Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

LANDWIRTSCHAFT/002: Agrobiodiversität, der Klimawandel und Farmers Rights (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 75 Ausgabe 25 [2] - Herbst 2010

Agrobiodiversität, der Klimawandel und Farmers Rights: Drei, die zusammen gehören

Von Ursula Gröhn-Wittern*)


Was ist Agrobiodiversität?

Alle Bestandteile der biologischen Vielfalt, die für die Ernährung-, Forst- und Fischereiwirtschaft direkt von Bedeutung sind oder Schlüsselfunktionen von Agrarökosystemen sichern. Dazu gehören alle kultivierten und domestizierten Arten und verwandte Wildformen und ihre genetische Variabilität und Arten, die Ökosystemleistungen erbringen. D.h. sämtliche Lebewesen der Agrarökosysteme - seien es Schädlingen und Krankheitserreger oder Nützlinge, Bodenorganismen, Bestäuber und Pflanzen, die z.B. Erosion verhindern oder den Wasserhaushalt stabilisieren.


Der Klimawandel ist die größte umwelt- und sozialpolitische Herausforderung der Gegenwart. Die sich ändernden Bedingungen werden alle Lebensräume und die biologische Vielfalt und damit die Nahrungserzeugung dramatisch beeinflussen.

Besonders die Menschen, deren Ernährungssicherheit schon jetzt gefährdet ist, werden betroffen sein. Um sie zu schützen und ihre Zukunft zu sichern, müssen viele Maßnahmen getroffen werden. Eine davon kann die bessere Nutzung der landwirtschaftlichen Vielfalt sein, denn die bessere Nutzung einer größeren Bandbreite von Nutzpflanzen und -tieren würde einen wichtigen Puffer gegen die Anfälligkeit des Nahrungssystems bilden können, wenn die Agrarpolitik dies besser fördern würde und eine Partizipation der Bauern und Bäuerinnen über die Ausgestaltung bäuerlicher Rechte (Farmers Rights) geschähe.

Bisherige Strategien zur Erhaltung der Agrobiodiversität

Der Verlust der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft wird seit Mitte der 80er Jahre weltweit intensiv beobachtet und als Gefahr für die zukünftige Ernährungssicherheit und neuerdings auch als Gefahr für die Ernährungssouveränität erkannt.

Grundsätzlich hat sich aber zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die treibende Kraft hinter dem Verlust der Agrobiodiversität hauptsächlich eine immer stärker industrialisierte Agrarproduktion ist, die durch eine Hand voll multinationaler Konzerne dominiert wird. Gleichzeitig wird das zu verlierende Gut, nämlich die genetische Vielfalt, durch monopolisierende Eigentumsrechte der Kontrolle der Allgemeinheit entzogen. 1996 verabschiedete die FAO den Globalen Aktionsplan (GPA) für pflanzengenetische Ressourcen. In 2007 auch den GPA für die tiergenetischen Ressourcen.

Die Umsetzung der Aktionspläne hinkt ihrer Notwendigkeit gewaltig hinterher: Die Entwicklung der deutschen nationalen Strategie zur Erhaltung der Agrobiodiversität zeigt erhebliche Mängel auf. Die schleppende Bearbeitung des Problems in den zuständigen Behörden zeigt deutlich, dass dieser Aufgabe keine besonders hohe Priorität eingeräumt wird oder die Maßnahmen an den Bedürfnissen der praktisch arbeitenden Landwirte vorbei gehen.

Bei der Erhaltung der Agrobiodiversität wird zwischen einer so genannten in situ und der ex situ Erhaltung unterschieden. In situ bedeutet auf den Feldern oder auf der Farm selbst, ex situ sind Sammlungen in Samenbanken, Herbarien und botanischen oder zoologischen Gärten oder - vor allem bei den Tieren - die Kryokonservierung.[1]

Der in situ Erhaltung wird in beiden Aktionsplänen eine besonders wichtige Rolle zugemessen und sie wird als die wünschenswertere Methode angesehen.


