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KATASTROPHEN/080: Fukushima - IAEA lobt Rückkehr von Evakuierten in die verseuchten Gebiete (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 646-647 / 2013 / 27. Jahrgang, 5. Dezember 2013

Folgen von Fukushima
Die IAEA lobt die Rückkehr von Evakuierten in die verseuchten Gebiete von Fukushima

von Annette Hack



Die enormen Anstrengungen, die Japan mit dem Ziel unternehme, "die Lebensbedingungen der von dem Nuklearunfall betroffenen Menschen zu verbessern und dabei auch Evakuierten die Rückkehr zu ermöglichen", werden in einem vorläufigen Bericht einer Mission der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) sehr gelobt.

Vom 14. bis 21. Oktober 2013 hielt sich ein Ausschuß der IAEA in Tokyo und Fukushima auf. Die Leitung hatte Juan Carlos Lentijo aus der Abteilung für den Brennstoffkreislauf und Abfalltechnologie, stellvertretender Leiter war Gerhard Proehl aus der Abteilung für Strahlung, Transport und Abfallsicherheit. Diese beiden Abteilungen stellten allein neun der sechzehn Ausschußmitglieder. Drei der Mitglieder entstammten privatwirtschaftlich geführten Unternehmen, so auch David Rowan von der Atomic Energy of Canada Ltd, der auch an der Redaktion des umfassenden Berichts der IAEA über den Unfall von Fukushima beteiligt ist.

Die Atomaufsicht von Indonesien und die von Finnland waren mit je einem Delegationsmitglied vertreten.

Aufgabe des Ausschusses war es, die Fortschritte Japans bei der Wiederherstellung (remediation) kontaminierter Gebiete zu bewerten. Dies geschah auf der Grundlage von Informationen, die ihm "zur Verfügung gestellt" wurden, und "professionellen und offenen Diskussionen mit den relevanten Institutionen in Japan auf nationaler, präfekturaler und lokaler Ebene". Außerdem besuchte man Gegenden, in denen "Wiederherstellungsarbeiten im Gange waren", einige vorläufige Lager für Abfall und bei der Dekontamination angefallene Erde, den geplanten Bauplatz für ein Zwischenlager und eine Pilotanlage zur Verbrennung von Schlamm aus Abwassergräben und -leitungen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der 20-Kilometerzone um den Reaktor, die die Vorläufermission im Oktober 2011 noch nicht besucht hatte. 13 "Highlights" wichtiger Fortschritte werden benannt, und 8 Ratschläge formuliert. 2 Karten sind dem Bericht beigefügt: eine (unvollständige) Belastungskarte vom November 2011 und eine Karte der unterschiedlichen Evakuierungszonen, Stand vom August 2013.

Gewaltige Fortschritte sieht die IAEA-Delegation bei der Implementierung des Wiederherstellungsprogramms zur Senkung der Strahlenexposition in den betroffenen Gebieten und dabei, den nach dem Unfall Evakuierten "die Rückkehr zu ermöglichen, ihnen Anreize zu geben und sie zu unterstützen". Eine Vielzahl von Ministerien und anderen staatlichen Stellen unterstütze diese Bemühungen mit finanziellen Ressourcen, technischen Anleitungen und anderen Hilfen.

Viele Beispiele von guter Beteiligung aller Beteiligten (stakeholders) habe man gesehen, die japanische Regierung ermutige die lokalen Behörden, ausführliche Beratungen mit den örtlichen Gemeinschaften durchzuführen, und respektiere deren Ergebnisse.

"Eine große Menge entscheidender Informationen, insbesondere hinsichtlich der Dosisleistungen, ist seit dem Unfall produziert worden und wird die Entscheidungsfindung vorantreiben. Es ist wirklich wichtig, das Vertrauen sowohl in das Zutreffen der Information als auch in deren Interpretation zu fördern, insbesondere im Hinblick auf die Vorstellungen von Sicherheit. Dies ist besonders wirksam, wenn vertrauenswürdige Vermittler eingesetzt werden, wie etwa Ärzte oder andere unabhängige Experten", heißt es unter Highlight 3 lobend.

