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GLOBAL/069: Der 'Geist von Rio' hat sich erschöpft (idw)


Universität Kassel - 19.06.2012

Der 'Geist von Rio' hat sich erschöpft



Vom 20. bis 22. Juni 2012 findet in Rio de Janeiro die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung (Rio+20) statt. Sie soll an die epochale Rio-Konferenz vor 20 Jahren erinnern. Doch die Erwartungen an die Ergebnisse sind schon vorab gering.

"Die Rio-Konferenz leitete 1992 mit der Verabschiedung von Klimarahmen- und Biodiversitätskonvention sowie der Agenda 21 die institutionelle Umsetzung nachhaltiger Entwicklung ein", sagt Prof. Dr. Christoph Görg, Professor für politikwissenschaftliche Umweltforschung am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel: "Es stand die Hoffnung auf eine kooperative Bearbeitung komplexer globaler Problemlagen im Raum, die weit über Umweltfragen hinausgehen und viele Dimensionen gesellschaftlicher Entwicklung betreffen, von der Ernährungssicherung, dem Bevölkerungswachstums und der Verstädterung bis zur Gleichberechtigung der Frauen." Diese Hoffnung sei damals als 'Geist von Rio' beschworen worden und der Glaube daran habe ein Jahrzehnt der großen Weltkonferenzen eingeleitet.

"Anders als 1992 stehen in diesem Jahr keine wichtigen Abkommen zur Unterzeichnung an", sagt Prof. Görg, der auch das Department Umweltpolitik am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig leitet: "Zentrale Themen wie die Reform des UN-Systems als institutioneller Rahmen für nachhaltige Entwicklung oder der Leitbegriff der 'Green Economy' sind sehr umstritten." Letzterem sei selbst in offiziellen Vorbereitungstreffen attestiert worden, er sei eigentlich nur deshalb auf dem Tisch, weil er so vage definiert sei, dass sich jedes Land etwas anderes darunter vorstellen könne: "Kritiker zweifeln daher an der Sinnhaftigkeit dieser Konferenz - von Boykott oder 'Occupy Rio+20' ist die Rede." Die Kritik an der Sinnhaftigkeit von Rio+20 kann der Umweltpolitikforscher teilweise nachvollziehen: "Solche Megaevents lenken von dem ab, was eigentlich getan werden müsste."

Bei genauer Betrachtung sei der 'Geist von Rio' 1992 vor allem der einzigartigen geopolitischen Situation nach dem Ende des Kalten Krieges geschuldet gewesen, erklärt Prof. Görg: "Und er war von Beginn an mit der Illusion behaftet, dass die neu geschaffenen Institutionen die Triebkräfte gesellschaftlicher Entwicklung wirksam gestalten könnten." Geschehen sei aber das Gegenteil: "Die Triebkräfte untergruben mehr und mehr die Wirksamkeit der internationalen Institutionen." 2002 habe der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan den Satz geprägt: "Making Globalization work for Sustainable Development." Zu diesem Zeitpunkt sei schon erkennbar geworden, dass die Triebkräfte der Globalisierung sich mehr und mehr als Hindernis wirksamer Problemlösungen offenbarten. Schon lange vor der gescheiterten Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 sei in Fachkreisen die 'Krise der Rio-Institutionen' diagnostiziert worden, sagt Görg: "Gründe dafür sind weniger unüberwindbare nationalstaatliche Egoismen, als vielmehr die Unfähigkeit der internationalen Abkommen, die Dynamik und Komplexität gesellschaftlicher Entwicklung wirksam zu gestalten."

Sichtbarster Ausdruck dieses Problems sei das schon sprichwörtliche Umsetzungsdefizit internationaler Abkommen. So würden etwa bei der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) die Entscheidungen letztlich nicht auf globaler, sondern auf regionaler und lokaler Ebene getroffen, erklärt der Umweltforscher: "Das Zusammenspiel der verschiedenen Entscheidungsebenen gilt es also, ernst zu nehmen; und es gibt durchaus Ansätze, die hier neue Wege gehen." Dabei komme dem Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft eine zentrale Bedeutung zu. So sei im April dieses Jahres ein neues internationales Beratungsgremium für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) gegründet, das die Umsetzung der Biodiversitätskonvention befördern soll. "Die zentrale Einsicht ist: es müssen angemessene Lösungen für komplexe Problemlagen entwickelt werden, die in den verschiedenen Regionen der Erde je spezifische Ausprägungsformen annehmen", sagt Görg: "Internationale Abkommen sind dafür nicht unwichtig, aber ohne Berücksichtigung der konkreten Situation vor Ort bleiben sie unwirksam oder haben gar schädliche Nebenwirkungen."

Info
Prof. Dr. Christoph Görg
Universität Kassel
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
Tel.: 0341/235-1628
E-Mail: christoph.goerg@ufz.de

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Kassel, Christine Mandel, 19.06.2012
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2012