Pflanzengenetische Ressourcen

Ex situ Sammlungen haben einige wesentliche Nachteile im Vergleich zur in situ Erhaltung: Die Sicherheit von hunderttausenden von so genannten Mustern in Samenbanken, d.h. von eingelagerten und zu erhaltenden Sorten und Arten ist abhängig von einer zuverlässigen Energieversorgung, denn die Samen werden ständig gekühlt oder tiefgefroren. Fällt der Strom aus, was in vielen Ländern häufig der Fall ist, sind die Sammlungen gefährdet. Kriege und Naturkatastrophen sind für die einmaligen Sammlungen eine große Gefahr. Die Samenbank des Irak ist seit Beginn des Irakkriegs verschollen, die Samenbank des Internationalen Reisforschungsinstituts IRRI auf den Philippinen wurde durch eine Überschwemmung 2006 zu großen Teilen zerstört. Auch muss der Staat oder eine internationale Institution langfristig die Kosten übernehmen. Die vielen Muster (einzelne Sorten) müssen regelmäßig ausgesät werden, um eine Verjüngung der Samen zu gewährleisten. Je nach Art bleibt deren Keimfähigkeit in der Kühltruhe unterschiedlich lange erhalten.

Diese Arbeit erfordert sehr viel Sorgfalt und Expertise, denn es muss sichergestellt werden, dass man auch genau weiß, auf welcher kleinen Parzelle welche Sorte genau wächst. Dies ist sehr aufwendig und teuer. Eine gewisse Sicherheit geben hier Doppelungen in anderen Samenbanken, die untereinander ausgetauscht und verglichen werden. Der größte Schwachpunkt ergibt sich aber aus der Tatsache, dass die Sorten nicht in der Umwelt, an die sie ursprünglich angepasst sind wachsen, denn sie stammen aus anderen Regionen und anderen Ökosystemen. Daher werden sie bei der Vermehrung in der Samenbank einer Selektion unterworfen, die sie verändert. Man kann also die originalen Eigenschaften auf diese Weise u. U. gar nicht auf Dauer erhalten.

Bei allen genannten Schwächen ist die Arbeit dieser Samenbanken ein wichtiger Beitrag. Sie ist aber nicht die Lösung des Problems, sondern eine Notlösung.

Bei der in situ Erhaltung geht man einen anderen Weg. Die Sorten sollen in einem echten Anbausystem unter bäuerlichen Verhältnissen angebaut werden und nicht in einer Art musealer Erhaltung im Ist-Zustand. Umwelt und Anbau verändern die Sorten, aber das ist gewollt. Bauern und Bäuerinnen machen, was sie immer schon mit ihren Sorten gemacht haben: Sie arbeiten mit ihnen. In der heutigen Zeit stellt sich aber die Frage, wie man Landwirte dazu bewegen kann, Sorten anzubauen oder Tiere zu halten, die mit ihren Eigenschaften vielleicht gerade nicht dem Marktwunsch entsprechen oder die besondere Lebensbedingungen brauchen, die es im Moment nicht gibt.

Hier muss eine effektive Strategie ansetzen, die nicht nur den Ist-Zustand erhält, sondern auch die Weiterentwicklung will. Das evolutionäre Spiel zwischen Sorte, Umwelt und Bauern bleibt hier bestehen.


Tiergenetische Ressourcen

Tiergenetische Ressourcen müssen anders erhalten werden als Pflanzensorten. Ihre Anpassung an Umwelt, Futter, Haltungssysteme und die Lebensweise mit den Menschen ist teilweise sehr eng. 70% aller Menschen, die arm sind, halten Tiere. Ihr Beitrag zur Gesundheit und Sicherheit geht weit über die Bereitstellung von Fleisch und Milch hinaus und wird allgemein unterschätzt.

Die Erhaltung ihrer Vielfalt ist direkt abhängig von Zugangsrechten zu Weideland, Migrationsrouten, tierärztlicher Versorgung und Marktzugang. Dies kann nur in situ, also zusammen mit ViehhalterInnen und Hirten geschehen. Verlieren sie ihre Rechte, werden die Tiere abgeschafft und die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Ex situ Lösungen wie eingefrorenes Sperma oder Embryonen sind eine Notlösung, technisch aufwendig und damit anfällig und teuer. Außerdem entziehen sich solche Systeme dem direkten und ungehinderten Zugriff der Bauern und Bäuerinnen und fördern eine monopolistische Entwicklung.

