Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INDUSTRIE

PRODUKT/169: Das "große Geschäft" - Rückgang des Altpapiers bei Hygienepapieren (ARA Magazin)


ARA Magazin 1/09 - Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V. - www.araonline.de

Das "große Geschäft"

Hygienepapiere im Norden und im Süden


Während die Menge an verbrauchten Hygienepapieren bei uns kontinuierlich zunimmt - und der europäische Pro-Kopf-Verbrauch heute schon viermal so hoch ist wie der weltweite Durchschnitt -, hat der Anteil von Altpapier bei der Produktion in den letzten Jahren bedenklich abgenommen. ARA befürchtet massive Konsequenzen für die Wälder weltweit und hat sich auf die Suche nach den Ursachen gemacht.

Der Rückgang des Altpapiereinsatzes in der deutschen Hygienepapierproduktion überrascht, denn über lange Zeit war der Anteil an Sekundärfasern gerade bei dieser Papiersparte konstant hoch: 2003 wurden noch, ähnlich wie in den Vorjahren, 76 Prozent Altpapier bei der Herstellung von Hygienepapieren eingesetzt, 2005 waren es plötzlich nur noch 57 Prozent und 2008 mit 56 Prozent noch etwas weniger.

Stattdessen bestehen die Wegwerfprodukte wieder mehr und mehr aus hochwertigen Zellstofffasern, die aus frisch gefällten Bäumen gewonnen werden. Allein für den europäischen Markt, der über ein Viertel des Weltmarkts umfasst, werden Jahr für Jahr 25 Millionen Bäume gefällt, um kurz darauf in Europas Mülltonnen und Kläranlagen zu enden, da benutzte Hygienepapiere für den Recyclingkreislauf nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die Hersteller sind aus Nachhaltigkeitsgründen eigentlich besonders gefordert, gerade bei Wegwerfprodukten den Altpapiereinsatz zu erhöhen statt zu senken. Die Produkte der fünf größten Hersteller von Hygienepapieren in Europa, die zusammen über einen Marktanteil von rund 70 Prozent verfügen, enthalten aber fast nur Zellstoff.


Vorurteile längst widerlegt

Lassen alte Vorurteile gegenüber Recycling-Hygienepapieren Konsumenten wieder mehr und mehr zu herkömmlichen Papieren greifen?

Die Qualität von Hygienepapieren in Recyclingqualität kann eigentlich nicht der Grund für den sinkenden Altpapiereinsatz sein, denn VerbraucherInnen sollten längst gemerkt haben, dass dies optisch wie haptisch mit der Primärfaservariante absolut vergleichbar ist.

Die Vermutungen einer angeblich höheren Chemikalienbelastung bei Hygienepapieren aus Altpapier wurden ebenfalls mehrfach widerlegt. Vor nicht allzu langer Zeit gab es dazu zwei Testberichte von Ökotest und Test, die eher mehr Chemie in Primärfaserpapieren fanden.

Darüber hinaus wird aufgrund hoher Temperaturen bei der Trocknung der Papiere eine weitgehende Entkeimung von Papier erreicht, so dass ohnehin nur noch wenige und eher unbedenkliche Keime im Papier verbleiben.

Die dermatologische Unbedenklichkeit von Recycling-Hygienepapieren, die den Blauen Engel tragen, ist laut Mitteilung des Umweltbundesamtes seit langem gesichert. Bei Hygienepapieren mit dem Umweltzeichen dürfen sogar eine Reihe von Stoffen nicht eingesetzt werden, für die es z.B. bei der Produktion von Primärfasertoilettenpapieren keine vergleichbaren Beschränkungen gibt.

Auch die Preise von Recyclingklopapier sind vergleichsweise niedrig, was für die VerbraucherInnen ebenfalls ein Anreiz ist, eher zu den umweltfreundlichen Varianten zu greifen. Bei Papiertaschentüchern aus Altpapier könnte allerdings der ständig überhöhte Preis dazu beigetragen haben, dass sie einen schlechten Absatz hatten und deshalb vom Markt genommen wurden.


