spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014
Flüssige Kraftstoffe aus CO2 und regenerativem Strom
Ein zukunftsweisender Forschungsansatz zur Sicherung der
Energieversorgung
Von Andreas Jess
Ein neues Verfahren zur Herstellung flüssiger Kraftstoffe nutzt Abgase aus Industrieanlagen und dient zugleich der Speicherung überschüssiger Energie, die in Wind- oder Photovoltaikanlagen erzeugt wird.
In Zukunft sollen Wind- und Solarenergie in Deutschland - und vermutlich mittel- und langfristig auch in anderen Ländern - einen erheblich größeren Beitrag für eine umwelt- und klimafreundliche Energieversorgung leisten. Bereits heute liegt der Beitrag von Windkraft- und Photovoltaikanlagen zum Stromverbrauch in Deutschland bei 17 Prozent (2013). Für den angestrebten deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien ist jedoch entscheidend, dass die zeitlich fluktuierende Stromproduktion aus Sonne und Wind effizient genutzt wird. Dies erfordert nicht nur zusätzliche Kapazitäten, sondern auch innovative Lösungen bei der Speicherung und dem Transport von Energie. Darüber hinaus sind auch geographische Herausforderungen bedeutsam: Windenergie wird zunehmend auch offshore anfallen, und Solarenergie steht potenziell in Südeuropa und Nordafrika in großen Mengen zur Verfügung.
Elektrische Netze mit ausreichender Kapazität wären für den Energietransport in technischer Hinsicht die beste Lösung, stehen aber derzeit nicht ausreichend zur Verfügung. Das Thema der Energieversorgungssicherheit ist daher, angesichts derzeit unzureichender Speichermöglichkeiten, ein zentraler Punkt im geplanten Ausbau erneuerbarer Energieträger.
Flüssige Kraftstoffe wie Dieselöl oder Flugturbinenkraftstoff (Kerosin) können zur Lösung der Speicher- und Transportfrage einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie sind bei Umgebungsbedingungen flüssig und benötigen keine speziellen Lageroder Transportbehälter. Zudem besitzen sie die höchste verfügbare Speicherdichte (Tabelle 1): Die Energie, die pro Kubikmeter gespeichert werden kann, ist beispielsweise 30-mal höher als bei derzeitigen Batterien. Das Potenzial von Batterien als Langzeitspeicher für erneuerbare Energien ist sehr begrenzt und vermutlich auch problematisch für großtechnische Anwendungen.
Tabelle 1: Energiedichten von Stoffen/Systemen zur Speicherung elektrischer Energie
Auch gegenüber gasförmigen Brennstoffen sind flüssige Brennstoffe
deutlich im Vorteil. Ihre Speicherdichte ist 4- bis 6-mal höher als
bei komprimiertem Erdgas (200 bar) oder Wasserstoff (700 bar).
Insbesondere im Vergleich mit Wasserstoff lassen sich flüssige
Brennstoffe deutlich einfacher und sicherer handhaben. Auch die
bestehende Infrastruktur im Transportbereich (Straßenverkehr,
Luftfahrt) beruht derzeit noch beinahe ausschließlich auf
erdölbasierten Kraftstoffen wie Benzin, Dieselöl und Kerosin. In der
Chemieindustrie wird vor allem in Europa hauptsächlich Naphtha
(Leichtbenzin) eingesetzt, um chemische Grundstoffe wie Ethen, Propen
etc. zu produzieren.
Vor diesem Hintergrund hat in jüngster Zeit ein Forschungsansatz an Bedeutung gewonnen, der auf die Herstellung flüssiger Kraftstoffe aus Wasserstoff und Kohlendioxid abzielt; Abbildung 1 verdeutlicht sehr vereinfachend die Grundidee. Dieser Ansatz ist in doppelter Hinsicht zukunftsweisend:
Abb. 1: Vereinfachte Darstellung der Grundidee zur Nutzung von CO2 zur
Erzeugung flüssiger Kraftstoffe aus regenerativer Energie durch
Fischer-Tropsch-Synthese (FTS): Das bei der Kraftstoffverbrennung
freigesetzte CO2 wird zusammen mit Wasserstoff - der seinerseits aus
Solar- oder Windstrom (Wasserelektrolyse) erzeugt wird - wieder in
Kraftstoff umgesetzt. -CH2- symbolisiert ein Kettenglied in einem
langkettigen Kohlenwasserstoff wie zum Beispiel einem typischen
Dieselölbestandteil
• Kraftwerke, die mit fossilen Brennstoffen wie Kohle und Erdgas
befeuert werden, haben einen sehr hohen Ausstoß an CO2-haltigen
Abgasen. Auch in der Zement- und Stahlindustrie enthalten die Abgase
CO2-Konzentrationen von etwa 10 Volumenprozent. Das Kohlendioxid aus
diesen industriellen Prozessen, die zumindest mittelfristig
unentbehrlich sind, lässt sich für die Erzeugung flüssiger Kraftstoffe
nutzen. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Die weitgehend auf fossilen
Rohstoffen wie Kohle und Erdgas basierenden Kraftwerke, die für etwa
50 Prozent der gesamten globalen CO2-Emission verantwortlich sind,
könnte man "CO2-neutral" gestalten.
