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FRAGEN/007: Indien - Interview mit Rajendra Singh, Träger des Stockholmer Wasserpreises (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2015

Indien: "Schutz unseres Wassers muss im Fokus stehen" - Interview mit Rajendra Singh, Träger des Stockholmer Wasserpreises

von Stella Paul


Bild: © Stella Paul/IPS

'Indiens Wassermann' Rajendra Singh
Bild: © Stella Paul/IPS

STOCKHOLM (IPS) - Weltweit haben mehr als 748 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, mehr als das Doppelte der Einwohnerzahl der USA.

Laut den Vereinten Nationen müssen etwa 1,8 Milliarden Menschen - 500 Millionen mehr, als in ganz China leben - mit Fäkalien verunreinigtes Wasser trinken. Jährlich sterben über zwei Millionen Menschen, weil ihnen kein sauberes Wasser zur Verfügung steht.

Wie aus dem aktuellen Weltwasserbericht hervorgeht, könnte die Nachfrage nach Wasser bis 2050 um 55 Prozent steigen, vor allem aufgrund des Bedarfs der Fertigungsindustrie. Während die Staatengemeinschaft bei der Armutsbekämpfung einen Übergang von den UN-Millenniumsentwicklungs- zu den Nachhaltigkeitszielen (SDG) vollzieht, ist das Wasserproblem so groß wie nie zuvor.

Politiker führen endlose Debatten auf hoher Ebene, während viele Menschen die Folgen von Dürre, Wassermangel und durch Wasser übertragene Krankheiten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Mehreren Quellen zufolge sterben täglich etwa 5.000 Kinder an den Folgen wasserbedingter Infektionskrankheiten. Unterdessen sind nur wenige Stimmen zu hören, die eines der komplexesten und dringend zu lösenden Probleme klar auf den Punkt bringen.

Zu denjenigen, die diese Probleme unermüdlich thematisieren, gehört Rajendra Singh, auch bekannt als 'Indiens Wassermann'. Der Träger des diesjährigen Stockholmer Wasserpreises, auch 'Nobelpreis für Wasser' genannt, ist für seinen 35-jährigen Einsatz für einen besseren Umgang mit den Wasserressourcen ausgezeichnet worden. Er hat eine traditionelle Technik zum Auffangen von Regenwasser wiederbelebt und Flüsse saniert. Mehr als 1.200 Dörfer in seinem Heimatstaat Rajasthan im Nordosten des Landes haben ihm sauberes Trinkwasser zu verdanken.

Indien ist mit seinen breiten Strömen und unzähligen Nebenflüssen, die eines der am weitesten verzweigten Frischwassersysteme der Welt bilden, ein aussagekräftiges Beispiel für Wassermanagement. Mehr als 150 Millionen der insgesamt 1,1 Milliarden Menschen auf dem Subkontinent haben zur Zeit keinen Zugang zu Süßwasser. Das weitverbreitete Problem der Armut verschärft sich dadurch weiter, und die Zukunft der Energieversorgung, der Umwelt und der nachhaltigen Entwicklung steht auf dem Prüfstand.

Am Rande der kürzlich zu Ende gegangenen Weltwasserwoche 2015 sprach IPS mit dem prominenten Aktivisten über die Zukunft dieser knappen und kostbaren Ressource.


Das Interview in Auszügen:

IPS: Sie haben immer gesagt, dass wir keine neuen Strategien brauchen, sondern mit Blick auf die Wasserreserven handeln müssen. Was meinen Sie damit?

Rajendra Singh: Lassen Sie mich über Indien sprechen. Dort gibt es keinen Mangel an Strategien und Vorschriften. Viele Gesetze zielen auf den Erhalt, die Verwaltung und die Nutzung von Wasserquellen. Diese Vorschriften werden aber nicht richtig umgesetzt. Deswegen geschieht nichts Konkretes. Wir müssen nun mit einem von den Gemeinden ausgehenden, dezentralisierten Wassermanagement beginnen. Die Rolle der Regierung ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig: Sie muss den Gemeinschaften adäquate Ressourcen bereitstellen und die Voraussetzungen für konkrete Maßnahmen schaffen.

