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ENERGIE/014: Wie viel Wasser darf Agrosprit schlucken? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 967 vom 26. Februar 2011 - 30. Jahrgang

Wie viel Wasser darf Agrosprit schlucken?


Agrosprit und Agrodiesel dürfen laut Art. 17 der EG-Richtlinie für erneuerbaren Energien in der EU nur dann in die Treibstofftanks gefüllt werden, wenn sie "nachhaltig" produziert worden sind (siehe RUND-BR. 957/3, 915/1-3 909/2, 899/1-2 890/1-3). Hinter diesem Nachhaltigkeitsversprechen steckt allerdings ein gewaltiger Etikettenschwindel: Soziale Kriterien werden bislang ebenso wenig berücksichtigt wie indirekte Landnutzungsänderungen im Gefolge des Anbaus von immer mehr Energiepflanzen in Schwellen- und Entwicklungsländern (siehe weiter unten). Und auch der Wasserverbrauch zur Bewässerung von Energiepflanzen (s. 906/2-3) spielt nur dann eine Rolle, wenn dadurch Schutzgebiete von hoher Biodiversität und schützenswerte Feuchtgebiete negativ betroffen werden könnten. Die Europäische Normungsinstitution (CEN), die sich in Anlehnung an die EG-Richtlinie um eine Normung der Nachhaltigkeitskriterien für energetisch genutzte Biomasse bemüht, will die Betrachtung des Wasserverbrauchs ebenfalls auf diesen engen Focus einschränken. Inzwischen hat sich auch die Internationale Normungs-Organisation (ISO) der Normung von Nachhaltigkeitskriterien für energetisch genutzt Biomasse angenommen. In einem ersten Entwurfspapier (ISO Working Draft 13065) für eine weltweit geltende ISO-Norm wurde unter Punkt 5.4.2 die Verfügbarkeit und Menge von Wasser als zu berücksichtigendes Nachhaltigkeitskriterium gelistet. Prinzipiell sollen beim Anbau und der Weiterverarbeitung von Energiepflanzen die Wasserressourcen bewahrt und geschützt werden. Dazu sollen in den Anbauregionen von Energiepflanzen (Wasser-)Managementsysteme und Pläne implementiert werden. Außerdem sollen die Wasserkriterien aus der ISO-Umweltmanagementnorm 14001 mit berücksichtigt werden. Zudem ist vorgesehen, dass ein Einsatz von Techniken zu erfolgen hat, die das Risiko von Beeinträchtigungen der Gewässergüte reduzieren. Dazu kann als Indikator auch der Wasserfußabdruck mit herangezogen werden. Gefragt ist eine Auswahl von Energiepflanzenkulturen, die den geringsten (Negativ-)Einfluss auf die Wasserverfügbarkeit haben. Die Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit müssen überwacht werden - beispielsweise über die Erfassung des Wasserbedarfs pro Liter Agrosprit ("biofuel"). Auch wenn Energiepflanzen bewässert werden müssen, sollte der menschliche Trinkwasserbedarf immer den Vorrang genießen. Wie man sieht, sind diese Prinzipien, Kriterien und Indikatoren an Allgemeinheit kaum zu überbieten. Gleichwohl ist man mit diesen wasserbezogenen Prinzipien und Kriterien im ISO-Prozess deutlich weiter als die EU-Kommission und die kleinmütigen CEN-Normer. In den CEN-Gremien hat man es bislang nicht gewagt, über das dürftige Nachhaltigkeitsspektrum der EG-Erneuerbaren Energien-Richtlinie hinauszudenken.


GBEP: Mehr Agrosprit mit weniger Wasser und weniger Agrochemikalien

Um eine höheren Konkretisierungsgrad zu erreichen, wird in den international besetzten ISO-Gremien derzeit diskutiert, wie schon vorhandene Nachhaltigkeitssysteme in den ISO-Normungsprozess mit übernommen werden könnten. Dazu zählt beispielsweise die Global Bioenergy Partnership (GBEP), eine Initiative, die im Jahr 2005 von den "führenden" G8-Industriestaaten sowie von weiteren fünf Ländern (Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika) ins Leben gerufen worden ist. Die G8+5-Initiative wurde sodann von der UN übernommen - siehe http://www.globalbioenergy.org/