Die Wiederherstellung vom Fallout betroffenen Ackerlandes gehe sehr gut voran, aus den intensiven Meßprogrammen sei zu entnehmen, daß auf vielen Feldern Lebensmittel unterhalb der zulässigen Grenzwerte angebaut werden könnten. Kalidüngung sei wirksam. Die Entfernung der obersten Bodenschicht sei dagegen nicht unbedingt optimal. Wegen der umfassenden Lebensmittelüberwachung seien Verbraucher geschützt, und das Vertrauen in die landwirtschaftlichen Produkte sei gestiegen, was sich auch in einem Anstieg der Erzeugerpreise niederschlage. (Highlight 8,9)

Die neue japanische Atomaufsicht NRA hat, dem vorläufigen IAEA-Bericht zufolge, eine Studie zu "Sicherheitsmaßnahmen für zurückkehrende Evakuierte" in Auftrag gegeben. Das wird ebenso begrüßt wie die Fortführung der Messungen der individuellen Strahlenexposition bei den Bewohnern der Präfektur Fukushima. Diese Messungen könnten "den erwartetenkb, abnehmenden Trend bestätigen". Individuelle Dosen sollten auch im Zusammenhang mit Dekontaminationsmaßnahmen in den Wohnungen betrachtet werden, um sie auf diese Weise zu rechtfertigen. Ein besonderes Lob erhält der "Wechsel von Wiederherstellungsbemühungen, die auf eine Minderung der Oberflächenkontamination beruhen, hin zu einer Minderung der Luftdosen." Einige Gemeinden hätten daraus bereits den Schluß gezogen, daß das Ziel von 1 mSv/Jahr zusätzlich doch eher auf langfristige Ziele der Dosisreduktion anzuwenden sei. (Highlight 5, 6 sowie Ratschläge Punkt 4)

"Bedeutende Fortschritte" sah die IAEA-Gruppe auch bei der Zwischenlagerung kontaminierter Materialien und bemerkt anerkennend, daß Verbrennung kontaminierter Materialien eine wirksame Technik zur Volumenreduktion sei, wobei Maßnahmen zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte ergriffen worden seien, um die Exposition der Allgemeinbevölkerung in Grenzen zu halten. (Highlight 12, 13)

Unter den 8 Ratschlägen, die 16 IAEA-Damen und -Herren nach einwöchiger Gesprächs- und Besichtigungstour in Gebieten mit "durchschnittlichen Luftdosis von über 0,23 µSv/Stunde" erteilten, stechen Punkt 2 und Punkt 6 besonders ins Auge:

"Die japanischen Institutionen werden ermutigt, verstärkt zu kommunizieren, daß in Wiederherstellungssituationen (remediation situations) jede Individualdosis zwischen 1 mSv/Jahr und 20 mSv/Jahr akzeptabel ist und internationalen Standards sowie den Empfehlungen der relevanten internationalen Organisationen wie ICRP, IAEA, UNSCEAR und WHO entspricht. Die angemessene Anwendung des Optimierungsprinzips auf eine Wiederherstellungsstrategie sowie deren praktische Umsetzung erfordert die Ausbalancierung aller Faktoren, die Einfluß auf die Situation haben, wobei das Ziel der maximale Nutzen für Gesundheit und Sicherheit der betroffenen Menschen ist. Diese Tatsachen müssen bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit in Betracht gezogen werden, damit eine realistischere Vorstellung von Strahlung und den damit zusammenhängenden Risiken in der Bevölkerung erreicht wird.

Die [japanische] Regierung sollte ihre Bemühungen verstärken, der Öffentlichkeit klar zu machen, daß eine zusätzliche individuelle Dosis von 1 mSv/Jahr ein langfristiges Ziel ist, und zum Beispiel allein durch Dekontaminationsarbeiten nicht in kurzer Zeit erreicht werden kann. Ein Ansatz 'Schritt für Schritt' sollte im Hinblick auf dieses langfristige Ziel verfolgt werden. Der Nutzen einer solchen Strategie, die es erlauben würde, Ressourcen auf den Wiederaufbau der wesentlichen Infrastruktur zur Verbesserung der Lebensbedingungen zu verwenden, sollte der Öffentlichkeit sorgfältig kommuniziert werden.

Die IAEA - und höchstwahrscheinlich auch die internationale Gemeinschaft der Wissenschaftler ù steht bereit, Japan bei dieser anspruchsvollen Aufgabe zu unterstützen." (Punkt 2)

Der IAEA-Ausschuß empfiehlt die Kommunikation über Wiederherstellungs- und Wiederaufbauprogramm insgesamt und die Interaktion der einzelnen Komponenten - "z.B. Wechselbezüge zwischen einer Minderung der Exposition und einem Anwachsen der Müllmengen". (Punkt 3)