Verbraucher irritiert statt informiert

ARA hat insgesamt den Eindruck, dass VerbraucherInnen besonders auf dem Hygienepapier-Sektor durch falsche Deklarierungen konstant in die Irre geführt werden und sich so gar nicht klar für umweltfreundliche Produkte entscheiden können. Das Vertrauen von KundInnen in Öko-Siegel wird so langfristig untergraben.

Zum Beispiel haben Untersuchungen ergeben, dass es besonders bei Toilettenpapieren Recycling-Produkte gibt, die gar nicht als solche gekennzeichnet sind. Wahrscheinlich fürchten die Hersteller Verkaufseinbußen, wenn dies am Produkt vermerkt ist.

Ein weiteres Problem ist, dass große Discounter zunehmend unter Eigenmarken Toilettenpapiere, Haushalts- und Taschentücher aus Zellstoff mit nicht belegbaren Öko-Versprechen vermarkten. Die im Stil eines Gütesiegels aufgemachten Garantien versprechen z.B. "100 Prozent Zellstoff aus Holz kontrollierter Herkunft". Belege zur Überprüfung dieser Aussagen können die Discounter auf Nachfrage meistens nicht vorlegen - weder zur Herkunft der Papier-Rohstoffe, noch über aussagekräftige Zertifikate der jeweiligen Hersteller- und Zulieferbetriebe. Damit verstoßen die Anbieter gegen grundlegende Anforderungen an Umweltlabel, wonach alle Aussagen verifizierbar sein und Informationen dazu auf Nachfrage zugänglich gemacht werden müssen. Auch das verstärkt auftauchende FSC-Siegel auf Papier lässt KonsumentInnen annehmen, dass sie ein Produkt aus Altpapier in den Händen halten. Dass es sich dabei lediglich um Zellstoff aus umweltgerechterer Gewinnung handelt, ist ihnen meistens nicht klar. Und dass dieser Zellstoff sogar aus Eukalyptusplantagen in Brasilien stammen kann, erst recht nicht.

Ein Blick in die Einkaufsregale macht es immer deutlicher: Das Angebot an umweltfreundlichen Toilettenpapieren, Taschentüchern und Küchenrollen schrumpft.

ARA fordert die Hersteller deshalb auf, mehr Recyclingpapier im Hygienebereich anzubieten. Außerdem sollte das Angebot offensiver beworben werden, denn nur dann können Verbraucher durch die richtige Kaufentscheidung einen Beitrag zum Schutz der Wälder leisten. Besonders wichtig dabei: Recycling-Produkte sind klar auf der Packung zu kennzeichnen, möglichst mit glaubwürdigen Umweltsiegeln und bevorzugt mit dem Blauen Engel. Denn die Umweltbilanz bei "normalem" Hygienepapier ist im Vergleich katastrophal, vor allem dann, wenn der Zellstoff mehr und mehr von der Südhalbkugel stammt, wie die neuesten Statistiken zeigen.


Papier kommt zunehmend aus dem Süden

Waren bis vor wenigen Jahren die Staaten mit dem höchsten Papierverbrauch auch die Haupt-Produktionsstaaten von Zellstoff (Finnland, Schweden und Kanada), so wird heute mehr und mehr in den Ländern des Südens erzeugt. Aktuell im Blickfeld der Forstwirtschaft ist dabei Lateinamerika. Für 2010 wird davon ausgegangen, dass 25 Prozent des weltweit nachgefragten Rohstoffes von dort kommen werden (2005 waren es erst neun Prozent). Und die Hauptrolle dabei spielt Brasilien, das 2004 noch auf Platz 5 unserer Zellstoffimportländer stand und in diesem Jahr auf Platz 1 vorgerückt ist. Mit über 850.000 Tonnen ist Brasilien damit für Deutschland der bedeutendste Zellstofflieferant.