Auf GBEP-Ebene wurden ebenfalls Prinzipien zur Erfassung der Verfügbarkeit, der Nutzungseffizienz und der Qualität von Wasser kreiert. Als zugehöriger Indikator gilt der Wasserbedarf für die Bewässerung der Energiepflanzen und für die Produktion des Agrosprits. Dies ist sowohl als Wasserbedarf pro Liter produziertem Agrosprit sowie als Prozentsatz der (lokal oder regional) verfügbaren und erneuerbaren Wasserressourcen ("total actual renewable water resources (TARWR))" zu berechnen. Darüber hinaus muss der Prozentanteil am gesamten antropogenen Wasserbedarf in der betreffenden Region im Jahr kalkuliert werden. Als weiterer Indikator wird sodann die Wassernutzungseffizienz aufgeführt. Als zugehöriger Indikator soll hierzu das Volumen des Bewässerungs- und Produktionswassers pro Einheit nutzbarer "Bioenergie" erfasst werden. Dabei soll zwischen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Wasserressourcen differenziert werden. Für den nächsten Indikator - die Wasserqualität - kommt es auf die Erfassung der Schadstofffrachten an, die in die Gewässer emittiert werden. Und zwar sowohl infolge des Einsatzes von Düngern und Pestiziden in den Enegiepflanzenkulturen als auch infolge der Emissionen aus der Weiterverarbeitung der Energiepflanzen zu Agrosprit. Als Maßstab hierfür gelten der jährliche Stickstoff- und Phosphordüngereinsatz sowie der Pestizideinsatz pro Hektar bzw. die Einsatzmengen dieser Agrochemikalien im jeweiligen Flusseinzugsgebiet. Dies kann wiederum in Relation gesetzt werden zu den Einsatzmengen in der gesamten landwirtschaftlichen Produktion im betreffenden Wassereinzugsgebiet. Ferner sollte der Biochemische Sauerstoffbedarf im Abwasser aus der Agrospritproduktion in Bezug auf den produzierten Liter Agrosprit veranschlagt werden. Vorgesehen ist auch die Erfassung der Nitrat- und Phosphat-Frachten, die in großen Flüssen aus dem Anbau von Energiepflanzen resultieren.


RSB: Anbau von Energiepflanzen muss indigene Rechte respektieren

Auch der (informelle) Runde Tisch Nachhaltige Biomasse (RSB) hat bereits Nachhaltigkeitskriterien für den Wasserverbrauch und die Wasserverschmutzung im Gefolge der Agrospritproduktion kreiert. Nach dem RSB-Prinzip Nr. 9 soll die Agrospritproduktion die Menge und Güte von Oberflächen- und Grundwässern erhalten oder gar verbessern [?]. Bei der Agrospritproduktion sollten zudem vorrangig die geschriebenen und ungeschriebenen Wasserrechte respektiert werden.

Diese Prinzipien werden mit folgenden Kriterien operationalisiert:

Der Anbau von Energiepflanzen und die Agrospritproduktion sollten die existierenden Wasserrechte der lokalen und indigenen Gemeinschaften respektieren. Ferner sollte ein Wassermanagementplan erstellt werden, der nicht nur auf eine möglichst effiziente Wassernutzung abzielt, sondern auch die Qualität der Wasserressourcen sichert oder gar verbessert. Alle Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Anbau von Energiepflanzen und deren Weiterverarbeitung zu Agrosprit sollten keine Reduzierung der Oberflächen- und Grundwasserressourcen zur Folge haben, die über die Erneuerung der Wasserressourcen hinausgehen.


RSPO: Wasserschutzprinzipien beim Palmölanbau

Der Runde Tisch Nachhaltiges Palmöl (RSPO) hat ebenfalls Wasserschutzprinzipien formuliert, die vor allem die Produktion von Agrodiesel betreffen. Bei RSPO fordert Prinzip 4 die Einhaltung der einschlägigen besten Praktiken für die Betreiber von Palmölplantagen und Palmölmühlen. Zur Konkretisierung dieses Prinzips gibt es wiederum Kriterien, die u.a. fordern, dass die Qualität von Wasser und die Verfügbarkeit von Oberflächen- und Grundwasser bewahrt werden soll. Ferner geht es um den zurückhaltenden Einsatz von Agrochemikalien: "Agrochemicals should be used in a way that does not endanger health or the environment."