"Der Ausschuß befürwortet die Weiterführung der Optimierung bei der Wiederherstellung von Waldgebieten im Umkreis von Siedlungen, Ackerland und öffentlichen Räumen durch Konzentration in solchen Gebieten, die für die Reduktion der Dosis für die Allgemeinbevölkerung den größten Nutzen bringen und Schaden an der ökologischen Funktion des Waldes vermeiden, wo es möglich ist. Das Berufsrisiko für die damit beschäftigten Arbeiter muß mit dem Nutzen des Verfahrens im Hinblick auf die Dosis und die Besorgnisse der Anwohner ausbalanciert werden. Die Auswirkungen von Erosion und dem Verhalten von Radionukliden sollte anhand von Modellen für Radiocäsium in Wäldern bewertet werden." (Punkt 6)

Kommentar

Nicht die IAEA oder irgendeine andere internationale Organisation hat zu entscheiden, welcher Grad an radioaktiver Verschmutzung von Boden, Luft, Wasser, Lebewesen und Lebensmitteln "akzeptabel" ist. Das ist allein das Vorrecht der Personen, Gemeinden und Gesellschaften, denen diese Kontamination als Möglichkeit oder sogar als Realität zugemutet wird.

Der Begriff der Dosis, wie er von der ICRP konzipiert und hier von der IAEA verwendet wurde, ist ein Modell, das auf der Grundlage diverser Datenmengen entwickelt wurde, die der allgemeinen Wissenschaft nur eingeschränkt zugänglich waren und sind. Das Modell erlaubt nur eine Errechnung und Abschätzung von Krebstodesfällen und genetischen Schäden für große Populationen. Alle anderen Beeinträchtigungen der Gesundheit werden nicht in Betracht gezogen, obgleich inzwischen eine Fülle von Schäden als Folgen der Atomwaffentests und des Fallouts aus Unfällen, insbesondere nach Tschernobyl, mit epidemiologischen Methoden untersucht und festgestellt worden sind. Und natürlich weiß auch kein Mensch, welche Schäden bei "nur" 1 mSv/Jahr tatsächlich auftreten werden, denn wir leben nicht in einem Model, sondern in der Realität.

Ist die "Luftdosis" (air dose) vielleicht das, was die amtlichen Meßpunkte in Fukushima messen, also ein bis zwei Drittel weniger als andere Ortsdosisleistungsmeßgeräte anzeigen? Die Ortsdosis, wie ehrlich auch immer gemessen, steht allerdings nur in sehr losem Zusammenhang mit der tatsächlichen Konzentration von Radionukliden im Erdboden, und damit auch in sommerlichem Staub, und dem Matsch, den Regen und Schnee hinterlassen.

Recht schwammig erscheint das Konzept der "Individualdosis" im Zusammenhang mit der Dekontamination von Wohnräumen - kärchern und putzen etwa die Damen und Herren von der IAEA?

Nein, aber sie haben ein Herz für die Dekontaminationsarbeiter - in den Wald sollen diese nur geschickt werden, wenn die Dosis zu hoch und die Besorgnis der Anwohner zu groß ist. Wir haben vor einem Jahr gesehen, daß sehr viele der Arbeiten wie das Entfernen von Unterholz und Bewuchs an Wäldern und Wasserläufen von den Betroffenen selbst erledigt werden, von der Gemeinde eines Tempels, von Elterngruppen, die den Schulweg der Kinder oder die Schulsportplätze dekontaminieren, von Nachbarn, die einander beim Abtragen der Erde in Gärten und auf Feldern helfen.

Die Kali-Düngung mag die Aufnahme von Radiocäsium durch bestimmte Pflanzen mindern, die Bodenkonzentration von Radiocäsium und allen anderen im Fallout enthaltenen Radionukliden mindert sie nicht. Die Strahlenbelastung für die Bearbeiterinnen und Bearbeiter des Bodens mindert sich also nur mit dem Zerfall der vorhandenen Radionuklide. Die erste Halbwertzeit von Cäsium-134 ist ja schon vergangen, ein Teil des "erwarteten, abnehmenden Trends".

Die Bemerkungen zur Verbesserung der "Kommunikation" sind wohl als Teil der "Optimierungsstrategie" zu verstehen - Werbekampagnen, Entfaltung von sozialem Druck, charmante und weniger charmante Offensiven im Internet, Ablenkungsmanöver oder die Erzeugung von Informationsüberdruß sind einfach billiger als der Bau von neuen Städten und Dörfern für die Evakuierten und die, die eigentlich noch evakuiert werden müßten.



Literatur

IAEA Preliminary Summary Report: The Follow-up IAEA International Mission on remediation of large contaminated areas offsite the Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant, Tokyo and Fukushima Prefecture, Japan, 1421 October 2013, NE/NEFW/2013


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_646-647_S10-11.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Dezember 2013, Seite 10-11
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2014