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BERGBAU/144: Braunkohle - Irrsinn trotz Energiewende? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012
Mehr, Mehr, Mehr?
Handelspolitik zwischen "Weiter so" und Nachhaltigkeit

Braunkohle
Irrsinn trotz Energiewende?

von Daniela Setton



Während beim Kampf gegen neue Steinkohlekraftwerke in Deutschland etliche Erfolge erzielt werden konnten, scheint sich die Braunkohle als fossiler Profiteur der Energiewende zu entpuppen. Ein klima- und energiepolitischer Irrsinn, der dringend gestoppt werden muss.

In den letzten Jahren konnten in Deutschland erstaunliche Erfolge beim Klimaschutz erzielt werden. Seit 2007 mussten 19 Steinkohlekraftwerksprojekte mit einer Gesamtkapazität von 18.900 Megawatt (MW) wieder abgeblasen werden. Dem Klima blieben damit Emissionen in Höhe von 106 Millionen Tonnen CO2 im Jahr erspart. Seit der Post-Fukushima-Kehrtwende der Merkel-Regierung Mitte 2011 wurden allein vier Steinkohlevorhaben gecancelt, um die viele Jahre lang heftige politische Auseinandersetzungen tobten. Der starke Protest verzögerte die Planungsprozesse für die Kohlemeiler so lange, bis die veränderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Projekten endgültig den Gar ausmachten. Inzwischen ist auch der Energiebranche klar, dass neue Steinkohleblöcke in Deutschland wirtschaftlich keinen Sinn machen.

Problemfall Braunkohle

Ein Blick auf die Braunkohle trübt jedoch das Bild. Kein einziges Braunkohlekraftwerksprojekt wurde in den letzten Jahren gestoppt. Zwei Neubauvorhaben sind im Planungsprozess, das RWE-Vorhaben »BoAplus« in Niederaußem (2x550 Megawatt) sowie der 675 Megawatt-Block der Mibrag in Profen. In diesem Jahr gingen bereits zwei neue Braunkohlekraftwerke in Betrieb: der RWE-Klimakiller BoA 2&3 in Neurath (2.200 Megawatt) sowie der neue Vattenfall-Kohleblock Boxberg R (675 Megawatt) in Sachsen. Nach Angaben des Bundesverbandes der Braunkohle (DEBRIV) ist allein die Inbetriebnahme dieser beiden Kraftwerke für den erheblichen Zuwachs bei der Stromerzeugung mit Braunkohle von etwa 6,3 Prozent (1. bis 3. Quartal 2012) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verantwortlich.

Es klingt paradox: gerade die schmutzige Braunkohleverstromung lohnt sich im Land der Energiewende, derzeit stellt sie ein Viertel der deutschen Stromerzeugung. Der rasant wachsende Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen drückt zwar die Preise an der Strombörse und damit auch die Margen und die Auslastung konventioneller Kraftwerke. Doch während Gaskraftwerke aus dem Markt gedrängt werden und von Stilllegungen bedroht sind, steht die Braunkohle vergleichsweise gut da.

So meldet Vattenfall für das laufende Jahr mit 62 Millionen Tonnen Rekordumsätze bei der Lausitzer Braunkohle. Die Nachfrage sei derzeit so hoch wie zuletzt 1993, bei der Stromerzeugung sei der höchste Stand seit der Wende in Ostdeutschland erreicht. Analysten bescheinigen auch RWE »robuste Gewinne in einem schwierigen Marktumfeld«, der Konzern profitiere von einer »kostengünstigen Stromerzeugung« aufgrund des hohen Braunkohlenteils im Brennstoff-Mix. Der EU-Emissionshandel hat bisher leider nicht dazu beigetragen, dass sich der klimaschädlichste Energieträger im Verhältnis zu Erdgas deutlich verteuert.