In der industriellen Tierzucht kann sich ein erfolgreicher Bulle durch künstliche Befruchtung weltweit hunderttausendfach vermehren. Die Zuchtziele, die heute gelten, müssen aber nicht die von morgen sein. Die mit dieser Praktik einhergehende genetische Verarmung könnte über kurz oder lang durch die Vernachlässigung von Eigenschaften wie Krankheitsresistenz, Klauengesundheit, Lauffähigkeit, Farbe (UV Schutz) oder Robustheit zu einer Krise in der Tierproduktion führen, wenn sich die äußeren Bedingungen ändern (s. z.B. Schweine- oder Vogelgrippe, Klimawandel).


Agrarökologischer Ansatz

Für Tiere und Pflanzen gleichermaßen gilt daher: Eine Strategie, die die genetische Vielfalt ernsthaft und nachhaltig erhalten will, muss ganzheitlich sein. Sie darf sich auch nicht nur auf Rassen und Sorten beschränken, die vom Aussterben bedroht sind, sondern sie muss ganz im Sinne der Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) Ökosysteme, Anbausysteme, Arten und Gene umfassen. Dazu gehören auch Bodenlebewesen und die bestäubenden Insekten, die weltweit bedroht sind und ohne die es keine Nahrung gibt. Anreize, die Bauern und Bäuerinnen dazu bewegen, sich von den Prioritäten schneller, größer und billiger zu lösen, helfen der Biodiversität. Agrarumweltprogramme müssen ein Wirtschaften unter Biodiversitätsgesichtspunkten stärker belohnen. Dies geschieht nicht ausreichend. Die sogenannte "gute fachliche Praxis" reicht nicht, um dieses Ziel zu erreichen.


Klimawandel: Produktion unter hohem Risiko

Klimaschutz und Hilfe bei der Anpassung der Nahrungsproduktion und der Lebensgrundlagen an die Veränderungen sind primäre Instrumente der Armutsbekämpfung.

Folgende Auswirkungen des Klimawandels sind heute schon
unumstritten:

- Mehr Stürme, Tornados, Hurrikane, Starkregen
- unzuverlässiger Beginn und Ende von Regen- und Trockenzeiten
- mehr Dürren und heftige Niederschlagsereignisse
- Ausbreitung von neuen Krankheiten und Schädlingen

Die Folgen des globalen Klimawandels werden langfristig, auch bei einem Anstieg der Temperatur, der 2°C nicht übersteigt, die Landwirtschaft weltweit vor allem negativ beeinflussen und damit die Ernährungssicherheit aller Menschen.

Die Erzeugung von Nahrung unterliegt in Zukunft einem zunehmend starken und weitestgehend unkalkulierbaren Risiko. Strategien müssen entwickelt werden, die helfen, diese Risiken und die negativen Einflüsse der Landwirtschaft auf das Klima zu mindern und die Produktion den Bedingungen anzupassen.

Eine Risikominderung kann geschehen durch:

eine Diversifizierung des Anbau d.h. eine größere Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren, um das Risiko zu streuen
weniger Monokulturen, mehr Agroforstwirtschaft, Gartenbau, Kleinbäuerliches handarbeitsintensives Wirtschaften
veränderte Anbaumethoden und eine Integration von Pflanzen- und Tierproduktion mit geschlossenen Kreisläufen
starke regionale Strukturen
die Schaffung von sicheren Lagern für Saat und Ernte und Transportsystemen
Einkommensalternativen außerhalb der Landwirtschaft
Ein funktionierendes Versicherungswesen für Bauern, insbesondere für gefährdete Kleinbauern

Die gegenwärtige Europäische und Internationale Agrarpolitik gehen nicht in diese Richtung; in der Europäischen Klima- und Agrarpolitik gibt es keine ausreichende Abstimmung. Die EU Agrarpolitik muss alles daran setzen, den Ausstoß von Treibhausgasen(THG) zu verringern. Dies wird auch positive Auswirkungen auf die Biodiversität, die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserqualität haben.

In der Entwicklungszusammenarbeit werden diese Ziele mehr Raum einnehmen müssen. Die Vernachlässigung des Agrarsektors in den vergangenen Jahren rächt sich jetzt. Das ist nicht nur die Schuld der Hilfsorganisationen, sondern auch der Regierungen, die die Unterstützung der Beratung, Forschung und Entwicklung auf Drängen von IWF und Weltbank heruntergeschraubt haben. Das Setzen auf den Export und die Hoffnung, dass man ja mit Geld Nahrung importieren kann, könnte sich in Zukunft als sehr gefährlicher Trugschluss erweisen.

