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KATASTROPHEN/090: Drei Jahre nach Fukushima - Auswirkungen auf den Pazifik und die Nahrungsketten (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Drei Jahre nach dem GAU
Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Fukushima auf den Pazifik und die Nahrungsketten

Von Stephan Moldzio



Über drei Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima Daiichi am 11. März 2011 und der massiven Freisetzung in den Monaten danach gelangen weiterhin kontinuierlich große Mengen an Radioaktivität in den Pazifik. Die geschmolzenen Kerne in den Reaktoren müssen täglich gekühlt werden, zusätzlich dringt Grundwasser in die Reaktorgebäude ein und vermischt sich mit dem Kühlwasser. So gelangt radioaktives Wasser über Lecks zwangsläufig ins Grundwasser und weiter in den Pazifik und in die Biosphäre. Zurzeit lagern auf dem Gelände in über 1000 Tanks etwa 430.000 Tonnen kontaminiertes Wasser, welches "gereinigt" und später direkt in den Pazifik gepumpt werden soll.


Während viele kurzlebige Radionuklide gemäß ihrer physikalischen Halbwertszeit bereits weitgehend zerfallen sind, haben sich die langlebigeren Radionuklide sowie verschiedene Transurane inzwischen mehr oder weniger weiträumig verteilt. Bei der Verbreitung der ausgehend von Fukushima freigesetzten Radioaktivität über Meeresströmungen, Sedimentverfrachtung, Winde, Niederschläge und auch über wandernde Lebewesen ist zwischen festen, wasserlöslichen und gasförmigen Radionukliden zu unterscheiden.

Die gasförmigen Radionuklide haben sich in der Atmosphäre global verteilt. Die löslichen, vor allem über die Meeresströmungen verbreiteten Stoffe haben sich weiträumig über den nördlichen Pazifik verbreitet und inzwischen die Westküste Kanadas erreicht. Die Verbreitung der hauptsächlich an Sedimentpartikel gebundenen schweren Transurane im Küstenmeer um Fukushima ist unklar. Zurzeit sickern pro Tag schätzungsweise etwa 300 Tonnen verstrahltes Wasser aus der zerstörten Atomanlage in den Ozean. Auch die Flüsse transportieren die über Land niedergegangenen und hauptsächlich an Sedimentpartikel gebundenen Radionuklide ins Meer. Klar ist: Nach dem Eintrag durch die Atomwaffentests und verschiedene andere Quellen hat die Atomkatastrophe von Fukushima das radioaktive Inventar des Pazifiks weiter erhöht, die Messwerte im Ozean und um Fukushima sind um ein Vielfaches, teils um mehrere Größenordnungen höher, als vor dem GAU.

Anreicherung über die Nahrungsketten

Die in die biologischen Kreisläufe gelangten radioaktiven Substanzen gehen über alle Nahrungsketten, vom Phytoplankton bis zum Tunfisch. Weil sie durch die Organismen nicht oder nur eingeschränkt ausgeschieden werden können, reichern sie sich durch die "trophische Kaskade" in den Nahrungsketten von unten nach oben hin an.

Die Anreicherung in Fischen und anderen Meeresbewohnern hängt dabei im Wesentlichen von der so genannten biologischen Halbwertszeit ab, welche die physikalische Halbwertszeit überlagert. Die biologische Halbwertszeit gibt an, in welchem Zeitraum die Anfangskonzentration eines Stoffes im Organismus um die Hälfte reduziert wird und ist abhängig von Alter, Geschlecht und gesundheitlichem Zustand des Individuums.

Dies ist jedoch keine "Einbahnstraße". So muss beachtet werden, dass zum Beispiel ein Fisch kontinuierlich neue Radioaktivität mit der Nahrung aufnimmt. Zugleich sind die vom einzelnen Individuum erfolgreich ausgeschiedenen Radionuklide immer noch vorhanden und können abermals Eingang in die Nahrungskette finden.(1)

Biologische Wirkung

Radioaktive Substanzen, beziehungsweise ionisierende Strahlung ist durch ihre erbgut- und zellschädigende Wirkung grundsätzlich für alle Lebewesen gesundheitsgefährdend. Konkret muss dies für jedes Radionuklid und für die verschiedenen Organismengruppen im Einzelnen betrachtet werden. Auf Wirbeltiere wie Fische, Schildkröten, Seevögel, Robben oder Wale haben radioaktive Substanzen ähnliche Auswirkungen wie auf den Menschen: Krebs, genetische Defekte, Fehlbildungen, etc. Auswirkungen auf nicht-tödlichem Niveau können zum Beispiel ein negativer Einfluss auf Wachstums- und Reproduktionsraten oder eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten sein. Durch ionisierende Strahlung wird die Mutationsrate erhöht: Genschäden in lebensfähigen Individuen werden an die nächste Generation weitergegeben und können sich unter Umständen erst auf spätere Generationen auswirken. Schließlich kann es beim Vorliegen mehrerer Schadstoffe, beziehungsweise Umweltgifte zu Synergie-Effekten kommen.

Abschließend ist festzustellen, dass es in Bezug auf Radioaktivität keine "unschädliche" Dosis gibt - wie die Festsetzung von "Grenzwerten" suggeriert. Bereits kleinste Strahlungsmengen können mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Krebs auslösen und damit zum Tode führen.

Die Kehrseite der Verdünnung der radioaktiven Substanzen in den riesigen Wassermassen des Pazifiks ist daher ihre großräumige Verbreitung.

Schlussbemerkung

Die Verantwortung für diesen Super-GAU trägt die Atomindustrie. Es wurde erneut klar, dass eine Nicht-Fehler tolerante Technologie wie die Kernenergie einen unermesslich hohen Schaden anrichten kann. Die wichtigste Schlussfolgerung ist daher, den Ausstieg aus der menschen- und lebensfeindlichen Kernenergie so schnell wie möglich zu vollziehen, um zu verhindern, dass es jemals wieder zu einer solchen Katastrophe für Mensch und Umwelt kommen kann.


Autor Stephan Moldzio arbeitet als selbstständiger Meeresbiologe.



Anmerkung

1) Moldzio et al. (2011) "Zu den Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Fukushima auf den Pazifik und die Nahrungsketten", http://www.strahlentelex.de/Stx_11_590_S03-13.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 14
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014