Dennoch, von einer »Renaissance der Braunkohle« kann in Deutschland keine Rede sein. Richtig ist vielmehr, dass es dem klimaschädlichsten Energieträger bisher auch vor dem Hintergrund rasant wachsender Strommengen aus Erneuerbaren Energien gelingt, seinen hohen Anteil an der Stromversorgung zu behaupten. Die spannende Frage ist nur: wie lange noch?

Braunkohle ohne Zukunft?

In einer kürzlich veröffentlichten Studie[1] geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) von einer sinkenden Bedeutung der Braunkohle aus. Neue Braunkohlekraftwerke rechnen sich nicht, so die Kernaussage der Wirtschaftsforscher. Die wichtigsten Faktoren für die fehlende Rentabilität seien hohe Investitionskosten, abnehmende Betriebsstunden sowie das das Ende der kostenlosen Zuteilung von CO2-Zertikaten ab 2013. Für das DIW fällt auch die energiewirtschaftlich ungünstige Lage der Braunkohlereviere ins Gewicht, an denen neue Kraftwerke aufgrund von Netzengpässen zukünftig wenig zur Deckung des Bedarfs in Süddeutschland beitragen könnten. Vor dem Hintergrund der ungünstigen Rahmenbedingungen sei von einem relativ raschen Auslaufen der Braunkohle bis etwa 2040 auszugehen. Einen Aufschluss von neuen Tagebauen halten die Experten des DIW nicht für nötig, weil alle bestehenden Braunkohlekraftwerke bis zu ihrem Auslaufen vollständig aus den bereits planerisch festgestellten Braunkohlevorräten versorgt werden könnten.

Retrofitting statt Neubau

Die Braunkohleindustrie kritisiert die Ergebnisse der DIW-Studie als »nicht nachvollziehbar« und sieht den Anteil der Braunkohle an der Stromerzeugung auch in den nächsten Dekaden auf gleichbleibend hohem Niveau. Während der stärkere Ausbau der Erneuerbaren Energien bis 2030 insbesondere zu einem Rückgang bei der Erdgas- und Steinkohlestromerzeugung sowie Veränderungen beim Stromaußenhandel führen würde, bliebe die »preiswerte« Braunkohleverstromung aufgrund der geringen Erzeugungskosten nahezu unberührt. Der Neubau sei nicht entscheidend, in den kommenden zwei Jahrzehnten bildeten die bestehenden BraunkohleKraftwerkskapazitäten das »Rückgrat der deutschen Stromversorgung«, dazu gehöre auch Kapazitätsvorhaltung.

Die Braunkohlelobby versucht seit längerem, die Braunkohle als »Brückentechnologie« und »Partner« der erneuerbaren Energien auch für die nächsten Jahrzehnte hoffähig zu machen. Nach Angaben der Bloomberg New Energy Finance (BNEF) würden sich in Deutschland Retrofitmaßnahmen zur Erreichung der Grenzwerte der Industrieemissionsrichtlinie bei einer erheblichen Anzahl an Braunkohlekraftwerken ökonomisch rechnen und zwar in Höhe einer Kapazität von etwa 15 Gigawatt. So könnte ab 2013 die Auseinandersetzung darüber anstehen, ob die alten Braunkohlemeiler auch noch für weitere 40 bis 60 Jahre laufen sollen. Das wäre nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes fatal.

Tausende von Braunkohle-Umsiedlung bedroht

Die sozialen, ökologischen, kulturellen und auch ökonomischen Kosten der Abbaggerung des klimaschädlichsten Energieträgers sind enorm. Die Braunkohleverstromung basiert auf der Verwüstung ganzer Landstriche, der Zerstörung von Dörfern und der großflächigen Vernichtung von Jahrtausende alten, wertvollen Naturräumen und Kulturlandschaften. Über Jahrhunderte gewachsene Orte verschwinden vom Erdboden, Menschen müssen wegen des undemokratischen deutschen Bergrechts ihre Heimat verlassen, ob sie wollen oder nicht. Mehr als 10.000 Menschen sind derzeit von neuen Tagebauen bedroht. Die enorme Grundwasserabsenkung führt zudem zu erheblichen Bergschäden und zieht enorme Umwelt- und Wasserprobleme mit sich. Und jeden Tag fressen sich in Deutschland die Braunkohlebagger weiter durch das Land.