Die Landwirtschaft ist Opfer des Klimawandels, aber sie trägt auch maßgeblich dazu bei: Land- und Forstwirtschaft tragen weltweit zu ca. 13,5 bzw. 17,4% der Treibhausgase (THG) bei. Rechnet man noch den Anteil hinzu, der aus Landnutzungsänderungen entsteht, ist es sogar ein Drittel. So macht z.B. die Rodung von Wäldern Indonesien zum drittgrößten Emittenten von Kohlenstoffdioxid (CO2).

Aus diesem Grund kommt der Gestaltung der zukünftigen Landwirtschaft eine wichtige Bedeutung zu. Eine Intensivierung und Diversifizierung des Anbaus sind unerlässlich, um in Zukunft Ernährung sichern zu können. Aber wie diese Intensivierung aussehen muss, um dem Klimawandel erfolgreich begegnen zu können und ihn möglichst wenig zu fördern, ist die entscheidende Frage. Maßnahmen, die die THG-Emissionen reduzieren können, wie die Reduzierung des Einsatzes von chemischen Düngern und der vermehrte Einsatz von Mist, um Kohlenstoffdioxid im Boden zu binden und der Schutz von Savannen, Wiesen und Weiden gehören dazu.

Die Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren ist in den vergangenen Jahrtausenden in einem ständigen Prozess der Anpassung an sich ändernde Umwelt- und Nutzungsbedingungen entstanden. Die Veränderungen, die jetzt geschehen, gehen aber in einem Tempo voran, das es möglich machen könnte, dass Bauern und Bäuerinnen mit ihrer züchterischen und experimentellen Arbeit nicht schnell genug reagieren können. Passende Sorten werden sich u. U. nicht in der Nachbarschaft finden, sondern weit entfernt, in Forschungsinstituten oder in Genbanken.

Es kann auch sein, dass angestammte Tiere sich schlichtweg der veränderten Umwelt nicht mehr anpassen können und sich die Tierhalter an neue Rassen und Arten gewöhnen müssen, was einen ungeheuren Umbruch in Traditionen und eine große Wissensaneignung erfordert: So schaffen Massai in Kenia Rinder ab (die sie seit Jahrhunderten halten) und Kamele an (die sie aber nicht kennen), weil nur sie den immer heftiger und länger auftretenden Dürren noch standhalten können.

Den damit verbundenen Wissens- und Materialtransfer gerecht und schnell zu gestalten wird eine der großen Herausforderungen der Agrarforschung und der Entwicklungszusammenarbeit sein.


PPB Participatory Plant Breeding: Neue Wege gehen

Grundsätzlich sind Bauern überall auf der Welt experimentierfreudig und haben immer neue Ideen ausprobiert, um ihr Überleben zu sichern. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Forschern, die die Kenntnisse der Bauern und ihre Erfahrungen ernst nehmen und mit ihnen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, eröffnet neue Möglichkeiten für beide Seiten, die schnell zum Erfolg führen können wie Erfahrungen in den Philippinen, Peru und in Nepal zeigen.

Pflanzenzüchter und Bauern gemeinsam arbeiten beim PPB zusammen, indem sie:

- Zuchtziele identifizieren;
- genetische Variabilität schaffen;
- aus dieser Vielfalt selektieren, um damit weiter zu züchten;
- das ausgewählte Saatgut beurteilen und bewerten;
- ausgewähltes Saatgut und Pflanzen verbreiten;
- Saatgutproduktion und Verteilung organisieren.

Das Wissen und die Erfahrung der Bauern und Bäuerinnen wird ergänzt durch die Kenntnisse der Wissenschaftler. In der bisherigen Pflanzenzucht geschieht dies selten. Erst wenn eine Sorte fertig ist, wird sie den Bauern als Konsumenten vorgestellt, die sie dann akzeptieren oder nicht. Auch für die Züchter ist das nicht immer der erfolgreiche Weg.

Eine vertrauensvolle und gleichberechtigte Zusammenarbeit von Bauern und Züchtern ist eine zukunftsweisende Alternative zu monopolisierenden Züchtungskonzernen, die Bauern und Bäuerinnen in Abhängigkeit bringen und die Vielfalt durch Einfalt ersetzen .

