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INNOVATION/292: Bionik - Innovationen aus der Natur (Unser Wald)


Unser Wald - 3. Ausgabe, Mai/Juni 2013
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Bionik - Innovationen aus der Natur

von Knut Braun



Die Natur ist der erfolgreichste Innovator aller Zeiten. Seit rund 3,8 Milliarden Jahren entwickelt, erprobt und optimiert sie immer neue Problemlösungen. Der Bionik kommt eine Schlüsselfunktion zu, wenn es gilt, die im "Testlabor Natur" erfolgreich erprobten Lösungen für unsere Wissensgesellschaft nutzbar zu machen.


Der Begriff "Bionik" geht auf die Wortschöpfung "bionics" (aus dem Engl.: biology and electronics oder biology and technics) des amerikanischen Luftwaffenmajors J.E. Steele zurück. Dieser hatte 1960 eine Tagung einberufen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, vom "Biologischen Sonar" der Fledermäuse etwas für die Verbesserung des technischen Radars zu lernen.

Grundidee der Bionik ist das Lernen von der Natur. Die Herangehensweise des "Bionikers" an ein Problem ist es also, in der Natur zu schauen, ob es bereits eine Lösung gibt. Eine Problemlösung, die in Milliarden Jahren evolutionärer Entwicklung und Qualitätssicherung optimiert wurde und die ihre Funktionalität wie auch ihre Zuverlässigkeit bewiesen hat. Dabei geht es nicht um das bloße Kopieren der Natur. Ziel ist es vielmehr, die Prinzipien hinter einer Konstruktion des Ideengebers Natur zu verstehen. Erst dann können die daraus gewonnenen Erkenntnisse als Anregung für Innovationen genutzt und technisch umgesetzt werden. Immer wieder waren es Vorbilder aus der Natur, die Forscher auf Ideen für neue Erfindungen brachten - von Leonardo's Flugapparaten nach dem Vorbild der Natur bis zu Spinnennetz- oder muschelähnlichen Dachkonstruktionen de Santiago Calatrava. Leonardo da Vinci (1452 bis 1519) war ein Universalgenie. Er war Künstler, Philosoph, Naturwissenschaftler und als solcher auch der erste Bioniker. Aufgrund seines Studiums des Vogelfluges schrieb er bereits im Jahre 1505 das klassische Werk "Sul vol degli uccelli" und konstruierte Fluggeräte, Hubschrauber und Fallschirme. Nur die Zeit, in der er lebte, verhinderte, dass aus seinen Ideen Produkte wurden und es vergingen rund 500 Jahre, bis der Beweis erbracht werden konnte, dass seine Idee von der Konstruktion eines Fallschirmes durchaus kein Hirngespinst war.

Das Leben im Meer inspirierte einen deutschen Landesfürsten, sich schon sehr früh mit der Bionik auseinander zu setzen. Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe beauftragte im Jahre 1762 den Ingenieur und Militärschullehrer Jakob Chrysostomus Praetorius mit dem Bau eines Wasserfahrzeugs. Der Gedanke des Grafen war dabei ein Transportmittel zu besitzen, das ihm den langen Landweg nach Portugal, wo er sich seit 1764 häufiger aufhielt, deutlich verkürzen könnte. Praetorius ließ sich von Fischformen anregen und konstruierte aus Eichenholz ein Fahrzeug in der Form eines Hechts. In Anlehnung an die Rückenflossen sollte das Fahrzeug durch Takelung am Wind segeln und eine bewegliche Schwanzflosse diente dem Fahren unter Wasser.

Die für das Tauchen notwendigen Tiefenruder konzipierte er als Brustflossen und für den Ballast war in Anlehnung an die Schwimmblase der Fische ein Behältnis vorgesehen, welches durch eine Pumpe gefüllt oder geleert werden konnte. Dieses "erste" Unterseeboot, der "Steinhuder Hecht" absolvierte 1772 im Steinhuder Meer seine erfolgreiche Jungfern-Tauchfahrt. An Bord waren acht Mann Besatzung und die Tauchfahrt dauerte 12 Minuten.

