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GLOBAL/129: Gesucht - eine Weltumweltpolitik (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 148/Juni 2015
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Gesucht: eine Weltumweltpolitik

Viele Akteure entwickeln gemeinsam Regime - mehr oder weniger erfolgreich

von Udo E. Simonis


Kurz gefasst: Mehrere sektorale Umweltregime bilden den Grundstock der globalen Umweltpolitik. Sie ähneln sich in Aufbau und Funktionsweise, unterscheiden sich aber in Reichweite und Eingriffstiefe. Angesichts der globalen Umweltschäden besteht erheblicher Reformbedarf hinsichtlich ihrer Ergänzung und Integration und in Bezug auf die stärkere Verankerung im System der Vereinten Nationen.


Umweltschäden führen weltweit zu schwerwiegenden sozioökonomischen und humanen Kosten. In den letzten Jahrzehnten ist das Bewusstsein gewachsen, dass unilaterale Aktionen einzelner Akteure Umweltschäden nicht verhindern können. Gefragt und gefordert ist internationale Kooperation. Das zentrale Konzept für diese Kooperation ist das "Umweltregime" - ein Begriff, über dessen Elemente weitgehend Konsens besteht. Es geht um ein System von Grundsätzen, Normen, Regeln, Prozeduren und Institutionen für einen wichtigen Teilbereich der internationalen Beziehungen.

Obwohl Staaten als dominante Akteure des internationalen Systems die wichtigsten Gestalter eines Umweltregimes sind, können sie nicht allein handeln. Internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, multinationale Unternehmen, die Zivilgesellschaft und Privatpersonen müssen involviert sein. Umweltregime haben theoretisch wie praktisch große Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt in der Absicht ihrer Überprüfung und Optimierung.

Die meisten Umweltregime basieren auf einer bindenden Übereinkunft, für welche die Form einer Konvention (bzw. Rahmenkonvention) gewählt wurde. Eine solche Konvention kann alle bindenden Verpflichtungen enthalten, über die verhandelt werden soll, oder sie wird durch ein detailliertes Instrument weiter konkretisiert - das Protokoll. Im Gefolge der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 sind mehrere globale Umweltregime entstanden, die in ihrer Genese, ihren Regeln, ihrer Stärke und Wirksamkeit jedoch erheblich variieren und sich im Zeitablauf auch geändert haben.

Mehrere globale Umweltregime waren bereits vor dieser Konferenz vereinbart worden, wie zum Beispiel das Ozonregime (1985/1987) und das Abfallregime (Baseler Konvention 1985). In Rio kam es dann zur Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention und der Biodiversitätskonvention sowie zur Gründung der UN Commission on Sustainable Development (CSD). 1994 wurde die Konvention gegen die weitere Ausbreitung von Wüsten verabschiedet, in 2000 das UN-Forum über Wälder eingerichtet. In 2001 kam es in Stockholm zur Unterzeichnung einer Konvention über zwölf gefährliche langlebige Stoffe ("POP-Konvention"), die 2009 um neun weitere toxische Substanzen ergänzt wurde. In 2011 wurde die International Renewable Energy Agency (IRENA) gegründet, eine Institution außerhalb des Systems der Vereinten Nationen. Und in 2013 wurde ein internationaler Vertrag zur Reduzierung der Quecksilberemissionen vereinbart.

In dieser Zeitspanne kam es zudem zu mehreren detaillierten Umsetzungsverträgen, wie dem Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit und dem Nagoya-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und zum gerechten Vorteilsausgleich im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention. Auf EU-Ebene ist eine umfassende Chemikalienpolitik (REACH) im Beratungsverfahren, die bis zu 30.000 Chemikalien regulieren soll.

Hier sollen zwei der komplexen Umweltregime - das Ozon- und das Klimaregime - näher erörtert werden, um die Möglichkeiten und Grenzen dieser Art der globalen Umweltpolitik aufzuzeigen.

Das am intensivsten behandelte und politisch ausformulierte globale Umweltproblem ist die Schädigung der stratosphärischen Ozonschicht. Auf Initiative der UN entstand dazu im Laufe zehnjähriger Verhandlungen ein dynamisches Umweltregime, das auf einer Zweiteilung in einen stabilen, institutionellen Teil (Rahmenkonvention) und einen flexiblen, instrumentellen Teil (Protokoll) beruht. Die "Wiener Konvention" von 1985 definierte das Problem, das "Montrealer Protokoll" von 1987 verpflichtete die Unterzeichnerstaaten, den Verbrauch von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) und Halonen, welche die Ozonschicht zerstören, bis zum Jahr 1999 um 50 Prozent gegenüber 1986 zu reduzieren.