Dieser Ansatz wäre eine Möglichkeit, schneller und lokal angepasst auf Veränderungen zu reagieren. In gewissen Grenzen verabschieden müsste man sich dann allerdings von der Vorstellung, dass alle Sorten den drei in der Gesetzgebung geforderten Kriterien von Unterscheidbarkeit, Stabilität und Homogenität in gewohnter Weise erfüllen. Dies gilt besonders für die Homogenität.

Das weltweit vorherrschende Modell, dass eine Sorte die zugelassen werden kann, die drei Eigenschaften der Unterscheidbarkeit, Homogenität und Stabilität erfüllen muss, steht einer Förderung der Vielfalt auf den Feldern direkt entgegen. Eine Sorte ist homogen, wenn sie in der Ausprägung der für die Unterscheidbarkeit maßgeblichen Merkmale hinreichend einheitlich ist. D.h. man will gerade nicht, dass es in einer Sorte einzelne Individuen gibt, die anders sind als die meisten, obwohl gerade aus diesen neue interessante Züchtungen entwickelt werden könnten. Genetische Einheitlichkeit ist jedoch eine der Vorraussetzungen für die Sortenzulassung, d.h., man schafft gerade die Eigenschaft ab, die eine Weiterentwicklung durch Selektion und Kreuzung interessanter Individuen möglich macht. Durch genaue Beobachtung dieser minimalen Unterschiede haben Bauern die Vielfalt geschaffen, die es ermöglichte, immer neue Lebens- bzw. Anbauräume zu erschließen, und es geschafft, dass die Kulturpflanzen mit den Menschen in neue Gebiete mitwanderten. In gewisser Weise wandern wir zur Zeit auch in neue Gebiete, denn die Umweltbedingungen ändern sich.

Eine große Einheitlichkeit kann weder kleinräumig angepasst noch flexibel sein. Eine Monokultursteppe kann die Biodiversität nicht fördern. Aber Felder, die zu unterschiedlichen Zeiten abgeerntet, früher oder später bestellt werden, zwischen denen Hecken, Wälder, Wiesen liegen, sind zur Förderung von Vielfalt weitaus besser geeignet.

Die Frage stellt sich also: Ist die Forderung nach Einheitlichkeit in der jetzigen Form bei der Saatgutzulassung noch zeitgemäß? Muss diese Forderung übergedacht werden und sollte vielleicht mehr Spielraum gelassen werden?

Eine Weiterfassung der Homogenität als Vorgabe wird als essentiell für eine Förderung der Agrobiodiversität gesehen, wenn die Bäuerlichen Rechte verwirklicht werden sollen und eine lokale, selbstständige und bäuerliche Anpassungszüchtung an lokale Veränderungen schnell erreicht werden soll. Denn womit sonst als mit den örtlich vorhandenen genetischen Ressourcen sollen die Bauern arbeiten? Ist dort keine Vielfalt, gibt es auch kein Anpassungspotential.


Agrobiodiversität als Strategie im Klimawandel

Sich ändernde Klimabedingungen stellen neue Anforderungen an Nutzpflanzen und Nutztiere. Die bisher genutzten Sorten, Rassen und Arten müssen angepasst oder gegen andere ausgetauscht werden. Zukünftige Nutzpflanzen und -tiere müssen "hart im Nehmen" sein.

Der Klimawandel wird zur Ausbreitung neuer Krankheiten führen. Die zunehmenden Dürren werden zu hohen Tierverlusten führen, den Regenfeldbau besonders gefährden, Transportwege unsicher machen und vieles mehr. Diese Veränderungen treten jetzt schon ein und sie kommen schnell.

Bauern und Bäuerinnen haben seit über 10.000 Jahren Pflanzen und Tiere erfolgreich gezüchtet und dabei eine große Vielfalt tausender Sorten und Rassen geschaffen. Dies ebnete einer erfolgreichen, vom Menschen begleiteten und unterstützten Ko- Evolution zwischen den Wirten (Nutzpflanzen und -tieren), ihren Symbionten- darunter auch Schädlingen, Krankheiten, ja sämtlichen Umweltbedingungen den Weg. Diese Vielfalt zusammen mit einer großen Bandbreite an Nutzungssystemen bezeichnet man als Agrobiodiversität.