Ein weiterer Vorreiter der Bionik war Sir George Cayley (1773 - 1857), ein englischer Landedelmann. Auf ihn gehen der Bau des ersten autostabilen Flugmodells und die Entwicklung des ersten praktikablen Fallschirms zurück. Vorbild für sein Fallschirmmodell war der Wiesenbocksbart, dessen Frucht er 1829 studierte und erkannte, warum die Früchtchen stabil fallen. Der Schwerpunkt dieser Früchte liegt weit unten und die tragende Fläche ist nicht eben, sondern nach außen hochgezogen. Auch bei Cayley's Fallschirm liegt der Schwerpunkt weit unten und die Tuchflächen werden an den Außenrändern nach oben hochgezogen.

Sicherlich darf man auch Otto Lilienthal in der Reihe der Vorreiter der Bionik nicht vergessen. Er studierte den Flug der Störche und war Hersteller der ersten erfolgreichen Flugapparate, mit denen er bereits in den Jahren 1891 bis 1896 erfolgreich Gleitflüge durchführte. Raoul Francé, in allen biologischen Zirkeln seiner Zeit zuhause, stand eines Morgens vor der Aufgabe, Boden gleichmäßig mit Kleinstlebewesen zu impfen. Er versuchte dies mit verschiedensten Streuern und Zerstäubern, landete dann aber bei der Mohnkapsel als Vorbild. Er ließ sich nach dieser Erkenntnis 1920 einen "Neuen Streuer" patentieren. Somit handelt es sich bei diesem Beispiel um das erste bionische Patent in Deutschland.

Das wohl bekannteste "Bionik-Produkt" kennen und nutzen heute Millionen in aller Welt: den Klettverschluss. In den 1940er Jahren entdeckte ein Schweizer Wissenschaftler namens Georges de Mestral das Prinzip für diesen Verschluss. Immer wenn er mit seinem Hund von der Jagd zurückkam, waren beide voller Kletten. De Mestral untersuchte den Haltemechanismus der Klettfrucht unter dem Mikroskop und baute ihn nach. Patentiert wurde diese "Erfindung der Natur" unter dem Namen VELCRO. Seit den 1950er Jahren hat sich die Bionik konsequent weiterentwickelt. Weitere Meilensteine waren 1960 in Amerika ein Symposium, auf dem der Begriff "bionics" erstmals auftaucht und im Jahre 1993 schließlich ein Symposium des VDI Deutschland, auf dem die führenden "Bioniker" der Bundesrepublik festlegten, was Bionik ist, nämlich "eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der technischen Umsetzung und Anwendung von Konstruktions-, Verfahrens- und Entwicklungsprinzipien biologischer Systeme befasst". 1960 suchten Major Steel und seine Mitstreiter Möglichkeiten, das Sonar von Fledermäusen für ein technisches Sonar im Militärbereich nutzbar zu machen. In der ehemaligen UdSSR (Babenko) und in den USA (Kramer) erforschten Wissenschaftler die Eigenschaften der Delfinhaut, um daraus gewonnene Erkenntnisse im U-Boot-Bau zu nutzen. Man untersuchte die Körperformen von Vögeln und Fischen, um Flugobjekte (Flugzeuge und Raketen) zu optimieren. Heute entwickelt man schusssichere Westen aus künstlicher Spinnenseide oder Spionageroboter, die in Größe und Form Fliegen entsprechen.

