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FISCHEREI/197: Zerstört die Aquakultur unsere Meere? (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2018

Zerstört die Aquakultur unsere Meere?

von Sandra Lemmer


Die Fischzucht ist mit einer jährlichen Zunahme von guten acht Prozent der weltweit am stärksten wachsende Bereich der Lebensmittelproduktion. Jeder Mensch verzehrt im Schnitt 20 Kilogramm Fisch pro Jahr, Tendenz steigend. Die Hälfte dieser Fische stammt aus Aquakultur. Das macht Zuchtfische zu den häufigsten "Nutz"tieren überhaupt!

Mit dem großen Wachstum ergeben sich - wie in der landwirtschaftlichen Produktion auch - zahlreiche ökologische Folgen. Hier wird permanent nach Optimierungsmöglichkeiten gesucht, denn Antibiotika im Fischfutter und Überdüngung von Gewässern sind nur zwei Negativaspekte der Fischproduktion.


Zu viele Fische auf kleinem Raum

In der Aquakultur werden sehr viele Fische auf kleinem Raum gehalten. Sichtbar sind diese Kulturen im Meer von oben meist als Ringe, in denen sich dann zum Beispiel Lachse tummeln. Bei der Planung dieser Anlagen kommen die arteigenen Bedürfnisse der Tiere leider oft zu kurz und daraus ergeben sich auch Auswirkungen auf die Umwelt. Besonders artfremd ist die Enge der Aquakultur für wandernde Fische wie Lachse, Forellen oder Aale. In freier Natur bilden Fische Schwärme, die nicht auf einer Stelle bleiben, sondern sich gemeinsam über größere Distanzen bewegen, als es in der Aquakultur möglich ist. Die empfohlenen maximalen Besatzdichten werden leider oft überschritten. Dies wirkt sich sowohl negativ auf die Gesundheit als auch das Wohlbefinden der Fische aus. Zu wenig Platz führt zu Stress und Aggressivität und zu einer erhöhten Verletzungsgefahr.

Die Tiere sind anfälliger für Krankheiten und durch die räumliche Enge besteht eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Neben der Besatzdichte gibt es weitere Faktoren, die sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Fische auswirken. Ähnlich wie bei den "Nutz"tieren an Land sind das unter anderem Sauberkeit und eine abwechlungsreiche Lebensumgebung sowie die Qualität des Futters.


Zerstörung der Ökosysteme

Auf Leistung hochgezüchtete Fische sind krankheitsanfälliger als ihre "natürlichen" Artgenossen in Freiheit. Genau wie bei den anderen "Nutz"tieren wird hier nicht auf die Zucht der robusten alten Arten zurückgegangen, sondern es ist gewünscht, dass die Tiere möglichst schnell wachsen. Die Krankheiten, die durch Haltung und Zucht entstehen, versuchen die Produzenten mit erhöhter Antibiotikagabe über das Futter in den Griff zu bekommen. Durch den Einsatz von Antibiotika ergeben sich aber negative Folgen für das Ökosystem und die Gesundheit der Konsumenten.

Es besteht zudem die Gefahr eines Austausches zwischen den Zuchttieren und ihrer Umgebung. Durch entkommene Zuchtfische können Krankheiten auf die wildlebenden Arten übertragen werden. Wenn es sich bei den Zuchttieren um fremde Arten handelt, besteht die Gefahr, dass sich diese stark vermehren und einheimische Arten verdrängen. Das ist problematisch, weil diese Arten meist als Nahrungsquelle für andere heimische Tiere dienen. So wurde beispielsweise die blauschwarze Miesmuschel im Wattenmeer überwiegend von der Pazifischen Felsenauster verdrängt, die vor Jahrzehnten vor Sylt und in Holland zur Zucht ausgesetzt wurde. Die verdrängte Miesmuschel ist aber Hauptnahrungsmittel der Austernfischer und Eiderenten, die sich von der Pazifischen Felsenauster nicht ernähren können.

Bei Fischzuchtanlagen in Gewässern kommt es häufig in unmittelbarer Nähe zu einer Überdüngung von Buchten und Flüssen, wenn die Abwässer durch Futterreste und Fischkot sowie durch Medikamentenrückstände verunreinigt sind und in Meere oder Flüsse abgeleitet werden. In der Folge können sogar sogenannte Todeszonen ohne Sauerstoff entstehen.


Überfischung

Paradox: Aquakultur soll der Überfischung der Meere entgegenwirken, aber für das Futter vieler Zuchtfische werden andere Fische gefangen und zu Tierfutter in Form von Tiermehl und -öl verarbeitet. Die Fütterung ist je nach Art unterschiedlich effizient. Besonders problematisch ist das Verhältnis von zugeführtem Futter und "fertigem" Fisch bei Raubfischen. Bis zur Schlachtreife verbraucht die Fütterung eines Lachses zum Beispiel drei bis fünf Mal mehr Fisch als durch seine Schlachtung gewonnen wird. Dies zeigt, dass zur Futtergewinnung für unsere Kulturfische ebenfalls die Meere in großem Stil leergefischt werden.

