die Strahlenschutzkommission, Beraterin der Bundesumweltministerin, hat in ihrem Jahresbericht 2016 angekündigt, neue "Strahlenepidemiologische Tabellen" zum Thema "Zusammenhangswahrscheinlichkeit für strahlenbedingte Krebs- und Leukämieerkrankungen" herauszugeben. Darin sollen wiederum die Daten von Hiroshima und Nagasaki verwendet werden.


Autorin:


Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, Physikerin
Grenzstr. 20, 30627
Hannover E-Mail: ingesf[at]uni-bremen.de

Die Stellungnahme des BUND ist erhältlich
beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
und im Internet abrufbar unter
www.strahlenschutz-gesellschaft.de/Aktuelles

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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft, Nr. 3/2017, S. 42 - 43
30. Jahrgang
Verlag: Forum Medizin Verlagsgesellschaft mbH
Gutenbergstr. 8, 26135 Oldenburg
Chefredaktion: Maik Lehmkuhl
Tel.: 0441/93654580; Fax: 0441/93654581
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Erscheinungsweise: vierteljährig
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Einzelheft: 11,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2017

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