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KLIMA/377: Klimapolitik am Scheideweg - Allianz notwendig für 2°C-Strategie in Paris (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
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KLimagipfel in Lima mit Sicht auf Paris
Klimapolitik am Scheideweg: Allianz notwendig für 2°C-Strategie in Paris

Von Sönke Kreft und Lutz Weischer


Im Dezember 2015 in Paris wird ein neues internationales Abkommen zum Klimaschutz beschlossen. Zuletzt gab es wichtige Erfolge in der internationalen Klimapolitik; eine Einigung zum Abkommen scheint möglich zu sein. Allerdings deutet die bisherige Dynamik auf ein Abkommen, dass den Klimawandel nicht unter die Großgefahrengrenze von maximal 2°C begrenzen kann. Für Paris muss ein entscheidendes Verhandlungsziel daher sein Mechanismen zu installieren, die kontinuierlich die Klimaziele der Staaten verbessern. Um dies in den Verhandlungen zu erreichen, ist eine Allianz zwischen der EU und anderen progressiven Ländern notwendig.


Der Klimawandel wird ein immer dringenderes Problem. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hat vor der UN-Klimakonferenz im Dezember 2014 in Lima(1) seinen Bericht veröffentlich, wie groß die Lücke zwischen Momentanemissionen und einen Pfad zu max. 2°C Temperaturanstieg ausfällt. Die Zahl ist gigantisch: 10.000.000.000 Tonnen Emissionen müssen jährlich eingespart werden, um kostengünstig und mit ausreichender Wahrscheinlichkeit das Temperaturlimit einzuhalten. Der kürzlich veröffentlichte IPCC-Bericht zeigt, dass die Auswirkung bei 2°C schon erheblich sind. Die Großrisiken für das Erdsystem in einer 4°C Welt sind völlig inakzeptabel. Der kürzlich beobachte, wahrscheinlich selbstbeschleunigende, und nicht stoppbare Abrutschvorgang von Teilen des westantarktischen Eispanzers zeigt, dass solche Großrisiken nicht hypothetisch sind.

In der Klimapolitik gab es zuletzt jedoch Erfolgsmeldungen. Klimapolitik ist wieder angekommen auf der Ebene der Regierungschefs. Der Klimagipfel in New York im September 2014 war ein ermutigender Auftakt. Die gemeinsame Ankündigung von China und USA - die größten Emittenten der Welt - beim APEC-Gipfel zu Emissionsreduktion ist ein Durchbruch. Auch die Isolation des wohl größten Klimabremsers Australien beim G20-Gipfel und die dort erfolgte Willensbekundung zu Klimabeiträgen in 2015 für G20-Staaten ist ein Erfolg. Und ein weiterer Erfolg ist die Auffüllung des Grünen Klimafond, hier wurden in Lima die anvisierten 10 Milliarden USD Finanzvolumen erreicht. Deutschland hatte durch ein frühzeitiges Finanzversprechen von 750 Millionen Euro eine wichtige Dynamik erzeugt. Auch die Teilnahme von Außenminister John Kerry in Lima zeigt, dass internationale Klimapolitik eine ernstgemeinte Priorität von US-Präsident Barak Obama ist - auch wenn die Handlungsmöglichkeiten mit einem republikanisch dominierten Kongress begrenzt sind.

Paris ein 3°C-Deal?

