Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

ENERGIE/002: Indiens strahlende Zukunft - Pläne für ein ehrgeiziges Atomprogramm (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Indiens strahlende Zukunft

Von Ajit Thamburaj


Während sich die indische Regierung bei den Klimaverhandlungen stur stellt, werden im eigenen Land atomare Tatsachen geschaffen. Mit internationaler Unterstützung sollen Nuklearparks die Leistung aus Atomenergie innerhalb von 10 Jahren verzehnfachen - trotz massiver Sicherheitsrisiken und Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung. Blockiert wird dadurch der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen.

Für das ehrgeizige indische Atomprogramm will die staatseigene Nuclear Power Corporation of India Limited (NPCIL) bis 2020 die atomare Netzleistung auf 20.000 MW erhöhen, also in etwa auf die Nettokapazität, die in Deutschland derzeit durch Atomkraft gedeckt wird. Dafür sollen einige defekte Meiler nachgerüstet wieder ans Netz gehen und dazu zehn neue schwerwasserbetriebene Reaktoren vom Typ PHWR nach indischem Design gebaut werden. Doch die sind nur ein Teil des strahlenden Szenarios.

Der indische Premier Manmohan Singh hat angekündigt, das Ziel für die atomare Stromproduktion liege bis 2020 bei unglaublichen 43.000 MW - das wäre eine Verzehnfachung der bisherigen Leistung. Neben den Reaktoren Marke Eigenbau sollen dafür 23.000 MW durch importierte Technik von internationalen Atomkonzernen wie Rosatom, Areva und Westinghouse gebaut werden.


Pleiten, Pech und Pannen

Zieht man eine realistische Bilanz der Entwicklung indischer Atomkraftwerke, verwundern diese Ziele stark. Atomkraft trägt mit 4120 MW installierter Leistung gerade einmal drei Prozent zum indischen Strommix bei. Dazu ist das 50-jährige Atomprogramm von einer langen Liste von Störfällen und Problemen geprägt. So war die geplante Leistung der derzeit betriebenen Atommeiler weitaus höher. Doch von den 18 installierten Meilern sind gerade einmal 13 am Netz. (Stand Feb. 2010) . Der Rest wurde wegen Sicherheitsproblemen oder wegen Brennstoffmangels vorzeitig vom Netz genommen.

Im März 1993 hielt ein Brand im Reaktor in der Stadt Narora (Uttar Pradesh) die indische Öffentlichkeit einen Tag lang in Atem. Nachdem sich die Rotorblätter der Turbinen gelöst hatten, kam es im Kraftwerk zu einer Explosion, da sich aus dem Kühlsystem ausgetretener Wasserstoff entzündet hatte. Eine Katastrophe konnte nur knapp verhindert werden. 1999 kam es im Reaktor in Kalpakkam (Tamil Nadu) zum Austritt von schwerem Wasser. Anstelle eine umfassende Studie über die Folgen des Unfalls in Auftrag zu erstellen, behauptete die zuständige Behörde (das sog. Atomic Energy Regulatory Board) ohne intensive Prüfung, dass alle Strahlenwerte innerhalb der von ihr selbst festgesetzten Grenzwerte liegen. Am 21. Januar 2003 kam es am gleichen Ort bei der Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe zu einer Leckage von hochradioaktiver und leichtradioaktiver Flüssigkeit, bei der Arbeiter radioaktiver Strahlung ausgesetzt wurden. Die indische Atomenergiebehörde (DAE) leugnete den Störfall zunächst und gab ihn erst nach massivem Druck zu. Die zuständigen Verantwortlichen schoben den Vorfall auf eine Fehleinschätzung einiger Angestellter, sowie auf den "Über-Enthusiasmus" einiger Wissenschaftler. In einem Land, in dem sich 1984 bereits ein Chemie-Super GAU ereignet hat, keine sonderlich beruhigende Erklärung.


Gefahren für Mensch und Umwelt werden ignoriert

Doch auch der atomare "Normalbetrieb" wirft für das Netzwerk "Doctors For a Safe Environment" (DOSE) Fragen auf. Nach ihren Angaben leiden in dem Gebiet um die Reaktoren in Kalpakkam über ein Drittel der Frauen zwischen 15 und 40 Jahren an Schilddrüsendefekten, einige von ihnen haben Schildrüsenkrebs. Die Ärzte führen diese auffallend hohen Werte auf das Austreten von Radioaktivität in Form von Gas und auf die hohe Radioaktivität im Meer zurück. Fast alle geplanten Atomkraftwerke befinden sich am Meer. Und der traditionelle Fischfang ist für viele Menschen die einzige Einnahmequelle. Ungelöst ist außerdem die Frage der Endlagerung des Atommülls. Mit indischer Gelassenheit wird bisher der hochradioaktive Müll in Abklingbecken dezentral zwischengelagert, während ein Teil in den Wiederaufbereitungsanlagen in Tarapur und Kalpakkam verarbeitet wird. Bereits das derzeitige Programm produziert hochradioaktiven Atommüll von ca. 110 Tonnen pro Jahr.