Die Vertragsstaatenkonferenz in Helsinki 1989 leitete die geplante Revision ein, die für FCKW einen vollständigen Produktionsstopp sowie eine schrittweise Regelung für die Reduzierung der anderen Ozon schädigenden Stoffe vorsah. Auf den Nachfolgekonferenzen in London (1990) und Kopenhagen (1992) wurden dann Verkürzungen der Ausstiegszeiten beschlossen. Die USA, weniger die EU, spielten in diesem Prozess die zentrale Rolle.

Neben den verschärften Reduzierungspflichten war aber auch eine Ausweitung der internationalen Kooperation geboten, weil sich nur Industrieländer den Regeln unterworfen hatten, nicht aber Entwicklungsländer - darunter China und Indien mit großen Binnenmärkten für Autos, Kühlschränke und Klimaanlagen, für die FCKW verwendet wurden. Ein Mechanismus zur Finanzierung und zum Transfer moderner Technologie war gefragt. Auf der Konferenz in London 1990 wurde dazu der Multilaterale Ozon-Fonds eingerichtet.

Durch Produktionsstopp (phasing out) der für die Ozonschicht schädlichen Substanzen in den Industrieländern und durch internationalen Finanz- und Technologietransfer (substitution) in die Entwicklungsländer gelang so in relativ kurzer Zeit eine Trendwende, die das Ozonregime zu einem Modellfall der globalen Umweltpolitik werden ließen.

Die Erfolgsbedingungen der Ozonpolitik waren allerdings sehr spezifischer Art und sind nicht ohne Weiteres auf andere Problemfälle übertragbar. Der wissenschaftlich komplizierte, aber unstrittige Nachweis des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs, wofür Sherwood Rowland, Mario Molina und Paul Crutzen 1995 den Nobelpreis erhielten, machte die politische Bedeutung von Wissenschaft deutlich. Die oligopolistische Produktionsstruktur bei FCKW reduzierte den Widerstand der Industrie gegen die erforderliche Produktionsumstellung. Die Gefahr der erhöhten UV-Strahlung wurde von der Bevölkerung als unmittelbar bedrohlich empfunden. Diese Faktoren wie aber auch der Tatbestand, dass dem Montrealer Protokoll zunächst nur wenige Staaten angehörten, erleichterten den Prozess der Politikformulierung.

Die Schädigung der Ozonschicht bleibt jedoch auf der politischen Agenda, weil das Ozonloch sich wohl frühestens bis 2050 wieder schließen wird; weil manche Ersatzstoffe ebenfalls ökologische Schäden verursachen und weil weiterhin illegale Exporte stattfinden.

Fazit: Die Ozonpolitik kann als gutes, wenn auch eingeschränktes Beispiel einer Mehrebenen-Politik gelten. Akteure waren zunächst nur wenige Staaten (zuerst 18 Industriestaaten, inzwischen 197 Nationalstaaten); betroffen waren nur relativ wenige Hersteller von FCKW (in Deutschland nur drei Unternehmen). Gefragt waren aber ein schnelles Reaktionsverhalten der Konsumenten, die auf beliebte Spraydosen verzichten mussten, und die rasche Einbeziehung von Ländern, die dem Regime zunächst nicht beigetreten waren.

Das meistdiskutierte globale Umweltproblem ist die Klimaänderung. Die emittierten klimawirksamen Spurengase - wie Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Stickoxide (N2O), halogenierte und perfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFCs und PFCs) sowie Schwefelhexafluorid (SF6) - stören den Wärmehaushalt der Erde, indem sie die Wärmestrahlung in den Weltraum zum Teil blockieren (zusätzlicher Treibhauseffekt). Den größten Anteil (ca. 50 Prozent) an diesem Erwärmungsprozess hat das CO2, das bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten entsteht und dessen Volumen stark mit Niveau und Wachstum des Bruttosozialprodukts korreliert. Die CH4-Emissionen machen ca. 18 Prozent des Treibhauseffekts aus; sie entstehen in großen Mengen in der Landwirtschaft, beim Reisanbau und beim Verdauungsvorgang der Rinderherden in den Entwicklungsländern.

