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ARTENSCHUTZ/057: Brasilien - Belo-Monte-Damm und Wilderer bedrohen Amazonas-Schildkröten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. November 2011

Brasilien: Belo-Monte-Damm und Wilderer bedrohen Amazonas-Schildkröten

von Mario Osava

Am Strand von Juncal legen Schildkröten etwa 90 Eier pro Nest - Bild: © Mario Osava/IPS

Am Strand von Juncal legen Schildkröten etwa 90 Eier pro Nest
Bild: © Mario Osava/IPS

Bajo Xingú, Brasilien, 28. November (IPS) - Luiz Cardoso da Costa war einst ein passionierter Jäger. Doch die Erinnerung an den furchtbaren Todeskampf einer Seekuh, der er das Messer in den Leib gerammt hatte, ließ ihn nicht mehr los. Nachdem der Brasilianer beobachtete, wie 800 tote Schildkröten auf ein Boot nach Manaus verladen wurden, schwor er sich, nie wieder auf die Jagd zu gehen.

Der Schock, den Cardoso da Costa vor 13 Jahren erlitt, sitzt noch immer tief. Heute engagiert er sich für den Umweltschutz in Tabuleiro do Embaubal, einem Gebiet mit etwa 100 Inseln am Unterlauf des Xingú-Flusses in der östlichen Amazonasregion. Ruhige Zeiten erlebt er nicht. Denn der Artenvielfalt droht nicht nur Gefahr von professionellen Jägern und Händlern, sondern auch von dem geplanten Belo-Monte-Wasserkraftwerk mit zwei Staudämmen.

Umweltschützern zufolge bedroht das Projekt den größten Schildkrötenbrutplatz der Welt. Jedes Jahr im September kommen 30.000 Amazonasschildkröten auf die Sandinseln im Xingú, um hier ihre Eier zu vergraben. Besonders groß ist der Andrang am Strand von Juncal.

Das Schauspiel könnte viele Touristen anziehen, meinte Saloma Mendes de Oliveira, die Umweltbeauftragte der Gemeinde Senador José Porfirio, zu der das Inselgebiet Tabuleiro do Embaubal gehört. Die Urlauber brächten nicht nur Geld, sondern könnten durch ihr Interesse die Einwohner des Ortes außerdem dazu anregen, sich stärker für den Umweltschutz einzusetzen.

Bisher sind die eierlegenden Schildkröten jedoch erheblich gefährdet. Ihr teuer gehandeltes Fleisch und ihre Eier machen sie zu einer begehrten Beute. Die Wilderer lassen sich nicht dadurch abschrecken, dass die gepanzerten Tiere unter Naturschutz stehen. Auf die Tötung von Schildkröten stehen hohe Geldstrafen oder sogar Haft.


Wildhüter auf privater Basis rekrutiert

Umweltaktivisten wie da Costa haben die Überwachung der Brutgebiete in der wasserarmen Zeit zwischen Juni und November verstärkt. Seit September stehen ihm 20 Wildhüter zur Seite, die von der Firma 'Biota' angeheuert wurden. Zugrunde liegt eine Übereinkunft zwischen der Stadtverwaltung von Senador José Porfirio und dem Energiekonsortium 'Norte Energia', das das Wasserkraftwerk Belo Monte mit zwei Staudämmen baut.

Norte Energia ist auch dafür verantwortlich, die Auswirkungen des Dammprojekts auf die Umwelt in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Über das riesige Kraftwerk ist bereits heftig gestritten worden. Obwohl es in der Lage wäre, 11.233 Megawatt Strom zu generieren, sollen aufgrund des stark variierenden Wasserstands des Xingú nur 40 Prozent der Kapazitäten ausgeschöpft werden.

"Norte Energia hat uns nichts erklärt", kritisierte da Costa. Er befürchtet, dass der Pegel des Flusses sinken wird. Trockenere Winter und Überschwemmungen der Inseln könnten die Folgen sein. Wenn die Feuchtgebiete, die während der Hochwasserzeit für gewöhnlich geflutet werden, austrocknen, finden die Schildkröten nicht genügend Nahrung. Als Konsequenz würden sie weniger Eier legen, erklärte der Naturschützer.

Der Biologe Juarez Pezzuti von der Universität von Pará, der Reptilien im Xingú-Becken erforscht, hält diese Entwicklung jedoch für unwahrscheinlich. Wie er berichtet, hängt der Wasserstand des 220 Kilometer langen Flussabschnitts zwischen Belo Monte und dem Mündungsgebiet vom Amazonasstrom ab, der wiederum durch mehr als 1.000 Flüsse gespeist wird. Pezzuti zufolge würde der Pegel des Xingú nur dann absinken, wenn mit dem Amazonas das Gleiche geschähe. Beide Flüsse werden von den Gezeiten des 400 Kilometer entfernt liegenden Atlantik beeinflusst.

Mendes de Oliveira wiederum befürchtet, dass der Unterlauf des Xingú, dessen Strömung geringer ist, durch die Aufnahme zersetzter organischer Stoffe 'saurer' werden könne, was sich negativ auf die lokale Artenvielfalt auswirken könne, warnte die Umweltexpertin.


Kraftwerksbauer spielt Gefahren herunter

Norte Energia schließt aus, dass das Kraftwerksprojekt derartige Folgen haben könnte. Doch Mendes de Oliveira gibt zu bedenken, dass es keine seriösen Fakten gibt, die diese Behauptungen unterlegen. Das Konsortium erkennt nur einen "indirekten Einfluss" des Belo Monte-Projekts auf diejenigen Gebiete an, die nicht durch die beiden Stauseen überflutet werden. Doch Mendes de Oliveira zufolge wird auch ein 100 Kilometer langer Flussabschnitt namens 'Volta Grande' in Mitleidenschaft gezogen. So wird ein Teil seines Wassers in einen der Stauseen eingeleitet.

Pezzuti weist ferner darauf hin, der Damm Sedimente zurückhalten wird, die wichtig sind, um die Embaubal-Sandinseln am Leben zu halten. Ohne ausreichend Sand sei die Fortpflanzung der Schildkröten gefährdet.

Auch die Wilderei bleibt ein Problem. Die lokalen Fischer fangen höchstens einige wenige Schildkröten, um sie zu verzehren. Als weitaus größere Bedrohung sieht da Costa Händler, die die Restaurants der großen Städte wie Manaus und Belém mit Schildkröten beliefern. Seiner Ansicht nach sollte die Polizei dieses illegale Treiben beenden.


Behörden gaben Verantwortung aus der Hand

Brasiliens Umweltbehörde IBAMA hat die Verantwortung für das Archipel bereits vor längerer Zeit einer privaten Stiftung übertragen, die ihre Arbeit jedoch vor zweieinhalb Jahren eingestellt hat.

Da Costa kämpft somit allein auf weiter Flur. Manchmal fehlen ihm Boote und Treibstoff, um die Inseln zu patrouillieren. Den Fang zahlreicher Schildkröten kann er häufig nur hilflos beobachten.

Sein Familienleben hat der 47-Jährige seit Langem dem Umweltschutz untergeordnet. Um zumindest den Strand von Juncal unter Kontrolle zu haben, wohnt er dort in einem Holzhaus mit Beobachtungsposten. Seine Frau und sechs Kinder, die in der Stadt leben, sieht er nur noch selten. Trotz geringer Bezahlung und vieler Todesdrohungen ist da Costa überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. (Ende/IPS/ck/2011)


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http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99641
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105955

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2011