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KATASTROPHEN/073: Fukushima - Ein nicht enden wollender Kampf (Der Rabe Ralf)


DER RABE RALF
Nr. 176 - Oktober/November 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Ein nicht enden wollender Kampf
Fast ist Fukushima in Vergessenheit geraten, da drängt es sich uns umso heftiger ins Gedächtnis

von Till Kleemann



Japan 11. März 2011: Eines der heftigsten Erdbeben, die jemals gemessen wurden, erschüttert den Inselstaat. Die Folge ist ein zehn Meter hoher Tsunami. Er überschwemmt die Ostküste und verwüstet weite Teile der japanischen Küste. Tausende Menschen ertrinken, werden verschüttet oder verletzt. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Im Kernkraftwerk Fukushima-Dai-Ichi versagen die Kühlsysteme der Reaktorblöcke 1 bis 4 für die darin gelagerten Brennstäbe. Eine Kernschmelze ist unausweichlich.

Zweieinhalb Jahre später kämpft die zuständige Betreibergesellschaft TEPCO noch immer mit den Folgen der Katastrophe. Die Probleme scheinen jedoch mehr anstatt weniger zu werden. Die Odyssee nimmt kein Ende.

300 Tonnen radioaktives Wasser täglich

Seit Juni ist bekannt, dass ununterbrochen kontaminiertes Wasser unterirdisch in den Pazifik gelangt. Zunächst versuchte die Atomkraftgesellschaft, den Boden mit chemischen Mitteln so auszuhärten, dass kein Wasser mehr aus dem zerstörten AKW in den Pazifik fließen kann. Nun ist allerdings klar: Das verseuchte Wasser hat sich einen Weg um die unterirdische Sperre herum gesucht. Die Rede ist von 300 Tonnen, die jeden Tag aus der Ruine austreten. Die Regierung vermutet weiterhin, dass dies schon seit über zwei Jahren geschieht. Tatsächlich wurde eine erhöhte Radioaktivität an der japanischen Küste rund um Fukushima festgestellt. Der Fischfang ist dort, zum Nachteil der einheimischen Bevölkerung, bereits eingestellt. Es wird aber generell empfohlen, keinen Fisch aus dem atomar vorbelastetem Pazifik zu essen.

Die Umweltorganisation "Global 2000" warnt vor weiteren bislang ungelösten Problemen. So geht von den nur notdürftig gekühlten Brennstoff-Klumpen in den Reaktoren, die sich in den Beton gebrannt haben, eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus. Die genaue Position und der Zustand dieser "tickenden Zeitbombe" seien nach wie vor unklar. Auch was mit den 210 Tonnen geschmolzener Brennelemente in der Ruine geschehen soll weiß niemand. Das hochradioaktive und extrem krebserregende Plutonium mit einer Halbwertszeit von 24.000 Jahren ist so gut wie nicht zu bergen. Wie die Erfahrungen aus Tschernobyl gelehrt haben, wäre es ein sehr gefährliches und für Arbeiter innerhalb von Minuten tödliches Unterfangen. Roboter wiederum bleiben im Schutt stecken und gehen immer wieder kaputt. Durch die dicken Betonwände ist eine Fernsteuerung an manchen Stellen kaum möglich.

Größte Katastrophe seit der Kernschmelze

Um eine erneute Kernschmelze zu verhindern, werden 17 Tonnen Kühlwasser pro Stunde in die Reaktoren gepumpt. Von dort schwemmt es große Mengen Radioaktivität in den Keller, wo es sich mit weiterem kontaminiertem Wasser vermengt. Hier stößt es dann auch noch auf Grundwasser. Ein unterirdischer Fluss trägt direkt unter dem Gebäude jeden Tag 1.000 Tonnen Wasser Richtung Meer. Davon gelangen schätzungsweise 400 Tonnen in die Kellergemäuer und verdoppeln somit die Menge des Wassers, welches Tag für Tag im Keller anfällt. Um solche Massen bewältigen zu können, pumpt TEPCO unentwegt kontaminiertes Wasser aus dem Keller in die hastig zusammengeschraubten Tanks. Mittlerweile lagern vor dem Gebäudekomplex 350.000 Tonnen mitunter sehr stark radioaktiv verseuchtes Wasser in circa 1.000 dieser Tanks. Dass diese nicht zur jahrelangen Lagerung taugen wird nun deutlich. Am 19. August sind 300 Tonnen aus einem undichten Tank ausgelaufen und im Boden versickert. Die Radioaktivität betrug laut Angaben 80 Millionen Becquerel pro Liter! Ein Teil des verseuchten Wassers ist übers Grundwasser bis ins Meer gelangt. Damit ist es die größte Katastrophe in Fukushima seit der Kernschmelze.