Weil das ehrgeizige indische Atomprogramm zu einer Steigerung des Uranabbaus führen wird, sind Konflikte um Land vorprogrammiert. Die Uranvorkommen in Indien werden auf 60.000 Tonnen geschätzt. Der tatsächliche Uranabbau in Indien betrug 2008 gerade einmal 260 Tonnen, wobei 980 Tonnen Uran in indischen AKWs verbraucht wurden. Indien hat also bereits jetzt ein Urandefizit. Daher sollen neben Lieferverträgen mit Frankreich, Russland, Kasachstan und dem Niger auch der eigene Uranerzabbau massiv gesteigert werden. Potenzial für neue Minen findet sich vor allem in den Bundesstaaten Meghalaya, Jharkand und Andhra Pradesh - Gebiete, in denen die maoistischen Rebellen, die sog. Naxaliten, über viel Rückhalt in der Bevölkerung verfügen. Es regt sich bereits starker, teilweise militanter Protest in diesen Gebieten gegen die Uranabbaupläne.

Für die größtenteils indigenen Bevölkerungsgruppen in diesen Bundesstaaten bedeutet das Land ihrer Vorfahren die einzige Überlebenschance - Land, dass durch Uranabbau für immer verloren geht.


Deutsche Wirtschaftsinteressen südlich des Hindukusch

Auch wenn Deutschland bisher noch nicht offiziell mit Indien in Sachen Atomkraft kooperiert, spielen deutsche Interessen im indischen Atompoker eine bedeutende Rolle. Besonders beim Thema "Reaktorsicherheit" zeigt sich Deutschland interessiert. So berichtete die Tageszeitung der "The Hindu" im Dezember 2009 über das Angebot des deutschen Botschafters für eine Kooperation im Bereich Reaktorsicherheit in einem Atemzug mit der erhofften Entscheidung der indischen Regierung für den Kauf von 126 Eurofighter Typhoon Jets im Wert von 11 Billionen US-Dollar vom Rüstungskonzern EADS. Außerdem ist mit Siemens ein deutscher Atomkonzern direkt in das indische Programm verstrickt: Siemens ist derzeit (noch) an Areva beteiligt und hat den EPR mitentwickelt, der nun in vielen Atomparks in Indien eingesetzt werden soll. Dass Siemens einen Lagerwechsel zum russischen Atomkonzern Rosatom vorbereitet, ändert nichts - denn Rosatom ist wiederum durch den Bau von zwei VVER Reaktoren in Koodankulam vertreten.


Atomprogramm blockiert Ausbau der Erneuerbaren

In Indien stehen Stromausfälle auf der Tagesordnung. Dass neben Energieeinsparung und Effizienzgewinnen auch auf der Produktionsseite dringend Investitionen nötig sind, steht außer Frage. Aber ist eine strahlende Zukunft der Preis, den Indien für seine "Entwicklung" bezahlen muss? Eine von Greenpeace und dem Renewable Energy Council angefertigte Studie kommt zu einem anderen Ergebnis und zeigt, dass eine zentralistische Energieproduktion aus fossilen Energieträgern die Bedürfnisse des Landes komplett verfehlt. So gingen 2001 nach Angaben des Energieministeriums 35 Prozent des Stroms alleine durch Transport verloren. Es ist daher ineffizient, zentral produzierten Strom in die abgelegenen Gegenden des ländlichen Indiens zu transportieren - zumal mit Solar- und Windkraft, Biomasse und dezentralen Blockheizkraftwerken ein riesiges Potential für dezentrale Energiegewinnung zur Verfügung steht.

Doch um diesen Weg in ein regeneratives Zeitalter einzuschlagen, sind jetzt massive Investitionen nötig. Die im Rahmen der "Jawahrlal Nehru Solar Mission" festgelegten Ziele für Solarenergie sind genauso wie die Pläne zum Ausbau der Windkraft im Bundesstaat Tamil Nadu Schritte in die richtige Richtung. Doch da jeder Ruppe nur einmal ausgegeben werden kann, fehlt das Geld, dass jetzt in den Ausbau der Atomkraft fließt, für den Ausbau der Erneuerbaren und für den Aufbau von intelligenten Stromnetzwerken.

Es bleibt zu hoffen, dass die indischen Nuklearalbträume auf genügend Widerstand stoßen, um anstelle einer "strahlenden" Zukunft sonnige Perspektiven für Südasien zu erkämpfen. Erste Ansätze dafür gibt es.

Mehr Infos gibt es unter:

National Alliance of Anti-Nuclear Movements,
http://www.facebook.com/group.php?gid=145660441075

Nuclear Free India, http://www.sacw.net/auteur520.html

Ajit Thamburaj, athambura[at]gmx.net


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Baustelle des Atomkraftwerks Koodankulam im Bundesstaat Tamil Nadu: Indien plant massiv in Atomkraft zu investieren
Windräder im größten Windpark Indiens, der jetzt schon mehr Strom produziert als die Atomkraftwerke


*


Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010, Seite 20-21
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag: ROBIN WOOD-Magazin
Rosa-Luxemburg-Str. 24, 16303 Schwedt
Tel.: 03332/2520-10, Fax: 03332/2520-11
E-Mail: magazin@robinwood.de

Magazin zu beziehen über:
Robin Wood e.V. Bremen, Geschäftsstelle
Postfach 10 21 22, 28021 Bremen
Tel.: 0421/59 828-8, Tel.: 0421/59 828-72
E-Mail: info@robinwood.de
Internet: www.robinwood.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010