Anders als bei den FCKW sind die rasche Eindämmung (reduction) oder gar der Stopp (phasing out) der Kohlendioxid- und Methanemissionen schwierig bzw. (fast) unmöglich. Anders ist das bei den HFC-, PFC- und SF6-Emissionen, die industriewirtschaftlichen Prozessen entstammen, für die sich, entsprechende Anstrengungen vorausgesetzt, Ersatzstoffe finden lassen.

Während die Ursachen der künstlichen Erwärmung der Erdatmosphäre relativ gut bekannt sind, besteht über deren Auswirkungen noch erhebliche Unsicherheit. Dies zu ändern, ist ein wichtiges Aufgabengebiet des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Dessen Sachstandsbericht von 2007 hatte ein Spektrum des erwarteten globalen Temperaturanstiegs von 1,4° bis 5,8°C für dieses Jahrhundert ermittelt, was gravierende Effekte zur Folge haben könnte. So würde der Anstieg des Meeresspiegels einzelne Länder (wie Bangladesch) und viele Inselstaaten (wie Kiribati, Tuvalu, Vanuatu) existenziell bedrohen, wegen der Aufgabe weiter Landesteile und einsetzender Massenflucht.

Die UN-Klimarahmenkonvention, die 1992 verabschiedet worden war und 1994 in Kraft trat und ihr Ständiges Sekretariat in Bonn hat, ist - ähnlich wie das Ozonregime - dynamisch konzipiert, mit regelmäßigen Vertragsstaatenkonferenzen, laufenden Berichtspflichten, begleitender Forschung und Beratung. Auf der Vertragsstaatenkonferenz in Kyoto 1997 wurde die Konvention durch ein Protokoll spezifiziert (Kyoto-Protokoll), das bescheidene, aber konkrete Ziel- und Zeitvorgaben für 35 Nationalstaaten (und die EU) und erste Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen (Quellen) bzw. zur Erhöhung der Aufnahmekapazität der Natur (Senken) enthielt - und 2005 in Kraft trat.

Die USA, Australien, Kanada und Japan, die vom Klimawandel massiv betroffen sein werden, boykottierten das Kyoto-Protokoll mit dem Argument, dass China, Indien und andere große Entwicklungsländer keinen Reduzierungsverpflichtungen unterworfen seien - was aufgrund der historischen Verursachung des Klimaproblems aber explizit so beschlossen worden war.

Was die weitere Zielkonkretisierung der internationalen Klimapolitik angeht, ist vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) die Einhaltung eines Höchstwerts von plus 2° C begründet worden. Dazu müsste ein Abkommen vereinbart werden, das langfristig zu einer Reduzierung der globalen CO2-Emissionen um 50 Prozent (und die der Industrieländer um bis zu 90 Prozent) führt. Um einen globalen Klimavertrag dieser Größenordnung geht es bei der im Dezember 2015 in Paris stattfindenden UN-Konferenz.

Im Blick auf das Instrumentarium der internationalen Klimapolitik, sind vielfältige Vorschläge entwickelt worden. Sie reichen von der Einführung globaler Ressourcensteuern bzw. Emissionsabgaben über gemeinsame Umsetzung und Anrechnung von Projekten, die Kompensation von Emissionen durch Wald-Maßnahmen (die Waldoption) bis hin zu individuellen, sektoralen, nationalen bzw. transnational handelbaren Emissionszertifikaten.

Das grundsätzlich effektive Instrument des Emissionshandels wurde in der EU eingeführt, aber auf wenige Sektoren reduziert und bei der Umsetzung stark aufgeweicht. Der Vorschlag eines Systems privater Emissionsrechte wurde von der EU-Kommission negiert, ist in England aber erprobt worden. Daneben liegt im Clean Development Mechanism (CDM) ein großes Potenzial für die internationale Kooperation zum Schutz des Klimas und zum Transfer emissionsarmer Technologie.

