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LATEINAMERIKA/105: Brasilien - Entwaldung des Amazonasgebietes treibt Energiekrise voran (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. April 2015


Brasilien: Entwaldung des Amazonasgebietes treibt Energiekrise voran

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Dorf der Arara-Indigenen am Xingú-Fluss
Bild: © Mario Osava/IPS

Rio de Janeiro, 7. April (IPS) - Millionen Menschen im brasilianischen Amazonasgebiet müssen mit Wasser- und Stromrationierungen rechnen, da es in den vergangenen zwei Jahren kaum geregnet hat. Die Krise zeigt, dass eine Wiederaufforstung der Flussufer dringend notwendig ist.

Das größte lateinamerikanische Land bezieht etwa zwei Drittel seiner Elektrizität aus gestauten Flüssen, deren Pegelstände mittlerweile alarmierend niedrig sind. Experten dringen deshalb auf eine Diversifizierung der Energiequellen. "Wir müssen unsere Abhängigkeit von Wasserkraftwerken und Wärmekraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, reduzieren, um mit den immer häufiger auftretenden Wetterextremen besser umgehen zu können", sagt der Vizepräsident des unabhängigen Vitae-Civilis-Instituts, Delcio Rodrigues.


Brasiliens Strom kommt vor allem aus Wasserkraftwerken

Bis zu dem großen Blackout 2001 wurden fast 90 Prozent des Stroms in Brasilien aus Wasserkraft gewonnen. Nach dem massiven Ausfall sahen sich die Behörden gezwungen, die Elektrizität acht Monate lang zu rationieren. Seitdem gewinnt die teurere und schmutzigere Wärmekraft immer weiter an Boden. Die zumeist mit Erdöl betriebenen Wärmekraftwerke liefern zurzeit etwa 28 Prozent des gesamten Stroms, während 66,3 Prozent aus Wasserkraftwerken kommen.

Befürworter der Wasserkraft fordern eine Rückkehr zu großen Dämmen, deren Stauseen auch längere Dürreperioden überstehen. Die unsichere Versorgungslage führen sie auf Anlagen zurück, die aufgrund von Umweltauflagen Wasser nur für eine begrenzte Dauer stauen durften.

Laut Rodrigues sind jedoch die "Wälder die größten Wasserspeicher". Denn ohne Entwaldung, die Auswirkungen auf sämtliche Wasserscheiden hat, könnte mehr Wasser im Boden verbleiben, was wiederum die Pegelstände der Flüsse höher halten würde.


Brandgefahr

Doch dem Klimaforscher Antonio Donato Nobre zufolge sind 27 Prozent der Wälder im Amazonasgebiet geschädigt. Weitere 20 Prozent sind abgeholzt, wie der Wissenschaftler erklärt, der für das Amazonas-Forschungsinstitut und für das Nationale Institut für Weltraumforschung tätig ist.

Der Schwund und die Schädigung des Regenwaldes erhöhen zudem das Risiko von Bränden, die inzwischen sogar in Feuchtgebiete vordringen. Riesige Flächen wurden inzwischen vernichtet. "Die Bäume im Amazonas sind nicht gegen Feuer resistent. Diese Wälder werden wohl Jahrhunderte brauchen, bis sie sich wieder regeneriert haben."


Bild: © Mario Osava/IPS

Der San-Antônio-Staudamm während der Bauphase 2010
Bild: © Mario Osava/IPS

Laut Nobre verändert die Entwaldung das Klima Südamerikas und verringert sogar die Niederschläge im Südosten Brasiliens. Dort wird der größte Teil der Energie aus Wasserkraft erzeugt. Nobre fordert neue Studien über die genaue Menge an Feuchtigkeit, die in die unterschiedlichen Gewässer gelangt. Auf diese Weise könnten die Klimabeziehungen zwischen dem Amazonas und anderen Gebieten beurteilt werden.


