Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

ARTENSCHUTZ/144: Indien - Hilfe für bedrohte Wasserschildkröten durch Bewohner von Odisha-Küstenregion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. März 2014

Indien: Hilfe für bedrohte Wasserschildkröten - Bewohner von Odisha-Küstenregion schützen Brutgebiet

von Manipadma Jena


Bild: © Bivash Pandav/IPS

Rettungseinsatz für Oliv-Bastardschildkröten in Indien
Bild: © Bivash Pandav/IPS

Ganjam, Indien, 28. März (IPS) - Wenn Oliv-Bastardschildkröten am Strand seines Dorfes ihre Nester bauen, kann es Warthy Raju kaum erwarten, die Millionen Jungtiere schlüpfen zu sehen. Statt sich gleich ins Meer zu begeben, wandern viele Schildkrötenbabys orientierungslos in Richtung Landesinneres. Damit sie nicht umkommen, sammelt der Zwölfjährige sie ein und setzt sie vorsichtig ins Wasser. Mindestens 30 Eimer täglich füllt er mit den Mini-Reptilien und schleppt sie zum Indischen Ozean.

Obwohl in der Nähe etwa 6.000 Menschen dicht an dicht in drei Fischerdörfern zusammenleben, kommen die Meeresschildkröten regelmäßig zum Brüten an den 4,5 Kilometer langen Strandabschnitt an der Mündung des Flusses Rushikulya im ostindischen Bundesstaat Odisha. Etwa 300.000 der insgesamt 694.000 Oliv-Bastardschildkröten, die im vergangenen Jahr in Odisha brüteten, waren hier anzutreffen.

In diesem Februar war die Brutzeit zwar unerwarteter Weise nach zwei Tagen beendet, doch immerhin hatten sich rund 25.000 Schildkröten an dem Strand versammelt, während an den anderen beiden Nistplätzen in Odisha keine einzige zu finden war. Dass die Reptilien offenbar dem Mündungsgebiet des Rushikulya den Vorzug geben, wird vor allem auf das Umweltengagement der Dorfbewohner zurückgeführt.

"Die Anwesenheit der Menschen schreckt die Schildkröten nicht ab, sondern hat sich in den letzten zehn Jahren für sie positiv ausgewirkt", berichtet Mangaraj Panda von der 'United Artists' Association', die sich an gemeindebasierten Umweltprojekten beteiligt.


Bevorzugtes Brutgebiet

In dem Küstenstaat Odisha brüten jedes Jahr fast die Hälfte aller auf der Welt vorkommenden Oliv-Bastardschildkröten und 90 Prozent der Exemplare der Spezies in Indien. Von der Weltnaturschutzunion (IUCN) werden die Wirbeltiere als bedrohte Art eingestuft. Brutstätten befinden sich ansonsten nur noch im mexikanischen Pazifikgebiet und in Costa Rica.

In Odisha finden sich die Oliv-Bastardschildkröten in drei großen Gruppen zum Nisten in den Mündungsgebieten des Rushikulya und des Devi sowie am Ghahirmatha-Strand ein. Die letzten beiden Plätze liegen innerhalb von Naturschutzgebieten.

"Spätestens im November sichten unsere Männer Schildkröten, die sich in fünf Kilometer Entfernung von der Küste versammeln. In der Mitte des Winters kommen die schwangeren Weibchen näher. Wir wissen, dass es dann an der Zeit ist, das Brutgebiet zu reinigen", sagt die 45-jährige Fischerin Pari Behera aus dem Dorf Purunabandh.

Fischerinnenkollektive im Mündungsgebiet des Rushikulya setzen sich an vorderster Front für den Fortbestand der Tiere ein. Mit Unterstützung von Schülern säubern sie die Strände von alten Fischernetzen, Glas, Kunststoffresten, Zweigen und Plastiktüten. In sechs Nächten Mitte Februar kriechen Tausende der rund 70 Zentimeter großen und 50 Kilo schweren Reptilien an Land, um Nester zu graben. Jedes Weibchen legt etwa 110 bis 180 Eier. Auf einer Länge von 2,3 Kilometer aufgespannte Netze sollen verhindern, dass verwirrte Tiere sich landeinwärts verlaufen.

"Rund um die Uhr halten Wachen wilde Hunde, Katzen, Hyänen und Schakale davon ab, die Eier auszugraben", berichtet der 27-jährige Madu Shankar Rao aus dem Dorf Gokharakuda. Freiwillige der Umweltorganisation WWF und Waldhüter helfen ihnen dabei.