Die wichtigsten Akteure bei dieser Standortverlagerung vom Norden in den Süden sind die europäischen Zellstoffgiganten: Stora Enso aus Schweden/Finnland, das zweitgrößte Forstunternehmen der Welt, der finnische Konzern Botnia und in Brasilien das norwegisch-brasilianische Unternehmen Aracruz Celulose - der mächtigste Zellstoffkonzern und der größte Produzent von gebleichtem Eukalyptuszellstoff weltweit.


Konkurrenzlos billig

Die Firma Aracruz ist damit einer der großen Player in einer wortwörtlichen "Wachstumsbranche". Der Firmenchef behauptet, Aracruz sei in den vergangenen Jahren drei mal so schnell gewachsen wie das brasilianische Bruttoinlandsprodukt. Also scheinbar ein Segen für die strukturschwache Wirtschaft des Schwellenlandes. Aracruz-Zellstoff ist begehrt, denn die Firma produziert durch niedrige Lohn- und Energiekosten und das schnelle Wachstum der Plantagen halb so teuer wie ihre europäischen oder nordamerikanischen Konkurrenten.

Da Aracruz praktisch alle Wettbewerber abhängte, meinte der Chef des schwedischfinnischen Zelluloseproduzenten Stora Enso: "Wenn du deinen Konkurrenten nicht schlagen kannst, dann musst du dich mit ihm zusammen tun". Der Trend ist eindeutig: Es gibt immer größere Firmenkonzentrationen in der Zellulose- und Papierbranche, und mehr und mehr Investitionen werden in Schwellenländern statt in den Industrieländern getätigt. Vor allem Brasilien, Russland und China sind die neuen Standorte der Zellulose-Industrie.

Von den Gewinnen, die ein Konzern wie Aracruz einfährt, profitiert nur eine kleine privilegierte Gruppe - auf Kosten der Umwelt und der lokalen Bevölkerung. Auch exportiert Aracruz fast seine gesamte Produktion und zahlt damit keine Steuern. Über die Hälfte des Zellstoffs geht übrigens nach Europa.


Optimale Bedingungen

Die günstigen klimatischen Bedingungen in Lateinamerika, die dafür sorgen, dass

Eukalyptus-Bäume in nur acht Jahren mit 20 Meter Höhe schlagreif sind (in Skandinavien braucht eine Kiefer dafür ca. 80 Jahre), sind für die Zellstoffunternehmen ein Anreiz, in den dünn besiedelten Regionen Südamerikas ganze Landstriche aufzukaufen. Weiter locken in vielen Ländern Lateinamerikas nahezu unerschöpfliche Wasserreservoirs und äußerst investorenfreundliche ökonomische Rahmenbedingungen. So werden Freihandelszonen eingerichtet, Subventionen für die Forstwirtschaftsmonokulturen gezahlt, und Weltbank und Co. gewähren milliardenschwere Darlehen. Die Folge dieses Booms: Ganze Ökosysteme werden für die Herstellung von ZelluloseFrischfasern zerstört, denn um die Werke mit Holz zu versorgen, werden die Eukalyptusmonokulturen immer weiter ausgedehnt, wie z.B. in den brasilianischen Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Bahia und Espirito Santo. Dabei werden oft Hand in Hand mit Großgrundbesitzern und willfährigen Behörden die Landrechte der indigenen Bevölkerung oder von Kleinbauern missachtet. Die Zellstoff-Monokulturen dehnen sich auch mehr und mehr auf fruchtbaren Böden aus. Auf diesen Flächen könnten Nahrungsmittel für Hunderttausende von Menschen angebaut werden.


*


Quelle:
ARA Magazin 1/09
Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.
August Bebel Str. 16-18, 33602 Bielefeld
Redaktion: Wolfgang Kuhlmann, Jürgen Wolters, Monika Nolle
Telefon: 0521/6 59 43, Fax: 0521/6 49 75
E-Mail: ara@araonline.de
Internet: www.araonline.de

Das ARA Magazin erscheint halbjährlich.
Mitglieder und Förderer von ARA erhalten es kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2009