Es zeichnet sich ab, dass in Paris ein neues Klimaabkommen beschlossen wird - die wichtigen Akteure, insbesondere die USA, China und die EU, stellen sich entsprechend auf. Allerdings ist auch wahrscheinlich, dass das zunächst vorgelegte Ambitionsniveau der verschiedenen Minderungseingaben der Staaten nicht ausreichen wird, um das 2°C-Limit zur Vermeidung eines in großem Maße gefährlichen Klimawandels einzuhalten. Weder die "mindestens 40 % bis 2030 (vgl. 1990)" der EU, die 26-28 % (vgl. 2005) in den USA bis 2025 noch ein Scheitelpunkt der Emissionen - angekündigt von China für das Jahr 2030 - reichen aus, um einen gefährlichen Klimawandel abzuwenden. Wenn Indien sich jetzt noch bewegt, hat man zwar vor Paris alle wichtigen Emittenten klimapolitisch erfasst, aber auf einem viel zu geringen Niveau. Anders als in Kopenhagen treffen die Vertragsstaaten in Paris also wohl die Zielscheibe "globales Abkommen" - was einer Abkehr vom jetzigen 4°C-Emissionspfad entsprechen würde. Wenn die Dynamik vor Paris so weiter geht wie bisher, wird der Pfeil aber zunächst nur im äußeren Ring stecken, was einer globalen Erwärmung von eher 3°C bis zum Ende des Jahrhunderts gleichkommt. Auch diese Klimawandelauswirkungen einer 3°C-Welt übertreffen die Anpassungsgrenzen von Menschen und Ländern.

Vom Top-down zum Hybrid

Bei der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 hatte man noch versucht, durch einen einzigen Gipfelmoment Klimapolitik zum entscheidenden Durchbruch zu führen. Dabei verzettelte man sich in zu vielen Themen, von Waldschutz bis Energiepreisverschiebungen. Zudem verringerte die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise die politische Aufmerksamkeit. Es zeigte sich, dass der Spielraum für ambitionierte internationale Klimapolitik, die ja eigentlich globale Wirtschafts- und Energiepolitik ist, zu großen Teilen schon vor der Konferenz in den Hauptstädten festgelegt worden war.

Um den Gipfel nicht vollkommen scheitern zu lassen, verfassten wenige Regierungschefs hastig den Kopenhagen-Akkord, die Grundlage der internationalen Klimapolitik der Dekade 2010-2020. Die Erwartung an Kopenhagen war eine "top-down"-Lösung gewesen, bei der auf globaler Ebene Verschmutzungserlaubnisse an die einzelnen Staaten zugeteilt worden wären. Stattdessen war das Ergebnis ein "bottom-up"-Ansatz, bei dem einzelne Staaten nach ungeklärten Regeln erklärten, was sie gedenken zum Klimaschutz beizutragen. Dabei ist weder die Vergleichbarkeit dieser Zusagen gesichert, noch lässt sich sicherstellen, dass die globale Erwärmung auf deutlich unter 2°C begrenzt wird, so wie es die Weltgemeinschaft als Ziel formuliert hat.

Der Pariser Gipfel wird sich von Kopenhagen grundlegend unterscheiden. Die meisten Beobachter erwarten eine hybride Lösung zwischen "top-down" und "bottom-up". Ein zentrales Element der neuen Klimaschutzarchitektur wird sein, dass die einzelnen Staaten Klimaschutzversprechen abgeben, die widerspiegeln, was im jeweiligen nationalen Kontext möglich ist. Damit dies nicht in völliger Beliebigkeit endet, soll in Paris aber ein verbindlicher Rahmen gesetzt werden, der Vergleichbarkeit, gegenseitige Anerkennung und regelmäßige Überprüfung sicherstellt. Um insgesamt die Klimakonferenz zu entzerren und eine "Zockermentalität" der Länder wie in Kopenhagen zu verhindern, wurde außerdem vereinbart, dass bereits im ersten Quartal 2015 alle großen Länder Art und Höhe ihrer beabsichtigten nationalen Klimaschutzmaßnahmen vorlegen müssen.

Selbstverpflichtung und internationales Plaudern?