Eigenschaften wie Toleranz von nassen Böden und stehendem Wasser, Trockenheits- oder Hitzeresistenz, gute Lagereigenschaften usw. können auf natürliche Weise genutzt werden, ohne den Einsatz von Gentechnik. Sie liegen in den traditionellen Sorten und Rassen vor. Eine im wahren Sinne nachhaltige Landwirtschaft, also eine, die auch zukünftige Generationen noch gesund und ausreichend ernährt ohne die natürlichen Ressourcen zu zerstören, muss im Sinne der Risikominderung kleinräumig und flexibel gestaltet sein. Einheitliche großflächige Lösungen sind risikobehaftet. Dieser Ansicht ist auch der Weltagrarrat in seinem Bericht gefolgt. Deutschland hat diesen Bericht nicht unterzeichnet. Er wird weiterhin politisch ignoriert.


Der Internationale Saatgutvertrag (ITPGRFA)[2] und die Farmers Rights - Bäuerlichen Rechte

Der internationale Saatgutvertrag der FAO trat nach sehr langen Verhandlungen 2004 in Kraft und wurde von 120 Staaten ratifiziert, auch von der EU.

Alle Vertragsteilnehmer haben freien Zugang zu den in internationalen und nationalen Genbanken eingelagerten Sorten von 64 Pflanzenarten, die für die Ernährung und Landwirtschaft weltweit wichtig sind. Im Gegenzug müssen sie ihre Sammlungen für die anderen öffnen. Unklar ist, was mit den umfangreichen Sammlungen der Saatgutfirmen ist, die z. Zt. freien Zugang haben, aber ihre Sammlungen nicht öffnen.

Der Saatgutvertrag ist für die Erhaltung der Agrobiodiversität und für die Rechte der Bauern und Bäuerinnen von großer Bedeutung, denn nach Artikel 9 des Internationalen Vertrags sind die Vertragsparteien aufgefordert, entsprechend ihren Bedürfnissen und Prioritäten, sofern angebracht und nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften, Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Rechte der Bauern zu ergreifen. Ausdrücklich werden in Artikel 9 folgende Bereiche genannt:

a) der Schutz des traditionellen Wissens, das für pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft von Belang ist;

b) das Recht auf gerechte Teilhabe an den Vorteilen, die sich aus der Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft ergeben (Benefit Sharing);

c) das Recht auf Mitwirkung an Entscheidungen auf nationaler Ebene über Fragen im Zusammenhang mit der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft.

In den Verhandlungen zeigt sich, dass speziell die Frage der Finanzierung der Umsetzung des Vertrages und die Frage, wie das Benefit Sharing finanziert werden soll, strittig sind. Bauern und NRO- VertreterInnen fordern, dass die Seite, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen finanzielle Vorteile zieht, nämlich die Saatgutindustrie, einen Teil ihrer Gewinne in den Global Crop Diversity Trust einzahlen soll. Die Entwicklungsländer weigern sich, solange diese Frage nicht geklärt ist, ihre Sammlungen allen zu öffnen, denn sie hegen den großen Schatz der genetischen Vielfalt.

Die weichen Formulierungen lassen auch Ländern wie Deutschland viel Spielraum. Für Deutschland, also in einem Land, in dem kaum noch ein Landwirt sein eigenes Saatgut erzeugt, geschweige denn züchtet, stellt sich die Frage, wie wichtig die Bäuerlichen Rechte praktisch (und politisch) sind. Hier ist die Forderung nach Mitwirkung bei Entscheidungen, die die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen betrifft, zu bekräftigen. Solange die Landwirte selbst hier ihre Rechte nicht einfordern und ihre Berufsvertreter die Interessen der Agrarindustrie vertreten, kann hierzu kein politischer Druck erzeugt werden. Dabei sind sie grundsätzlich in keiner anderen Lage als ein Bauer auf den Philippinen oder in Peru.


Die Flut in Pakistan: Was wächst danach?

