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LANDWIRTSCHAFT/024: "Wald bedeutet Leben" - Neue Methoden der Landwirtschaft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2012

Wald bedeutet Leben
Den Hunger besiegen mit neuen Methoden der Landwirtschaft

von Silvia Holten



Der Klimawandel wird in Afrika besonders hart zuschlagen, auch wenn die Menschen auf unserem Nachbarkontinent am wenigsten dazu beigetragen haben. Schon heute dreht sich der Zyklus aus Hunger- und Dürrekatastrophen immer schneller. Waren Hungernöte früher nach etwa zehn Jahren die Regel, so haben sich heute die Abstände auf zwei bis drei Jahre reduziert. Eine Regeneration von Mensch und Natur ist daher kaum möglich. Umso wichtiger wird Prävention. Ein Mittel sind neue Methoden der Agrarwirtschaft, wie zum Beispiel FMNR (farmer managed natural regeneration).

»Wald bedeutet Leben«, sagt Bauer Thomas Hera. Er lebt in der Region Humbo, etwa sechs Stunden Autofahrt südwestlich der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Vor sechs Jahren war Thomas noch anderer Meinung. Der nahe gelegene Wald wurde von ihm, seinen Nachbarn und den Generationen vor ihm bis auf den letzten Halm abgeholzt. Sobald auch nur der kleinste Trieb aus dem Boden ragte, kam jemand, um es für Feuerholz abzuschneiden. Irgendwann war der ganze Berg kahl und nur noch mit rotem Sand, Geröll und Felsen bedeckt. Die wilden Tiere und Vögel waren in andere, fruchtbarere Regionen geflüchtet. Wenn es in Strömen regnete, rutschten der Sand, das Geröll und sogar große Felsen auf die Äcker, die unten am Berg lagen und zerstörten oft die Ernte. Regelmäßige Hungersnöte waren die Folge.

Die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision war bereits seit vielen Jahren in der Region tätig und die Mitarbeiter vor Ort waren zunehmend verzweifelt über die ständig wiederkehrenden Hungersnöte und baten Tony Rinaudo, Agrar- und Wiederaufforstungs-Experte bei World Vision um Hilfe.

Unterirdische Wälder als Grundstock für Wiederaufforstung

Tony war in den achtziger Jahren nach Niger geschickt worden, um dort Wiederaufforstung zu betreiben. Damals litt das Land in West-Afrika unter zunehmender Wüstenbildung und Tony war zutiefst erschrocken, als er Niger näher erforschte. Der kleinste Lufthauch verursachte einen Sandsturm. Tony wusste sich zunächst keinen Rat. Alles probierte er aus, Tausende Bäume wurden neu angepflanzt, aber 80 Prozent von ihnen vertrockneten. Als er eines Tages wieder mit seinem Auto unterwegs war, blieb er im Wüstensand stecken und bemerkte zufällig einige kleine Büsche in der Nähe. Er sah sich die Blätter näher an und stellte fest, dass es sich bei dem Strauch um einen kleinen Baum handelte. Er bemerkte, dass sich unter der Erde ein riesiges Wurzelwerk befand, dass offenbar noch intakt war. Was wäre, wenn sich unter der Erde ein ganzer Wald befände, überlegte Tony. Die Idee von FMNR (farmer managed natural regeneration) war geboren. Tony konnte einige wenige Bauern überzeugen, versuchsweise auf ihren Äckern einige Bäume stehen zu lassen und ein Gebiet abzusperren, um dort gezielt Triebe wachsen zu lassen. Schon nach einem Jahr waren erste Erfolge sichtbar. Nach weiteren zwei bis drei Jahren waren durch gezielte Pflege und Beschneidung der Büsche kleine Bäume geworden. Heute ernten Bauern, die die FMNR-Methode anwenden, manchmal bis zu 50 Prozent mehr als ihre Kollegen, die nach der alten Methode Landwirtschaft betreiben.

Misstrauische Bauern mussten überzeugt werden

Mit diesem Wissen reiste Tony ins Humbo-Tal nach Süd-Äthiopien und unterrichtete zunächst die World Vision Mitarbeiter in der FMNR-Methode. Auch die Regionalregierung wurde involviert. Nach anfänglicher Skepsis war man bereit, einen Versuch zu unternehmen. Doch die größte Hürde musste noch genommen werden. Die Bauern, die in den Dürreregionen lebten, mussten überzeugt werden. Hailu Teferu, der damals für Humbo als World Vision Projektmanager verantwortlich war, ging von Dorf zu Dorf und erklärte die Methode. Überall stieß er auf großes Misstrauen. »Die Bauern beschimpften mich und jagten mich aus dem Dorf«, erklärt Hailu. »Niemand glaubte mir. Viele Bauern dachten, man wolle ihnen ihr Land abnehmen und an internationale Investoren verkaufen.« Hailu redete wieder und wieder mit Politikern, mit Ältesten und anderen einflussreichen Meinungsführern. Im Jahr 2007 sperrten die World Vision Mitarbeiter ein Ge-biet ab und in einem »cash for work« (Geld für Arbeit)-Projekt bezahlte man Arbeiter, um die jungen Triebe, die immer wieder in dem Sperrgebiet den Boden durchbrachen, zu schützen, zu beschneiden und zu pflegen. Nach einem Jahr zeigten sich erste Erfolge. Die Bauern fragten bei World Vision nach, ob sie das Stroh ernten dürften, dass sich auf dem Boden befand. »Natürlich«, sagte Hailu, »es ist doch euer Land.« Erfreut zogen die Familien über das Gebiet und sammelten das Stroh ein. Etwas später kamen sie er-neut zu World Vision und fragten, ob sie einige Äste für Feuerholz sammeln dürften. »Natürlich«, meinte Hailu, »es ist euer Land.«

Ohne Ownership geht nichts

Langsam verstanden die Bauern. Die Überzeugungsarbeit dauerte fast zwei Jahre, doch sie hat sich gelohnt. Sieben Kooperativen kümmern sich heute um ein Gebiet, das etwa 866 Quadratkilometer umfasst und in dem fast 150.000 Menschen leben. Mehr als 90 Prozent des ehemaligen Waldgebietes wurden mit Hilfe der FMNRMethode renaturiert. Neu Wälder sind entstanden. Die Wurzeln der Bäume halten die Erde und Felsen fest, wenn es regnet. Wilde Tiere und Vögel sind zurückgekehrt. Das Mikroklima hat sich geändert. Sieben Kooperativen kümmern sich um die Pflege und den Schutz der wiederbegrünten Regionen und Wälder. Es gibt feste Regeln, wer die neu gewachsenen Wälder betreten darf und es gibt Waldschützer, die darauf achten, dass niemand gegen die Regeln verstößt.

Bauer Thomas ist heute voll des Lobes. Ihm, seiner Frau und seinen acht Kindern geht es inzwischen viel besser. Er konnte ein neues, größeres Haus kaufen, sich Ochsen anschaffen und er kann alle seine Kinder zur Schule schicken. An der Schule lernen inzwischen auch die Kinder, wie wichtig der Wald für ihr Leben ist.

Die Autorin ist bei der Kinderhilfsorganisation World Vision für die Medienarbeit verantwortlich.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Bauer Thomas beim Beschneiden von Bäumen
  • Frauen und Kinder holen Brennholz und Futter für die Tiere aus dem neuen Wald
  • Von den Geldern, die aus dem Emissionshandel gezahlt wurden, baute sich die Gemeinde eine Mühle
  • Tony Rinaudo im Gespräch mit Hailu Tefera (WV Mitarbeiter) und Mitgliedern der Kooperative


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2012, S. 31-32
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2012