Weniger Regen, längere Dürren

Im Osten des Amazonasgebietes, wo die Zerstörung und Schädigung des Regenwaldes besonders weit fortgeschritten ist, sind die Klimaveränderungen unübersehbar. Die Niederschlagsmenge ist rückläufig, und die Trockenperioden haben sich verlängert.

Nach Prognosen des Sozio-Umweltinstituts (ISA) könnten 2015 in der Ortschaft Canarana im Xingú-Flussbecken die niedrigsten Niederschlagmengen seit 14 Jahren gemessen werden. Das Institut führt in dem Gebiet ein Nachhaltigkeitsprogramm unter anderem für Indigene durch.

Wenn sich die Entwicklung fortsetzt, wird auch das Wasserkraftwerk Belo Monte betroffen sein, das etwa 1.200 Kilometer weiter flussabwärts gebaut wird. Die Anlage, die mit einer Produktionskapazität von bis zu 11.233 Megawatt das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt werden soll, wird den Plänen zufolge 2019 an das Netz gehen. Bis zum Jahr 20150 könnte die Kapazität aber um fast 40 Prozent sinken, sollte die Entwaldung in der bisherigen Geschwindigkeit fortschreiten, wie aus einer Studie von acht brasilianischen und US-amerikanischen Wissenschaftlern hervorgeht. Die Untersuchung wurde 2013 von der Nationalen Akademie der Wissenschaften in den USA veröffentlicht.

Laut Schätzungen von ISA erreichte der Waldschwund im Xingú-Becken 2013 bereits 21 Prozent. Auch auf andere große Wasserkraftwerke, die im Amazonasgebiet im Bau sind, könnten schwere Beeinträchtigungen zukommen. Am Madeira-Fluss, wo erst kurz zuvor die Kraftwerke Jirau und Santo Antônio an das Netz gegangen waren, kam es im vergangenen Jahr zu gravierenden Überschwemmungen, die den Betrieb der Anlagen behinderten.


Pestizide in Flüsse geleitet

In den südlichen Teilen der Amazonasregion sei mit intensiveren Wetterphänomenen sowie mit auffällig niedrigen oder hohen Wasserständen zu rechnen, meint der Hydrologe Naziano Filizola von der Föderalen Universität von Amazonas. Die Entwaldung hänge auch mit der Landwirtschaft zusammen, durch die Pestizide in die Flüsse gelangen. Auch am Xingú-Fluss hätten Indigene festgestellt, dass sich die Wasserqualität verschlechtert habe.

Die schlimmsten Folgen für die Energieversorgung aufgrund ausbleibender Regenfälle zeigen sich in der Hochlandregion Planalto Central. Die Savanne, deren größte Flüsse für die Erzeugung von Wasserkraft genutzt werden, ist nach dem Amazonasgebiet das wichtigste Ökosystem Brasiliens.

Der Paraná-Fluss, der von Norden nach Süden fließt und in Brasilien die höchsten Kapazitäten für die Stromgewinnung besitzt, bezieht die Hälfte des Wassers aus der Cerrado-Savanne. Im Fall des Tocantins-Flusses, der durch das nördliche Amazonasgebiet fließt, liege der Anteil bei 60 Prozent, erklärt Jorge Werneck vom staatlichen Agrarforschungsinstitut Embrapa. Diese zwei Flüsse speisen die beiden größten Wasserkraftwerke in Brasilien: das Itaipú, das gemeinsam mit Paraguay betrieben wird, und das Tucurui. Beide zählen zu den fünf größten Anlagen dieser Art weltweit.

Nobre dringt auf eine unverzügliche Wiederaufforstung der Amazonaswälder, um die Ökosysteme wieder ins Lot zu bringen. (Ende/IPS/ck/2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/04/deforestation-in-the-amazon-aggravates-brazils-energy-crisis/
http://www.ipsnoticias.net/2015/03/deforestacion-amazonica-agrava-crisis-energetica-en-brasil/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2015

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