Insgesamt besteht die große Gefahr, dass Paris keine Strategie für 2°C erreicht: Dass gerade die Staaten mit den größten Emissionen nur national bestimme Ziele vorlegen, aber ohne relevante Prozesse, die international dies nach Kriterien der Klimawissenschaft und weiterer Aspekte der Klimagerechtigkeit hochverhandeln. Die entscheidende Mechanismen zur internationalen Vergleichbarkeit und Transparenz - beispielsweise auch die Entscheidung in Lima wie und worüber die Klimabeiträge vor Paris vorbereitet werden - oder welche Art der Überprüfung sie vor und nach Paris unterzogen werden, fehlen. Oder das der Zyklus des Klimaregimes auf 10 Jahre aufgebaut wird, und damit der nächste internationale klimapolitische Moment bis weit in die nächste Dekade geschoben wird. Große Emittenten, USA, China und einige Kräfte in der EU, können sich sehr gut ein solches Szenario vorstellen - wo international keine ausreichenden Mechanismen mit Sogwirkung zu mehr Ambition bestehen, und durch Plauderrunden ohne Zähne auf lange Zeit der internationale Klimaschutz kaltgestellt wird. Dabei werden wie beim New York Gipfel zwar Klimaschutzinitiativen von Privatwirtschaft, Staaten und Städten angekündigt. Es fehlen jedoch Überprüfungsmechanismen, und viele verkommen zum medialen "green washing".

Doch ein alternatives Szenario ist möglich. Hier müssen sich Länder in ihrer Selbstverpflichtung anhand des 2°C-Limits messen und sich im offiziellen Prozess Fragen von Think Tanks, Wissenschaft und Zivilgesellschaft stellen. Klimaziele werden als Minimalziele gewertet. Es gelten Prinzipien, immer stärkere Klimaziele einzustellen und national umzusetzen. Es gibt eine Überprüfung der Klimaziele. Und der Politikzyklus setzt alle fünf Jahre einen politischen Anker, um den stetig größeren Handlungsdruck (steigende Klimaauswirkungen und bessere klimawissenschaftliche Risikoanalysen) und Handlungsraum (sinkende Kosten der Erneuerbaren und technologische Entwicklung) international einzufangen. Dabei wird das langfristige Abkommen durch relevante Initiativen unterstützt, die international anerkannt zu mehr Ambition führen und schon vor 2020 die Minderungslücke beginnen zu schließen.

Strategie für vulnerable Länder

Klimaverhandlungen haben sich immer dann entscheidend bewegt, wenn sich progressive Akteure zusammengetan haben, zum Beispiel afrikanische Länder, Least Developed Countries und die Gruppe der Inselstaaten. Auf Seite der Industrieländer waren dies in der Vergangenheit vor allem die EU, sowie einige kleiner Staaten wie Norwegen oder der Schweiz. Auch lateinamerikanische Länder, beispielsweise Peru, Mexico oder Chile, sind im Moment progressiv aufgestellt.

Um Szenario 1 in Lima und Paris zu vermeiden, muss sich wieder eine klimapolitische Allianz in den Verhandlungen bilden, die sich dafür einsetzen, dass das Paris-Abkommen in zentraler Funktion die Klimaziele stetig hochzieht. Der zentrale Aspekt des Entgegenkommens für vulnerable Länder ist dabei sicherzustellen, dass Paris ausreichend Unterstützung organisiert, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Drei Dinge muss man daher von der EU erwarten. 1) Ausreichende Klimaunterstützung, inklusive der Klarstellung wie die Verpflichtung zur Mobilisierung von 100 Milliarden USD bis 2020 erreicht wird. Allerdings sollte die EU hier darauf drängen, dass ab 2020 auch die wirtschaftsstarken Schwellenländer mit in die Pflicht genommen. 2) Das Aufsetzen eines Anpassungspolitikzyklus zur Unterstützung für arme Länder vor und nach Paris. 3) Die Aufnahme von Anpassung und Maßnahmen gegen klimabedingte Schäden und Verluste ("Loss and Damage") im Paris-Abkommen.


Sönke Kreft und Lutz Weischer sind Team Leader Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.


Anmerkung

1. Der Artikel wurde auf dem Klimagipfel in Lima geschrieben. Daher konnte nicht auf die konkreten Ergebnisse der Lima-Konferenz eingegangen werden.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 26 - 27
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2015

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