Wenn die Wassermassen sich zurückgezogen haben werden und die Familien in ihre Dörfer zurückkehren, wird sich die Frage nach neuem Saatgut stellen. Es ist sicher, dass mit der Flut die Vorräte an Saatgut, sowohl traditioneller Sorten als auch kommerziellen, zerstört wurden. Auch die Tiere zur Feldbestellung fehlen. Dies ist ein Lehrstück, wie durch Naturgewalt genetische Vielfalt verloren gehen kann. Sicher hat Pakistan in verschiedenen Genbanken Muster der pakistanischen Reis- und Weizensorten eingelagert. Eine wichtige Aufgabe wird es jetzt sein, aus den wenigen Gramm Samen, Mengen zu erzeugen, die auf den Feldern wieder ausgesät werden können. Das geht nicht schnell und braucht Jahre.

Werden die Hilfsorganisationen in der Lage sein, angepasste Sorten in ausreichender Menge beschaffen zu können? Werden "Spenden" der Saatgutfirmen die Lücke schließen und damit ein leichtes Einfalltor für Hybride und eventuell GVO [3] Saatgut schaffen? Kann sich ein Land in einer solchen Situation leisten zu sagen "GMO [4] - no, thanks?"

In Äthiopien hat man es geschafft, nach der Hungerkatastrophe die traditionellen äthiopischen Sorten aus der nationalen Genbank wieder zu vermehren und in die Dörfer zurückzubringen. Hier wäre eine Gelegenheit für ein Süd-Süd-Projekt.

Sichere, lokale Saatgutbanken sind eine Sicherung gegen die Folgen von Flut und Dürre. Ihr Bau wäre eine Antwort, denn je dezentraler solche Lager wären, desto eher wäre die Hilfe für einen Neuanfang vor Ort. Ein Lehmhaus würde diese Aufgabe aber nicht erfüllen können, aber man braucht auch keine Hochtechnologie dafür.


*) Ursula Gröhn-Wittern ist Diplom Agraringeneurin und arbeitet seit 1984 zum Thema genetische Ressourcen und Agrobiodiverität. Zur Zeit bei der Agrar Koordination in Hamburg www.agrarkoordination.de


Literatur

ANDERSEN, Regine und Tone WINGE (2008): Success stories from the Realization of Farmers`Rights Related to Plant genetic resources for Food and agriculture, FNI Report 4/2008 (Lysaker, Norway: The Fridtjof Nansen Institute)

BACHMANN, Lorenz; CRUZADA, Elizabeth und Sarah WRIGHT (2009): Food Security and Farmer Empowerment, MASIPAG (ED), Los Baños, Laguna/Philippinen

BLESSIN, Sandra (2009): Angepasste Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels; Studie Agrar Koordination; HH

CHRISTMANN, Stefanie (2009): Auf vier Beinen aus der Armut; Kritische Ökologie Nr. 71-23[2]: 27-29; Berlin/Göttingen


Internet

www.agrarkoordination.de
www.biodiversity.org
www.bmelv.de: Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
www.CGIAR.org: Consultative group of International agricultural Research
www.fao.org/biodiversity/en/: Umfangreiche Informationen zu Ernährung und Biodiversität
www.FAO.org: Food and Agriculture Organisation of The United Nations
www.underutilized-species.org: Info zu wenig genutzten Arten und ihren Potentialen
www.weltargarbericht.de


[1] Unter Kryokonservierung (von griechisch krýos = Kälte und lateinisch conservare = erhalten, bewahren) versteht man das Aufbewahren von Zellen durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff. Mit Hilfe dieses Verfahrens ist es möglich, die Vitalität der Zellen nahezu unbegrenzt aufrecht zu erhalten, obgleich das biologische System in den Aggregatzustand eines Festkörpers übergeht. Kryokonservierung kann sowohl bei Pflanzenzellen als auch bei tierischen Zellen angewandt werden, beim Menschen zum Beispiel auch bei Spermien, Eizellen und Embryonen. Die Lagerung findet in sogenannten Kryobanken statt. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Kryokonservierung

[2] International Treaty on Plant Genetic Resources

[3] Gentechnisch veränderter Organismus

[4] Genetically modified organism - gen-manipulierter Organismus


*


Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 75 Ausgabe 25 [2] Herbst 2010, S. 16-21
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
Redaktionsanschrift:
Malteserstraße 99k, 12249 Berlin
Telefon: 030/76 70 34 98, Fax: 030/76 70 34 99
E-Mail: redaktion@kritische-oekologie.de
Internet: www.ifak-goettingen.de

Abo (2 Hefte in Folge): privat ab 10 Euro,
Institutionen ab 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011