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ATOM/1196: Atomkraft in Polen für 2020 geplant - AKW-Gegner beider Länder machen mobil (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 168 - Juni/Juli 2012
Die Berliner Umweltzeitung

ATOMENERGIE
Atomkraft in Polen für 2020 geplant
AKW-Gegner aus beiden Ländern machen mobil

von Volker Voss



Als hätte es die nuklearen Katastrophen in Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) mit ihren schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt nie gegeben, plant die Regierung in Polen den Einstieg ins Atomzeitalter. Wenig Einfluss darauf hat auch die Tatsache, dass Deutschland voriges Jahr den Atomausstieg beschlossen und die Energiewende eingeleitet hat. Wenn hier 2022 das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wird, soll in Polen bereits zwei Jahre zuvor das erste AKW ans Netz gehen. Von Umweltverbänden in Deutschland wird sogar ein schnellerer Ausstieg gefordert. Denn wie gefährlich Atomkraft ist, belegt auch die Tatsache, dass selbst die Reaktorsicherheitskommission des Bundes bei jedem der noch laufenden deutschen Meiler Sicherheitsdefizite festgestellt hat, so die Anti-Atomorganisation ".ausgestrahlt - gemeinsam gegen Atomenergie".

Polnische und deutsche Atomkraftgegner wollen das Atomprogramm gemeinsam verhindern und können sich dabei auf positive Erfahrungen stützen. Bereits 1990 wurde in Polen mit dem Bau von zwei Atomreaktoren begonnen, der aber auf Grund von Protesten eingestellt werden musste. Als mögliche Standorte sind unter anderem Gaski, Mielno, Darlowo und Zarnowiec vorgesehen, teilweise nicht weit von der Grenze zu Deutschland entfernt. Insgesamt sind 28 mögliche Standorte im Gespräch. Im polnischen Szczecin fand im Frühjahr die erste, sehr fantasievolle Protestdemonstration von Anti-Atomaktivisten aus beiden Ländern statt, darunter viele Bürger aus Gaski, dem möglichen Standort einer Anlage.

Grundsätzlich ist in Polen eine Energiewende dringend geboten, da der dortige Strombedarf überwiegend aus Stein- und Braunkohle gedeckt wird, was einen hohen Ausstoß an CO2 zur Folge hat. Allein im Jahre 2009 betrug der Braun- und Steinkohleanteil an der Stromgewinnung 92 Prozent. Allerdings wird die Entwicklung alternativer Energiegewinnung dort eher stiefmütterlich behandelt. Sehr verhalten, aber richtungsweisend ist die offizielle Verlautbarung des deutschen Bundesumweltministeriums dazu: "Die Bundesregierung bietet der Republik Polen an, den Erfahrungsaustausch zum Aufbau sowie Ausbau erneuerbarer Energien weiterzuführen und zu intensivieren, um die Förderung erneuerbarer Energiequellen zu unterstützen und Alternativen zur Kernenergie evaluieren zu können."


Gemeinsamer Anti-Atom-Protest

Rund um die angedachten polnischen AKW-Standorte gibt es aktiven Widerstand. Die Gruppen kooperieren auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, um sich Gehör zu verschaffen. Für den Sommer organisieren lokale Gruppen mit Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung und Greenpeace vom 23. bis 29. Juli ein Widerstandscamp in Lubialowo, in der Nähe des geplanten AKW-Standorts Choczewo. Hier werden unter anderem Experten die Bevölkerung mit alternativen Informationen aufklären und Protestaktionen vorbereiten. Die polnischen Umweltorganisationen nehmen im Rahmen des Atomprogramms der polnischen Regierung aktiv an der Strategischen Umweltprüfung (SUP) teil, berichtet Jan Haverkamp, Atomexperte für Greenpeace in Mitteleuropa und Mitglied der GRÜNEN LIGA Brandenburg, aus Gda'nsk.

Die Regierung hat zwar auf Grund starken Drucks eine Bürgerbeteiligung als Teil der SUP akzeptiert. Doch alternative Meinungen werden meist ausgeschaltet, beschweren sich polnische Umweltaktive. Beim jährlichen Wirtschaftsgipfel 2011 in Krynica habe Hana Trojanowska, bevollmächtigte Vertreterin der polnischen Regierung für Kernenergie und Staatssekretärin des polnischen Wirtschaftsministeriums, den Greenpeace-Direktor Maciej Musket persönlich aus der Teilnehmerliste entfernen lassen, berichtet Jan Haverkamp.