Die Atomaufsichtsbehörde hob deshalb die Gefahrenstufe auf 3 von 7 Stufen auf der internationalen Skala für nukleare Zwischenfälle. An den Pfützen, die rund um den ausgelaufenen Tank entstanden sind, wurden Strahlenwerte von 2200 Millisievert gemessen. Hält man sich vier Stunden in der Nähe dieser Pfützen auf, hat man eine tödliche Dosis abbekommen. Undichte Stellen an den Tanks sind allerdings keine Ausnahme. Es wurden bereits weitere Lecks an Leitungen entdeckt. Grund dafür sei wahrscheinlich bröckelndes Kunstharz das zum Abdichten eingesetzt wurde, so die Betreiberfirma TEPCO.

Die Regierung greift ein

Japans Regierungssprecher kündigte Anfang September an, die Sicherung des Atomkraftwerks Fukushima nicht mehr allein der Betreiberfirma TEPCO zu überlassen. Pünktlich vor der Vergabe der Olympischen Spiele 2020, plante die Regierung medienwirksam 360 Millionen Euro für die Eindämmung des verseuchten Wassers ein. "Die Welt schaut auf uns um zu sehen, ob wir die Probleme bewältigen", sagte Japans Premierminister Shinzo Abe.

Unter anderem ist vorgesehen das Erdreich rund um die Reaktoren 1 bis 4 einzufrieren und so die Kontamination des Grundwassers und des Pazifiks aufzuhalten. Bei dieser Technik aus dem Tiefbau werden Rohre in einer Reihe in den Boden gerammt und mit einer Kühlflüssigkeit aufgefüllt. Dadurch gefriert nach und nach das Wasser in der umliegenden Erde und bildet so eine Wand aus gefrorener Erde. Der Bau wird sich circa 30 Meter tief über eine Rekordlänge von 1,4 Kilometer erstrecken. Die Kosten für eine solche Baustelle sind enorm. Hinzu kommen die Unterhaltskosten der Kühlsysteme, die ununterbrochen riesige Mengen an Strom verbrauchen werden. Das Geld wird aber nicht das einzige Problem sein. Durch das ständig nachströmende Grundwasser wird das Einfrieren des Bodens zusätzlich erschwert. Experten schätzen, die Fertigstellung dieser Eiswand wird sich auf das Jahr 2015 verschieben. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht.

Aus gegebenem Anlass wird die Kritik am Atombetreiber TEPCO immer lauter. Was dort seit mittlerweile zweieinhalb Jahren gemacht wird, hat bisher nicht viel gebracht. Auftretende Probleme würden nicht rechtzeitig entdeckt, "teilweise weil TEPCO Sachen verschweigt, teilweise auch, weil TEPCO nicht hinguckt", sagte Atomexperte Michael Sailer in Deutschlandradio Kultur. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung falscher Messgeräte gewesen, die nicht annähernd in der Lage waren, die tatsächliche Strahlung an den Lecks der Tanks zu messen. Auch die Taktik von "Aktion - Reaktion", nämlich ein Problem erst dann zu bekämpfen wenn es bereits aufgetreten ist, war bisher wenig erfolgreich. Hätte man von vornherein versucht, das Austreten von radioaktivem Wasser auszuschließen, würde die Eiswand vielleicht schon stehen.

Dass sich die japanische Regierung erst jetzt für die Problematik des havarierten Atomkraftwerks interessiert, nachdem sie TEPCO über 29 Monate lang beim Pfuschen zugesehen hat, mag viele Gründe haben. Bleibt nur die Hoffnung, dass sie nicht sofort wieder jedes Interesse verliert, jetzt wo Tokio die Olympischen Spiele in der Tasche hat.

Was aber lernen wir aus Fukushima? Dass eine Atomkatastrophe nicht reicht, um die Menschen zur Vernunft zu bringen? Vielleicht sogar, dass wir gar nicht zur Vernunft kommen wollen. In Japan blühen die Kernkraftwerke wie eh und je, und auch global ist gelber Atomstrom aus Sicht der Staaten gern gesehen. Er wird fast schon als Statussymbol genutzt, wie ein Aushängeschild der Wirtschaftsmacht und des Wachstums, gerade in Schwellenländern. Und so werden auch in Deutschland wieder einmal Gaskraftwerke abgeschaltet, während neun AKW's in Betrieb bleiben.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Standorte rund um Fukushima werden auf erhöhte Radioaktivität geprüft

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 176 - Oktober/November 2013, Seite 18
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2013