Die Regierung und die Bevölkerung sollten in diesem Bereich zusammenarbeiten. Wir benötigen Kompetenz im Umgang mit Wasser, einen ausreichenden Schutz für die Ressource, ein gutes Management und eine effiziente Nutzung.

IPS: Sie sprechen davon, dass die Regierung 'Ressourcen' bereitstellen sollte. Darunter versteht man oft Finanzmittel, die aus dem privaten Sektor kommen.

Singh: Veränderungen werden nie mit Geld aus dem Privatsektor bewirkt. Für echte Veränderungen brauchen wir die Regierung und die Bevölkerung. Wenn der Unternehmenssektor alles übernimmt, wo bleibt dann die Demokratie?

In Rajasthan gibt es viele Firmen, aber auch ein Wasserparlament. Dort werden die Rechte der Gemeinschaft und die Demokratie gewahrt. Die Menschen haben sich hier für ihre Rechte erhoben. Wo immer dies geschieht, mussten diejenigen, die die Gesellschaft ausplündern, abziehen. Unternehmen wird es hier immer geben. Wir müssen aber zusehen, dass sie die Menschen nicht berauben.

IPS: Wir nähern uns der Ära der Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Inwieweit müssen die Regierungen im Vergleich zu der Zeit der Millenniumsziele ihren Umgang mit Wasser ändern?

Singh: Leben, Existenzsicherung und Würde - alle diese Aspekte sind mit Wasser verbunden. In der Zeit der SDG müssen wir Wasser die höchste Priorität einräumen. Alles andere müssen wir für eine Weile beiseitelassen. Gewässer werden heutzutage erheblich überbeansprucht. Um dies künftig zu verhindern, müssen wir die Gewässer identifizieren und deren Grenzen festlegen. In vielen Fällen haben sich aufgrund von Bodenerosion viele Sedimente angelagert. Solange nicht feststeht, wer Eigentümer dieser Gewässer ist, bedient sich die Immobilienlobby.

Solche Übergriffe auf Flüsse sind in Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und in anderen Regionen zu beobachten. Die Armut in Asien ist eine Folge der Wasserkrise, die den Menschen ihr Recht auf die Ressource nimmt. Wenn wir diesen Zustand beenden, können wir die Wasserversorgung in der gesamten Region regeln.

Das 2005 erlassene Gesetz 'National Rural Employment Guarantee Act' (NREGA) verfolgte ursprünglich das Ziel, das Wassersystem des Landes neu zu ordnen. Der damalige indische Agrarminister Raghunath Singh sah meine Arbeit und beschloss, diesbezüglich ein Aktionsprogramm zu entwerfen. Dies sollte nun wieder geschehen. NREGA sollte sich nur auf Wasser fokussieren.

IPS: Sie gehörten dem Ausschuss eines Projekts zur Säuberung des Ganges, des drittgrößten Flusses Indiens, an. Kann dieser Fluss tatsächlich gerettet werden?

Singh: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Die Regierung arbeitet allerdings nur mit Ingenieuren und Technikern zusammen, nicht mit den Menschen, die im Umkreis des Ganges leben. Wenn die Bevölkerung an der Säuberungsaktion beteiligt wird, kann der Fluss binnen zehn Jahren gerettet werden. Jeder tote Fluss Indiens, wie etwa der Musi oder der Mithi, kann in zehn bis 15 Jahren wiederbelebt werden. Dazu benötigen wir aber den politischen Willen und die Partizipation der Bevölkerung. Ich verliere niemals die Hoffnung und repariere das, was beschädigt wurde. Das ist meine Lebensphilosophie. (Ende/IPS/ck/09.09.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/09/qa-we-must-put-everything-aside-and-just-focus-on-water/

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IPS-Tagesdienst vom 9. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2015

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