Laut IUCN nehmen die Bestände der Oliv-Bastardschildkröte aufgrund von Schleppnetzfischerei, der Zerstörung ihrer Habitate und der globalen Erderwärmung immer weiter ab. Diesen Trend kann das indische Umwelt- und Waldministerium auf dem Subkontinent nicht feststellen. Die Zahl der brütenden Oliv-Bastardschildkröten hat sich in Odisha in den vergangenen zehn Jahren sogar mehr als verzehnfacht, wie aus einer umfangreichen WWF-Untersuchung aus dem letzten Jahr hervorgeht. Zwischen 2002 und 2006 konnte bereits ein Anstieg von 35.000 auf 460.000 brütender Weibchen verzeichnet werden. 2011 wurde die bisherige Rekordzahl von 720.000 registriert.

Seit 2004 verbieten die Behörden von Odisha von November bis Mai den Fischfang, um die Schildkröten zu schützen. Deren Sterblichkeitsrate hat sich seitdem halbiert. Das Verbot gilt sowohl für die Schleppnetzfischerei als auch für den traditionellen Fischfang. Panda zufolge wird die Regelung von den Trawlern unterlaufen.

Auch Bivash Pandav, einem anerkannten Forscher an Indiens Wildlife Institut, zufolge ist nicht alles zum Besten bestellt. "Die Tatsache, dass das Mündungsgebiet des Rushikulya eine riesige Zahl von Schildkröten beherbergt, heißt noch nicht, dass dort alles in Ordnung wäre."

Die Fischer sind unzufrieden, seit das siebenmonatige Fangverbot eingeführt wurde. Ein hoher Beamter räumte ein, dass dieser Streitpunkt die Fischer nach wie vor gegen die Behörden aufbringe. Anfang Januar erschossen Küstenwachen einen Fischer, der das Verbot missachtete.


Fischereiverbot unterlaufen

In Dorf Podampeta, dem reichsten der dicht besiedelten Dörfer, macht Babaji Ramaya seinem Zorn Luft: "Unsere Küchenfeuer bleiben kalt, wenn wir nicht fischen. Das Meer ist unser Ackerland und der Fisch unser Getreide. Was sollen unsere Kinder sonst essen?" Die Häuser in Podampeta sind aus Backsteinen gebaut, junge Männer telefonieren mit Smartphones. "Wie können wir das Fischen aufgeben, wenn wir nicht auf andere Weise das gleiche Einkommen erwirtschaften?", fragt Ramaya.

In jeder Familie leben bis zu drei Männer, die jeweils etwa 200 US-Dollar monatlich nach Hause bringen. Frauen verdienen etwa 100 Dollar mit der Verarbeitung und dem Verkauf von Fisch. Traditionell fuhren die Fischer in Holzbooten mit Netzen auf Meer hinaus, die den Schildkröten nichts anhaben konnten. Angesichts der wachsenden Konkurrenz der Trawler und einer zunehmenden Zahl von Fischern steigen aber immer mehr auf Motorboote um und verwenden Schleppnetze. Und etliche von ihnen halten sich nicht an das Fangverbot.

"Dabei verlangen wir von ihnen nicht mehr, als 15 Tage im Jahr keine Netze zu verwenden. Denn an den Tagen kommen die schwangeren Weibchen in die Nähe der Küste, bauen ihre Nester, legen ihre Eier ab und verschwinden wieder", sagt Michael Peters, der Leiter von WWF-Odisha. Experten wie Pandav sind jedoch der Meinung, dass das Fangverbot ausschließlich für Trawler mit Kiemennetzen und langen Leinen gelten sollte.

Die Menschen im Mündungsgebiet des Rushikulya sind fest entschlossen, die Oliv-Bastardschildkröten weiterhin zu schützen. "Das Gebiet könnte in Indien zu einem idealen Naturreservat werden, wenn sich Ressourcen mobilisieren ließen", meint Pandav. Wenn Wildlife-Habitate von der Allgemeinheit geschützt werden, können sie in den Stand von 'Gemeindereservaten' erhoben werden.

Den von der Regierung favorisierten Öko-Tourismus halten Umweltschützer für keine gute Idee, sondern eher für eine Gefahr für die bedrohte Art. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/03/look-whos-helping-olive-ridley/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. März 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2014