Weichmacher in den Nachhaltigkeitsprinzipien für die Agrospritproduktion Der Wassersektor ist nur einer von zahlreichen Bereichen, für die jetzt praktikable Nachhaltigkeitskriterien in ISO-Arbeitsgruppen rund um den Globus formuliert werden müssen. Vor allem die USA und Brasilien haben sich bislang dabei hervorgetan, möglichst weiche Kriterien zu fordern. In die heftig ausgetragenen Debatten auf der ISO- und auf der CEN-Ebene sowie im deutschen DIN sind auch die deutschen Umweltverbände eingeklinkt. Auf der DIN-Ebene sind der BUND und wir vom Ak Wasser im BBU vertreten. Im DIN wird der "deutsche Standpunkt" formuliert, den die deutschen Delegierten in den CEN- und in den ISO-Gremien tunlichst vertreten sollten. Auf der ISO-Ebene werden die deutschen Umweltverbände vom WWF repräsentiert.


Mit mehr Gentechnik ins Agrosprit-Zeitalter

Seitens der deutschen Umweltverbände wird generell kritisiert, dass bislang die indirekten Landnutzungsänderungen in der Nachhaltigkeitsnormung für energetisch nutzbare Biomasse nicht berücksichtigt werden. Dabei geht es darum, das es zwar im Einzelfall durchaus sein kann, dass beispielsweise Zuckerrohr für die Produktion von Agroethanol ökologisch und sozial koscher angebaut wird - dass aber auf diesen Flächen zuvor beispielsweise Soja angebaut wurde. Die vom Zuckerrohr verdrängten Sojaanbauer weichen dann möglicherweise auf Flächen aus, auf denen bislang Rinder gegrast haben. Und die vom Sojaanbau verdrängten Rinderhalter brennen dann Regenwald ab, um neue Weideflächen für ihre Rinder zu gewinnen. Diese indirekten Landnutzungsänderungen können den eh schon fragwürdigen Treibhausgasvorteil von Agrosprit gegenüber herkömmlichem Erdölbenzin völlig ins Negative drehen (siehe auch nächste Notiz). Eine weitere Kritik von uns richtet sich dagegen, dass der Einsatz von gentechnisch veränderten Energiepflanzen bislang nicht ausgeschlossen wird - größtenteils verweigert man sich sogar jeglicher Diskussion um die Gentech-Problematik beim Energiepflanzenanbau. Im Gegensatz zur EG-Richtlinie und zur CEN-Normung werden im ISO-Working-Draft 13065 unter Ziffer 5.4.5.x immerhin gentechnisch manipulierte Organismen (GMO) erwähnt. Bei der CEN-Normung war anfangs auch ganz sachte vorgesehen, zu überlegen, möglicherweise GMOs mit zu berücksichtigen - allerdings nur in Schutzgebieten mit hoher Bedeutung für die Biodiversität.

Bei der jetzt voll anlaufenden ISO-Normung gewinnt man den Eindruck, dass gentechnisch veränderte Energiepflanzen ebenfalls nur in Hinblick auf die Biodiversität in Schutzgebieten diskutiert werden sollen. Wir sind allerdings der Ansicht, dass GMOs zusätzlich eine ganz starke sozial-ökonomische Komponente haben: Dort wo sich riesige GMO-Plantagen ausbreiten, werden nicht nur die Biodiversität, sondern in (zu) vielen Fällen auch die Klein- und Subsistenzbauern platt gemacht. Den Zweierpack von GMOs und den dazu passenden Pestiziden können sich in der Regel nur die Großplantagenbesitzer und das alles dominierende Agrobusiness leisten. Kleinbauern haben da keine Chancen mehr, ökonomisch gegen diese Übermacht zu bestehen. Es kommt also zu einem Verdrängungsprozess, an dem am Ende in der Dritten Welt die Kleinbauern verhungern, damit die erste Welt ihren Energiehunger mit Biomasse aus Gen-Tech-Großplantagen stillen kann. Wenn sich erst einmal riesige Plantagen mit gentechnisch veränderten Energiepflanzen (über die jetzt schon vorhandenen Gen-Soja-Plantagen hinaus) ausbreiten werden, wäre das unseres Erachtens somit nicht nur eine Frage der Biodiversität.


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 967/2011
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2011