Die Gewinnung von CO2 aus industriellen Abgasen ist dabei umso interessanter, als es für die Energiewirtschaft derzeit noch nicht möglich ist, CO2 auf rentable Weise direkt aus Luft zu gewinnen. In der Atmosphäre liegt CO2 nur in einer sehr geringen Konzentration von 0,04 Volumenprozent vor. Dieser Anteil, und erst recht ein weiterer CO2-Konzentrationsanstieg, ist hinsichtlich der globalen Erwärmung nach Meinung der Mehrheit der Klimaexperten bereits sehr problematisch. Für eine technische effiziente Abtrennung aus der Luft aber ist die geringe Konzentration derzeit noch eine sehr große Hürde.
• Windkraft- und Photovoltaikanlagen erzeugen oftmals Strom, der nicht unmittelbar benötigt wird. Diese elektrische Energie kann genutzt werden, um durch Wasserelektrolyse Wasserstoff erzeugen - die zweite Komponente, die für die synthetische Herstellung flüssiger Kraftstoffe benötigt wird.
Die so erzeugten Kraftstoffe können im Verkehrsbereich, zur Wärmeerzeugung in Haushalten und in der chemischen Industrie eingesetzt werden. Sie treten dann an die Stelle von Erdöl und Erdgas, das derzeit weitgehend importiert werden muss. Zwar würde das in vielen kleinen Anlagen wie Autos oder Heizungen freigesetzte CO2 in die Atmosphäre abgegeben; aber immerhin können die CO2-Emissionen um insgesamt 50 Prozent gesenkt werden. Zudem arbeitet die Forschung heute darauf hin, die Schadstoffemissionen bei der Verbrennung von Benzin, Diesel und Kersosin in Motoren und Turbinen deutlich zu senken. Die Hoffnung ist nicht unrealistisch, dass sich eines Tages aus Wasserstoff und Kohlendioxid Kraftstoffe gewinnen lassen, die weniger Schadstoffe emittieren als heutige erdölbasierte Kraftstoffe.
Um flüssige Kraftstoffe aus regenerativem Wasserstoff und CO2 zu erzeugen und bereitzustellen, ist ein mehrstufiger Prozess notwendig (vgl. Abb. 2). Diesen Prozess zu analysieren und ihn in technischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht zu optimieren, ist das Ziel aktueller Forschungsarbeiten am Lehrstuhl für Chemische Verfahrenstechnik, der Mitglied des Zentrums für Energietechnik (ZET) der Universität Bayreuth ist. Die hiesigen Forschungsarbeiten sind in zwei große Verbundprojekte eingebettet, in denen Partner aus Wissenschaft und Industrie eng zusammenarbeiten:
• das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt "Herstellung von Kraftstoffen aus CO2 und H2O unter Nutzung regenerativer Energie", an dem die Sunfire GmbH in Dresden als Koordinator sowie weitere Partner beteiligt sind, und
• die Helmholtz-Energie-Allianz "Synthetische flüssige Kohlenwasserstoffe - Speicher mit höchster Energiedichte", in der die Universität Bayreuth mit der Universität Stuttgart sowie den dortigen DLR-Instituten für Verbrennungstechnik und Technische Thermodynamik kooperiert.
Das gesamte chemische Verfahren verläuft in drei Stufen (vgl. Abb. 2):
Abb. 2: Verfahrensschema zur Erzeugung von Dieselöl und Kerosin aus
regenerativ erzeugtem Strom und Kohlendioxid (RWGS: reverse
Wassergas-Shift-Reaktion)
1. Der Prozess beginnt bei der elektrischen Energie, die zeitlich
und/oder örtlich überschüssig von Windkraft- oder Photovoltaik-Anlagen
erzeugt wird. Durch Wasserelektrolyse wird diese regenerative Energie
zur Bereitstellung von Sauerstoff und Wasserstoff genutzt:
Der dabei anfallende hochreine Sauerstoff kann anderweitig genutzt werden, etwa in einem Oxyfuel-Kraftwerk. Hier wird zum Beispiel Erdgas mit Sauerstoff und nicht wie üblich mit Luft verbrannt. Nach der Kondensation des Wasserdampfes entsteht praktisch reines CO2, das u.a. in der folgenden zweiten Stufe eingesetzt werden könnte.
2. Danach wird CO2 - das aus industriellen Abgasen (in ferner Zukunft vielleicht auch aus Luft) gewonnen wird - in Kohlenmonoxid (CO) überführt. Dabei kommt ein Teil des in der ersten Stufe erzeugten H2 zum Einsatz:
Es handelt sich hierbei um die sogenannte reverse Wassergas-Shiftreaktion (RWGS). Das entstehende CO ist Bestandteil eines Synthesegases, einer Mischung aus CO, CO2 und H2.