In Brandenburg haben sich die Atomkraftgegner in der Bürgerinitiative "Atomkraftfrei leben in der Uckermark" (AFLUM) zusammengefunden, ebenso entstand rund um Gaski eine lockere Gruppierung von Menschen, die sich gegen den Bau von AKW wehren. Ihr gemeinsames Motto lautet: "GASKOBYL - ein Atomkraftwerk in Gaski - wir sagen Nein, beziehungsweise GASKOBYL - atomowi w Gaskach mówimy NIE". Wie sehr Polen auf Atomkraft setzt, zeigen auch Verlautbarungen, nach denen das zukünftige AKW nahe dem russischen Kaliningrad als Exporteur von Elektroenergie in Frage kommt.

Die Atomkraftgegner in Polen sehen sich zudem einer sehr aggressiven Medienkampagne seitens der Atomlobby gegenüber, berichten sie. Der geplante AKW-Betreiber in Polen, PGE, habe eine intensive Kampagne in Nordpolen gegen die Opposition rund um die vorgesehenen Standorte gestartet. Außerdem läuft eine nationale Propagandakampagne des Wirtschaftsministeriums mit Fernsehwerbespots, einer Webseite, Printwerbung und öffentlichen "Debatten", so Jan Haverkamp. Kritisiert wird das "erschütternd niedrige Informationsniveau dieser Kampagnen mit Pseudo-Expertenfakten". Alternative und kritische Meinungen finden kaum Zugang zu den Medien, lediglich lokale Medien machen vereinzelt eine Ausnahme. Die Regierung überlässt die lokale Debatte der PGE. Von einem offenen Dialog könne keine Rede sein. Die Bevölkerung vor Ort reagiert auf solche Bevormundung ablehnend, so Jan Haverkamp. Das für PGE und der Regierung katastrophal ausgegangene Referendum in Mielno im Februar habe dann schon landesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Außerdem haben über 50.000 Bundesbürger bei den polnischen Behörden Stellungnahmen, Widersprüche und Einwendungen gegen den Einstieg in die Atomkraftnutzung eingereicht.


Landesregierung gegen AKW-Bau

Auch von offizieller Seite kommt Widerspruch. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck fordert die Regierung in Warschau auf, sämtliche Pläne zum Bau von Kernkraftwerken zu beenden. Kernenergie sei keine sichere Art der Energiegewinnung, sagt er. Er hoffe auf ein Umdenken in Polen und erinnert an die katastrophalen Folgen des Reaktorunglücks in Japan. Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack verweist zwar darauf, "dass eine solche energiepolitische Entscheidung, wie der Einstieg in die Kernenergienutzung, in erster Linie eine innerstaatliche Angelegenheit ist. Daneben ist eine solche Entscheidung aber auch grenzüberschreitend von fundamentaler Bedeutung." Für Tack ist es nicht nachvollziehbar, dass unsere polnischen Nachbarn auch nach dem Desaster von Fukushima an ihren Plänen festhalten wollen. Sie stellt klar, "dass mit einem Kernkraftwerk in Polen immer auch eine potenzielle Gefährdung für die Brandenburger Bevölkerung besteht, unabhängig vom konkreten Standort der Anlage." Sie bittet daher eindringlich um eine Revision der polnischen Pläne zum Einstieg in die Atomenergie.

Auf völliges Unverständnis stößt zudem die Absicht Polens, aber auch Tschechiens, Frankreichs und Großbritanniens, Fördermittel für den Bau von Kernkraftwerken zu beanspruchen, weil diese ebenso wie Solarenergie und Windkraft kein klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausstoßen, argumentieren diese EU-Länder.

So sei finanzielle Unterstützung eben auch für diese Art der Energiegewinnung berechtigt. Für Umweltverbände ist dieses Ansinnen zur öffentlichen Förderung "längst überholter Risikotechnologien" abwegig. Scheinbar seien wohl neue Kernkraftwerke ohne staatliche Subventionen nicht mehr durchsetzbar. Deshalb gilt weltweit: Sofortiges Abschalten aller Atomkraftwerke!

Weitere Informationen:
www.aflum.de
www.bund.net
www.greenpeace.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Die AKW-Ruine in Zarnowiec - nach heftigem Bürgerprotest 1990 stillgelegt (Foto: Greenpeace - Jan Haverkamp) - Aufruf zur Teilnahme am Referendum in Mielno (Foto: Greenpeace - Iwo Los)

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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 168 - Juni/Juli 2012, Seite 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2012