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VIELFALT/218: Biodiversität ist nicht umsonst - Wie wir unsere Lebensgrundlage erhalten können (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2010

Biologische Vielfalt

Biodiversität gibt es nicht umsonst
Wie wir unsere Lebensgrundlage erhalten können


Vom 18. bis 29. Oktober 2010 fand im japanischen Nagoya die zehnte Vertragsstaatenkonferenz (COP10) zur Biodiversitäts-Konvention (CBD) statt. Dr. Christoph Häuser vom Museum für Naturkunde Berlin (MfN) war offizielles Mitglied der deutschen Verhandlungsdelegation in Nagoya. Christoph Herbort-von Loeper sprach mit ihm über die Herausforderungen beim Schutz der biologischen Vielfalt.


Als Ergebnis der Nagoya-Konferenz blieb, dass das Ziel verfehlt wurde, bis 2010 den Verlust an Biodiversität zu stoppen, es aber zu einer Einigung für einen gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung natürlicher Ressourcen (Access & Benefit Sharing, ABS) kam. Hat der Artenschutz nur eine Chance, weil sich mit ihm künftig von allen Beteiligten Geld verdienen lässt?

Nein, das Nagoya-Protokoll zu ABS ist kein schnell wirkender Anreiz für den Artenschutz. Das ein oder andere Entwicklungsland wird zwar sicher davon profitieren, aber einen schnellen und umfassenden globalen Effekt sehe ich nicht, zumal nicht an den wirklichen Brennpunkten.

Wieso das?

Aus zwei Gründen: Erstens dauert die Entwicklung und Vermarktung von Naturstoffen für Arzneien oder Kosmetik - und um die geht es ja hauptsächlich - recht lange. Wenn Sie heute im Urwald von Ekuador eine entsprechende Pflanze entdecken, dauert es sicher fünf bis zehn Jahre bis zum marktfähigen Produkt. Selbst ein erfolgreicher "Blockbuster" würde global gesehen nicht die Summen einspielen, die für einen nachhaltigen Arten- und Naturschutz notwendig wären. Dazu kommt noch, dass es bisher keinen globalen Ausgleichsmechanismus gibt, mit dem das eingesammelte Geld verteilt wird. Im Sinne des Nagoya-Protokolls ist nur das jeweilige Herkunftsland an den Gewinnen aus einem solchen erfolgreichen Produkt zu beteiligen.

Also bringt das ABS-Protokoll de facto nichts, um die in Nagoya gefassten Ziele für 2020 zu erreichen?

Das kann man so direkt nicht sagen. Wichtig ist, dass es in Nagoya einen Paradigmenwechsel gegeben hat. Es soll in Zukunft beim Schutz wie dem Lastenausgleich mehr um übergeordnete Ökosystemdienstleistungen wie saubere Luft, Trinkwasser und Böden gehen als um unmittelbare Natur-Produkte. Dieser Ausgleich muss künftig international ausgehandelt werden; es gibt erste Ideen, aber noch kein globales Konzept. Eins der 20 Ziele für 2020 ist es zum Beispiel, auf Grundlage der auch in Nagoya veröffentlichten TEEB-Studie in den staatlichen Wirtschaftsplanungen nachhaltige Produktion und Konsum ebenso zu verankern wie die Nutzung natürlicher Ressourcen innerhalb ökologisch sicherer Grenzen - etwa durch steuerliche Anreize.

Somit war Nagoya kein "zweites Kopenhagen", wie im Vorfeld in Anspielung an den gescheiterten Klimagipfel 2009 befürchtet wurde?

Nein, Nagoya war in der Summe ein Erfolg. Das ABS-Protokoll war überfällig und politisch wichtig. Der neue strategische Plan der Biodiversitätskonvention (CBD) stellt zudem den wichtigen Paradigmenwechsel vom reinen Artenschutz zum umfassenderen Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen dar.

Wie ist das zu verstehen?

Beim Schutz der Biodiversität spielen viele Dinge eine Rolle: der Klimaschutz und CO2-Kreislauf, genauso wie die Wirtschaftsplanung und das Konsumverhalten, wie auch Land- und Forstwirtschaft oder Fischerei. Deshalb kommt es nicht nur darauf an, bedrohte Arten etwa gesetzlich unter Schutz zu stellen, sondern es geht darum, wie Schutzgebiete erhalten und ganze Lebensräume und Zonen nachhaltig bewirtschaftet werden können.

In diesem Sinne ist die "Frankfurter Deklaration" (siehe Kasten) von Anfang Dezember 2010, die konsequente Weiterentwicklung der Nagoya-Beschlüsse?

Genau, letztendlich geht es um eine nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen unseres Lebens - Energie, Gesundheit, Frieden und auch Natur. Im Grunde hängt ja alles mit allem zusammen, und auf die Dauer wird nur ein umfassender Naturschutz unsere globalen Probleme lösen können.

Nun sind Sie Biodiversitätsforscher. Welche Konsequenzen hat ABS für die Wissenschaft?

Im Nagoya-Protokoll verpflichten sich die Vertragsstaaten, auch die Bedürfnisse der Grundlagenforschung zu berücksichtigen. Wir werden sorgfältig beobachten müssen, dass Grundlagenforschung nicht überbürokratisiert wird. Andererseits kann die Forschung eine größere Rechtssicherheit erwarten, was die Ausfuhr und Verwertung von gesammelten Proben und Daten angeht. Zwar gibt es überall bereits meist rechtliche Grundlagen zu Eigentum und Verwendung von biologischen Ressourcen, aber die werden nicht überall umgesetzt - zum Beispiel in vielen Ländern Afrikas. Künftig gibt es eine klare Verantwortlichkeit durch eine national zuständige Stelle in jedem Land.