3. Das Synthesegas wird schließlich an Eisen- oder Cobalt-Katalysatoren durch FischerTropsch-Synthese (FTS) in höhere Kohlenwasserstoffe umgesetzt:
"-CH2-" steht in dieser Reaktionsgleichung für ein Kettenglied in langkettigen Kohlenwasserstoffen, wie beispielsweise Dieselöl. Aus der FTS können grundsätzlich sehr unterschiedliche Produkte hervorgehen: gasförmiges Methan, flüssiges Benzin, Dieselöl/Kerosin oder auch langkettige, bei Umgebungsbedingungen feste Wachse. Welche Produkte im Einzelfall tatsächlich entstehen, kann durch die Wahl von Temperatur, Druck sowie des Katalysators gesteuert werden. Die Wachse lassen sich durch Hydrocracken in flüssige Kraftstoffe mit einer gewünschten Kettenlänge überführen. Die Herausforderung besteht darin, mithilfe der FTS einen flüssigen Kraftstoff zu entwickeln, der für die Nutzung als Energiespeicher optimal geeignet ist.
Die Fischer-Tropsch-Synthese ist schon seit den 1920er Jahren bekannt und wurde im Zweiten Weltkrieg in Deutschland in großem Umfang auf der Basis von Kohle genutzt - was nicht nur historisch betrachtet die schmutzigste Art ist, diesen Prozess zu nutzen. Heutzutage wird die FTS großtechnisch auf der Basis von kohleoder erdgasstämmigem Synthesegas in Südafrika, Katar und Malaysia durchgeführt. Die Koppelung mit einer vorgeschalteten RWGS (siehe Stufe 2) ist aber völlig neuartig.
In Summe ergibt sich aus den drei Prozessstufen die Gesamtreaktion
Diese Gesamtreaktion hat eine Analogie in der Natur: Auch bei der Photosynthese werden als Synthesebausteine Kohlendioxid und Wasser eingesetzt:
Hierbei allerdings ist Zucker - neben Sauerstoff - das Zielprodukt, und nicht wie im hier vorgestellten Konzept Kohlenwasserstoffe.
Die Forschungsaktivitäten des Lehrstuhls für Chemische Verfahrenstechnik konzentrieren sich innerhalb des beschriebenen Gesamtverfahrens auf folgende Ziele:
• Identifikation geeigneter Katalysatoren für die
Syntheseverfahren RWGS und FTS
• Bestimmung der kinetischen Basisdaten dieser Reaktionssysteme
• Reaktorsimulation bzw. -auslegung der untersuchten Prozesse
Abbildung 3 bietet einen Eindruck von einer der am Lehrstuhl
betriebenen Laboranlagen, die der Erzeugung von Dieselöl aus
Kohlendioxid und Wasserstoff dient. Erste Berechnungsergebnisse, denen
die bisher durchgeführten Experimente und die hierauf aufbauende
Modellierung der Prozessschritte zugrunde liegen, zeigt Tabelle 2.
Demnach könnte ein großtechnischer Fischer-Tropsch-Reaktor mit einem
Durchmesser von etwa 6 Metern und einer Länge von 15 Metern den
gesamten Primärenergiebedarf zur Deckung des Strom-, Wärme- und
Kraftstoffbedarfs von 20.000 "Durchschnittsdeutschen" decken; für die
Stadt Bayreuth würden also etwa vier Reaktoren ausreichen.
Tabelle 2: Modellierung eines technischen Fischer-Tropsch-Reaktors (Basisdaten)
Autor
Prof. Dr.-Ing. Andreas Jess ist Leiter des Lehrstuhls für Chemische
Verfahrenstechnik an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der
Universität Bayreuth.
P. Kaiser, R. Unde, C. Kern, A. Jess. Production of liquid hydrocarbons with CO2 as carbon source based on reverse water-gas shift and Fischer-Tropsch synthesis. Chem. Ing. Techn. 85 (2013), 489-499.
C. Kern, P. Kaiser, R. Unde, C. von Olshausen, A. Jess: Considerations concerning the energy demand and mix for global welfare and stable ecosystems. Chem. Ing. Techn. 83 (2011), 1777-1791
P. Kaiser, A. Jess: Modeling of technical multi-tubular reactors for iron and cobalt catalyzed Fischer-Tropsch syntheses for application in a power-to-liquid process. Energy Technology 2 (2014), 486-497.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
Abb.3 S. 25:
Laboranlage am Lehrstuhl für Chemische Verfahrenstechnik zur Erzeugung
von Dieselöl aus Kohlendioxid und Wasserstoff.
Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf
*
Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 22 - 25
Herausgeber: Universität Bayreuth
Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation
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Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2015
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