Ein baldiges Ende dieses Irrsinns ist nicht in Sicht. Allein im ersten Halbjahr 2012 legte die Braunkohleförderung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,5 Prozent auf über 92 Millionen Tonnen zu. Im Lausitzer Revier will Vattenfall in den nächsten Jahrzehnten fünf neue Tagebaue aufschließen: Welzow-Süd II, Nochten II, Jänschwalde-Nord, Bagenz-Ost sowie Spremberg-Ost. Im Rheinischen Revier geht es in dem laufenden bergrechtlichen Verfahren um die Fortführung des Tagebaus Hambach im Zeitraum von 2020 bis 2030. Die Mibrag prüft die Erschließung des Tagebaus Lützen im Mitteldeutschen Revier.

Derweil fehlt quer durch alle Parteien eine durchsetzungswillige politische Kraft gegen die Braunkohle. Die Regierungsbeteiligung von erklärten Braunkohlegegnern ist in dieser Hinsicht leider enttäuschend. Statt politischer Kontroversen mit dem kohlefreundlichen Koalitionspartner ist bei den NRW-Landesgrünen eher Leisetreterei angesagt. Die Verhinderung von BoAplus in Niederaußem sei in den Koalitionsverhandlungen bei der SPD leider nicht durchsetzbar gewesen, so heißt es. Einzig die Grünen Orts- und Kreisverbände im Revier kämpfen weiter wacker gegen die klimaschädliche Braunkohle und den dazu gehörigen RWE-Filz an.

In Brandenburg haben die Linken vor der Wahl beim Volksbegehren »Keine neuen Tagebaue!« mitgemacht. Nach der Wahl schicken sie mit Ralf Christoffers einen Braunkohlebefürworter auf einen entscheidenden Ministersessel und tragen in der rot-roten Koalition die volle Rückendeckung für Vattenfalls-Braunkohlepläne mit.

Aufkommende Anti-Braunkohlebewegung

Dennoch, es tut sich etwas im Braunkohlewiderstand in Deutschland. Bürgerinitiativen und Umweltverbände, die vor Ort gegen die Braunkohleverstromung Widerstand leisten, bekommen immer mehr Unterstützung von einer sich langsam entwickelnden Anti-Braunkohlebewegung. Ein deutliches Zeichen dafür waren die Klimacamps, die 2012 erstmals in allen deutschen Braunkohlerevieren mit insgesamt etwa 800 vor allem jüngeren TeilnehmerInnen stattfanden. Die Waldbesetzer, die seit Wochen im Hambacher Forst ausharren, um den Rest des 12.000 Jahre alten Waldes vor den RWE-Baggern zu schützen, erreichten mit ihrem Durchhaltewillen und ihren ausgetüftelten und gewaltfreien Aktionen eine erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit.

Es muss endlich ein Ende haben, dass im »Land der Energiewende« über 10.000 Menschen in den Revieren im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeutschland vom Verlust ihrer Heimat durch die Abbaggerung der klimaschädlichen Braunkohle bedroht sind und ganze Landstriche mit ihrem enormen kulturellen und ökologischem Reichtum dem Erdboden gleichgemacht werden. Der Umstieg auf eine klimafreundliche und soziale Energieversorgung ist möglich und kann nur dann gelingen, wenn wir so schnell wie möglich den Abschied von der Braunkohle einleiten. Dieser muss aber - so wie es derzeit aussieht - noch erkämpft werden.

Die Autorin leitet die Anti-Kohlekampagne der klima-allianz deutschland

[1] DIW (2012): Die Zukunft der Braunkohle in Deutschland in Rahmen der Energiewende, November 2012, Download unter:
http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.412261.de/diwkompakt_2012-069.pdf

Informationen zu geplanten und verhinderten Kohlekraftwerken finden Sie unter www.kohle-protest.de


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012, Seite 25-26
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2013