Die Annahme der Zielvorgabe des WBGU und die Umsetzung der Maßnahmenvorschläge hätte drastische Änderungen zur Voraussetzung bzw. zur Folge: von der durchgreifenden Dekarbonisierung der Wirtschaft über den Stopp umweltschädigender Aktivitäten bis hin zum Aufbau ökologieverträglicher sozialer und politischer Strukturen. Das bisher vereinbarte Instrumentarium auf der internationalen Ebene ist begrenzt und müsste daher durch eine CO2-Steuer (bzw. Abgabe) auf global agierende Verkehrsträger und um globalen Technologie-Transfer erweitert werden. Was die Umsetzung von Konzepten der Emissionsminderung und der Kompensation auf der lokalen und nationalen Ebene angeht, kämen eine weit größere Anzahl von Maßnahmen und eine Vielzahl von Akteuren in Betracht.

Fazit: Die Klimapolitik ist ein klassisches, bislang allerdings wenig erfolgreiches Beispiel der Mehrebenen-Politik. Die Akteure reichen von internationalen Organisationen über die EU, die 194 Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention, die in den Emissionshandel einbezogenen Wirtschaftszweige, die an gemeinsamen Maßnahmen beteiligten Unternehmen, die Gemeinden, die sich in Klima-Bündnissen engagieren, zahlreiche Umwelt-NGOs, bis hin zum einzelnen klimabewussten Bürger und Konsumenten. Die Ziele sind aber bisher zu anspruchslos formuliert und kurzfristig ausgerichtet, die Instrumente hingegen potenziell wirkungsmächtig.

Wer könnte die bedrohliche globale ökologische Situation auf welche Weise entschärfen? Wie könnten die vorhandenen Bausteine globaler Umweltpolitik gesichert, ergänzt und besser integriert werden, damit daraus eine kohärente Politik entsteht?

Die Internationalisierung der Umweltpolitik ist weit fortgeschritten - eine Weltumweltpolitik ist als Fragment vorhanden, in den einzelnen Sektoren aber höchst unterschiedlich konzipiert und implementiert. Während sie der Ozonpolitik von Anfang an immanent war, ist sie in der Klima- und Biodiversitätspolitik unbestritten anerkannt, aber erst ansatzweise umgesetzt. In einer Frühphase der Internationalisierung befinden sich die Boden-, die Wald- und die Wasserpolitik, während die Stoff- und Abfallpolitik in dem Sinne und Umfang international ist, als die lokal und national ansetzende Vermeidung gefährlicher Stoffe nicht greift, die internationale Problemverschiebung also nicht der Lösung dient, sondern als Ausweg gesehen wird.

Der entscheidende Grund für diesen unbefriedigenden Stand der Dinge um eine konsistente globale Umweltpolitik - eine Earth System Governance, wie Frank Biermann formuliert - dürfte in der zu schwachen Institutionalisierung des UN-Systems liegen. Auf dieser Ebene besteht jedenfalls erheblicher Reformbedarf. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) ist keine Behörde, wie viele meinen; es ist lediglich ein Programm. UNEP muss daher dringend zu einer inhaltlich, personell und finanziell kompetenten Institution fortentwickelt werden. Die Diskussion darüber ist seit geraumer Zeit im Gange.

Bei diesem Disput geht es um die Frage der angemessenen Institutionalisierung der globalen Umweltpolitik, um vertikale Hierarchisierung oder um horizontale Koordinierung, aber auch um deren fachliche Reichweite - um Umweltpolitik oder um Nachhaltigkeitspolitik. Dementsprechend stehen sich das Modell einer mit zentraler Entscheidungs- und Sanktionsgewalt ausgestatteten, nationale Souveränität gegebenenfalls einschränkenden Weltumweltorganisation (Global Environment Organization) und das Modell einer kommunikativen, auf inhaltliche Integration abzielenden Weltorganisation für Umwelt und Entwicklung (World Environment and Development Organisation) gegenüber. Wie dieser Disput enden wird, ist offen.


Udo E. Simonis war von 1981 bis 1987 Direktor des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft des WZB und bis 2003 Forschungsprofessor für Umweltpolitik. Er ist seit 1991 Redakteur und Mitherausgeber des Jahrbuch Ökologie.
udo.simonis@wzb.eu


Literatur

Biermann, Frank: Earth System Governance. World Politics in the Anthropocene. Cambridge, Mass./London: MIT Press 2014.

Chasek, Pamela S. / Downie, David L. / Brown, Janet W.: Global Environmental Politics. Boulder, Col.: Westview Press 2014.

Simonis, Udo E.: Weltumweltpolitik. Grundriss und Bausteine eines neuen Politikfeldes. Berlin: edition sigma 1999

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 148, Juni 2015, Seite 23-26
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2015

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