Wo wird die in Deutschland liegen?

In erster Instanz sind bei uns das Bundesumweltministerium und seine nachgeordneten Behörden wie das Bundesamt für Naturschutz oder das Umweltbundesamt zuständig. Ich hoffe aber, dass die Wissenschaft beteiligt wird, schließlich haben wir für den internationalen Austausch von Daten und Proben mit dem Aufbau globaler Biodiversitätsdatenbanken und Netzwerke bereits infrastrukturelle Vorarbeiten geschaffen, auf denen man unbedingt aufbauen sollte. Was das ABS-System angeht, wird es aber wohl so sein, dass es für die EU eine einheitliche Regelung geben wird, wir also innerhalb der EU quasi als "Inländer" forschen.

Frei nach Sepp Herberger gilt auch für die Biodiversität: Nach der Konferenz ist vor der Konferenz. Wo liegen jetzt die Herausforderungen für die Zukunft?

Nun, mit Blick auf die Nagoya-Konferenz gilt es, 39 Einzelentscheidungen - darunter das ABSProtokoll - umzusetzen. Die Forschung ist dabei besonders gefragt, ihre Expertise in globale Datenbankstrukturen einzubringen. Was wir aber darüber hinaus dringend brauchen, ist ein koordiniertes und international standardisiertes Monitoring-Verfahren zur Biodiversität. Im Idealfall würde das analog wie beim Wetterbericht funktionieren, wo ich heute schauen kann, wie das Wetter am Flughafen in Sydney aktuell ist. Hier liegt eine wesentliche Hausaufgabe für die Grundlagenforschung. In Deutschland sehe ich auch eine besondere Herausforderung und Verpflichtung für unseren Leibniz-Verbund Biodiversität, sich seiner Verantwortung zu stellen und die eigenen Forschungsleistungen weiter zu effektivieren und vermehrt einzubringen.

Als Konferenz-Delegierter waren Sie ja gewissermaßen Forschungs- Politiker. Was sollte die Politik tun?

Sich besser mit der Forschung vernetzen! Die Welt braucht einen Weltbiodiversitätsrat analog zum Weltklimarat IPCC als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Der Vorschlag, so eine "Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services" (IPBES) einzurichten, wurde im Nachgang zu Nagoya durch die UN-Vollversammlung befürwortet. Wenn ich auch den Namen wenig elegant finde, so hoffe ich doch, dass es zu konkreten Schritten kommt. Wenn sich die Bundesregierung um den Sitz des IPBES- Sekretariats bewerben wird, könnte der Leibniz-Verbund Biodiversität zusammen mit anderen Partnern der deutschen Forschungslandschaft entscheidend mitwirken.

Gut, die Hausaufgaben für Forschung und Politik haben Sie genannt. Wie sieht es mit uns allen ganz persönlich aus?

Jedermann ist aufgerufen, sich noch bewusster im Umgang mit natürlichen Ressourcen zu verhalten. Außerdem muss die Umsonst- und Kostenlos-Mentalität vor allem gegenüber dem Gemeingut Natur ein Ende haben. Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen muss noch ernster und konsequenter betrieben werden -und ihre (Be-)Nutzung muss etwas kosten, zum Beispiel über Umweltnutzungsgebühren, damit ihr Wert anerkannt wird und wir auch zur ihrem Erhalt etwas substantiell bewegen können.

http://www.cbd.int/cop10/

http://www.leibniz-gemeinschaft.de/biodiversitaet


Dr. Christoph Häuser (Jahrgang 1959) studierte Biologie in Würzburg, Toronto und Freiburg und promovierte im Bereich Entomologie mit einer vergleichenden Untersuchung zu den weiblichen Genitalorganen der Schmetterlinge. Zuletzt arbeitete er vermehrt auf dem Gebiet der Biodiversitätsinformatik, unter anderem am Aufbau der Global Biodiversity Information Facility (GBIF). Nach Stationen am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn, der Universität Würzburg, dem Natural History Museum in London sowie dem Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart ist Häuser seit 2009 im Berliner Museum für Naturkunde Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (MfN) zuständig für internationale Zusammenarbeit und Forschungspolitik.


Frankfurter Deklaration

Forschung für den Schutz der biologischen Vielfalt (Biodiversität) ist essentiell für das Erreichen der von den Vereinten Nationen beschlossenen Millenniums-Ziele. Das ist die Hauptaussage der "Frankfurter Deklaration", die Anfang Dezember 2010 auf der Konferenz "Biodiversität und die UN-Entwicklungsziele" verabschiedet wurde. Rund 200 Biodiversitätsexperten aus 30 Ländern halten darin fest: Umweltpolitische und entwicklungspolitische Ziele müssen gemeinsam verfolgt werden. Die Tagung stellte erstmals den Zusammenhang zwischen Biodiversitätsforschung und nachhaltiger Entwicklung her. Die Deklaration fordert unter anderem, die Biodiversitätsforschung zu einer transdiziplinären Disziplin zu entwickeln, die an den Schnittstellen von Natur und menschlicher Gesellschaft ansetzt. Dabei muss sich die Biodiversitätsforschung strategisch an den Millenniumszielen der Vereinten Nationen orientieren: Hunger und Armut, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung.

Die "Frankfurter Deklaration" online: http://www.biodiversity-conference2010.de/


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Mit seinem ursprünglichen Forschungsgebiet, der Biodiversität der Schmetterlinge, kann sich Dr. Christoph Häuser nur noch selten beschäftigen, seitdem er mehr und mehr zum BiodiversitätsForschungspolitiker geworden ist.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2010, S. 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2011