Ab Anfang 1970 gewann aber die Akzeptanz der Bionik auch im nichtmilitärischen Bereich zunehmend an Bedeutung. Zunächst einmal nahmen sich Statiker immer öfter die Natur zum Vorbild, um neue Bauformen zu erstellen. An erster Stelle ist hier Frei Otto und sein Institut für leichte Flächentragwerke an der Universität Stuttgart zu nennen. Auf Otto geht die Konstruktion des Olympiadaches in München zurück. Von 1969 bis 1996 lief ein von Otto ins Leben gerufener Sonderforschungsbereich "Natürliche Konstruktionen - Leichtbau in Architektur und Natur", an dem bundesweit ca. acht Universitätsinstitute beteiligt waren. In der Folge zogen auch andere Industriesparten nach. Hatten vor 20 Jahren viele Firmen noch Schwierigkeiten damit zuzugeben, dass in ihrem Bereich bionisch geforscht wird, so hat sich das in den letzten zehn Jahren deutlich geändert. Alle großen Automobilhersteller unterhalten heute Bionikabteilungen. Vorreiter war hier sicherlich die Adam Opel AG. Bei Opel werden Motoraufhängungen schon seit vielen Jahren mit Optimierungsmethoden nach Prof. Mattheck konstruiert, auf der Hannovermesse 1995 wurde eine bionische Felge vorgestellt, zwischen 1998 und 2001 brachte die Continental AG zwei bionische Reifen auf den Markt und im Jahr 2005 präsentierte die DaimlerChrysler AG der Weltöffentlichkeit mit dem Bionic Car ein Konzeptfahrzeug nach dem Vorbild des Kofferfischs. In den 1970er Jahren untersuchte der Paläontologe Prof. Reif in Tübingen die Schuppen von Haien. Er stellte dabei fest, dass schnellschwimmende Haie (z. B. Seidenhaie und Makos) eine besondere Strukturierung auf der Schuppenoberfläche besitzen. Da sich keiner seiner Kollegen dafür interessierte, wandte er sich an den Strömungsmechaniker Dr. Bechert bei der DLR in Berlin.

Bechert baute diese Hautstrukturen künstlich nach und untersuchte sie zunächst im Wind- und Wasserkanal, später dann in einem mit Babyöl gefüllten Wasserkanal. Erstes Ergebnis dieser Forschung war eine Folie zur Verminderung des cw-Wertes auf Flugzeugen. Die Spritersparnis bei Langstreckenflügen lag bei bis zu 8 %. Eine Weiterentwicklung dieser Riblets erregte im Jahr 2000 Aufsehen. Bei den Olympischen Spielen in Sydney starteten erstmals Athleten der USA und Australiens in einem Schwimmanzug, der die Eigenschaften von Haifischhaut imitierte. Ein weiteres Produkt, das der Bionik in den letzten Jahren großes Medieninteresse verschaffte, ist der "Lotuseffekt", entdeckt von Prof. Barthlott, einem Botaniker der Universität Bonn. Barthlott stellte schon vor 20 Jahren fest, dass die Oberfläche von Lotusblumen immer sauber war und untersuchte sie daraufhin rasterelektronenmikroskopisch. Entgegen der landläufigen Meinung der Physiker "Glatt ist gleich sauber" fanden Barthlott und sein Mitarbeiter Neinhuis, dass auf der Blattoberfläche noppenförmige Strukturen vorhanden sind, aufgrund derer Tropfen abperlen. Übrigens hat schon J.W. von Goethe dieses Phänomen bei verschiedenen Pflanzen beobachtet. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe weiterer Produkte mit Lotuseffekt.


Autor Knut Braun ist Geschäftsführer des Internationalen Bionik-Zentrum;
E-Mail: knut.braun@bionikzentrum.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Auf den ersten Blick ist der niedrige Strömungswiderstand des Kofferfisches nicht zu erkennen.
- Der "Steinhuder-Hecht" gilt als erstes U-Boot
- Der Klettverschluss basiert auf dem Prinzip der Klettenfrüchte
- Die Mohnkapsel ist Vorbild für Streugeräte
- Inzwischen wird der Lotuseffekt bei vielen Produkten eingesetzt.

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
3. Ausgabe, Mai/Juni 2013, S. 4 - 6
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2013