Besonders die Züchtung von Raubfischen beeinflusst die Fischbestände negativ. Wenn die Menschen weiter diese Fischarten bevorzugen, ist es essentiell, dass Haltungsmethoden und Futtermittel entwickelt werden, die tier- und umweltgerecht sind. Es wird bereits an der Entwicklung von hochwertigem Futter geforscht, das nicht aus Wildfang stammt. Dabei wurden gute Ergebnisse mit Fliegenlarven und Pflanzenproteinen erzielt.


Aquakultur weltweit

Etwa 60 Millionen Tonnen Fisch, Krebse und Muscheln werden jährlich gezüchtet. Ungefähr 600 verschiedene Arten werden weltweit in Aquakultur gehalten. Den größten Anteil haben Süßwasserfische wie Karpfen oder Tilapia. Auf dem zweiten und dritten Platz folgen die Mollusken (Weichtiere) wie zum Beispiel Miesmuscheln und Austern und die Krustentiere wie verschiedene Garnelenarten. Wanderfische wie Lachs und Forelle folgen auf Platz Vier.

Die führende Aquakulturnation ist China. Ein verhältnismäßig geringer Anteil findet in Amerika und Europa statt. Unter den europäischen Ländern führt Norwegen die Produktion haushoch an: Fast die Hälfte der in Europa gezüchteten Fische stammen aus diesem skandinavischen Land.


Norwegen und die Lachslaus

Norwegen hat jüngst verkündet, dass es seine Lachsproduktion verfünffachen möchte. Dabei gibt es vor Ort schon jetzt große Probleme durch die dortige Aquakultur. Eines der Hauptprobleme heißt Lachslaus. Das ist ein Parasit, der die Fische in der Enge der Aquakultur befällt. Um die Lachslaus in Zaum zu halten, werden den Aufzuchtbecken Putzerfische hinzugefügt. Die Putzerfische kommen gegen die Lachslaus aber oft nicht an, deshalb hilft nur ein "Entlausungsmittel": Genau wie in der konventionellen Landwirtschaft werden auch in den norwegischen Fjorden Pestizide zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Man kann die Chemikalien direkt über das Futter zugeben oder von außen anwenden. Dafür werden die Tiere in große Wannen gepumpt und in dem Mittel gebadet. Danach werden die gebadeten Fische zurück in ihre Gehege im Meer entlassen und mit ihnen ein Teil des Giftes. Es wird immer wieder berichtet, dass kurz nach der Behandlung tonnenweise toter Krill ans Ufer gespült wird. Bei einer Verfünffachung der Produktion möge sich jeder selbst ausmalen, was das für das Meer und seine Bewohner bedeuten kann.


Ausblick

Trotz aller Schwierigkeiten kann Aquakultur - auch in den Entwicklungsländern - eine gute Methode sein, um Menschen mit hochwertigem Eiweiß zu versorgen. Obwohl Überdüngung in den Küstenbereichen und an Flüssen Probleme bereiten, sind viele Fischzuchten immer noch umweltfreundlicher als die intensive Rinder- oder Schweinemast. Zudem verbraucht die Produktion von einem Kilogramm Karpfen viel weniger Futter als die Produktion von einem Kilogramm Rind oder Schweinefleisch.

Insgesamt funktioniert das aber nur, wenn die Menschen gleichzeitig ihren Fischkonsum reduzieren. Zudem erscheint eine Konzentration auf die Zucht von Fischarten, die ohne Tiermehl auskommen, äußerst sinnvoll. Es ist wichtig, dass ökologische und ethologische Erkenntnisse in die Planung von Haltungssystemen mit einfließen. Lachs ist der beliebteste Speisefisch der Deutschen, dicht gefolgt vom Alaska-Seelachs. Damit führen zwei Raubfische die Beliebtheitsskala an. Hier ist ein Überdenken der Konsumgewohnheiten hilfreich. Essen Sie nur ein- oder zweimal im Monat Fisch und greifen Sie auf sogenannte Friedfische aus nachhaltiger Fischzucht zurück, die sich von Kleinstlebewesen, Algen und Wasserpflanzen ernähren. Auch vegetarische und vegane Gerichte können uns mit hochwertigem Eiweiß versorgen und äußerst schmackhaft sein. Es gibt mittlerweile viele tolle Rezepte und auch sehr leckere Alternativen zu Fisch und Fleisch.


INFOBOX
Neue Wege - Aquaponik

Unter Aquaponik versteht man Fischzuchtanlagen an Land, in denen die Abwässer genutzt werden, um Pflanzen - zum Beispiel Tomaten - zu düngen, die in diesen Anlagen angebaut werden. In diesem Kreislaufsystem dienen die Ausscheidungen und Futterreste aus der Aquakultur den Pflanzen als Nährstoffe, die sie zum Wachsen brauchen, und die Pflanzen reinigen das Wasser, welches dann wieder in die Fischbecken überführt wird.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2018, Seite 21-24
Herausgeber: PROVIEH e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2019

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