Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


LATEINAMERIKA/197: Brände im Amazonasgebiet (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. August 2019
german-foreign-policy.com

Brände im Amazonasgebiet


PARIS/BERLIN/BRASLIA - Deutschland und die EU begünstigen die Abholzung und Brandrodungen im Amazonasgebiet mit ihren umfangreichen Agrarimporten aus Brasilien seit Jahren. Schon lange werden Proteste dagegen laut, zumal im Auftrag von Brasiliens Agrarunternehmen immer wieder auch Morde an Kleinbauern begangen werden. Deutschland sei daran "durch seine Importe von Produkten des brasilianischen Agro-Business mitschuldig", kritisierten beispielsweise Vertreter indigener Gemeinschaften vor rund drei Jahren. Das unlängst geschlossene EU-Freihandelsabkommen mit dem Mercosur wird Brasiliens Agrarexporte weiter steigern und neue Anbauflächen erforderlich machen; Fachleute warnen, Berlin und die EU seien deshalb auch an den aktuellen verheerenden Waldbränden "mitschuldig". Gestern haben die G7 über die Köpfe der brasilianischen Regierung hinweg Maßnahmen zum Schutz des Regenwaldes angekündigt, dessen schwere Schädigung sie selbst mit verursacht haben. Im eigenen Land setzen sich die westlichen Mächte für den Klimaschutz, den sie damit von Brasilien einfordern, nur unzureichend ein.

Freihandel mit dem Mercosur

In der scharfen Kritik an den dramatisch ausgeweiteten Brandrodungen in Brasilien, die der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende auf dem G7-Gipfel in Biarritz äußerten und die zur Ankündigung der G7 führte, die Bekämpfung der Brände im Amazonasgebiet zu unterstützen, drückt sich vor allem ein innereuropäischer Machtkampf aus. Gegenstand ist das Freihandelsabkommen, auf das sich die EU und der südamerikanische Staatenbund Mercosur Ende Juni einigten. Die Verhandlungen darüber hatten bereits 1999 begonnen, waren aber stets an einem entscheidenden Punkt steckengeblieben: Berlin wollte den Mercosur vor allem für Industrieprodukte aus der EU öffnen, bei denen Deutschland der größte Lieferant ist, und war bereit, dafür den EU-Agrarmarkt zu öffnen; Paris wiederum wies Letzteres zurück, um seine Landwirtschaft, nicht zuletzt die Rinderzüchter, vor der Konkurrenz aus Argentinien und Brasilien zu schützen. Mit verstärktem Druck gelang es der Bundesregierung im Lauf der vergangenen zwölf Monate, ihre Position durchzusetzen. Macron kündigte daraufhin umgehend an, Frankreich werde die Ratifizierung, ohne die das Mercosur-Freihandelsabkommen nicht in Kraft treten kann, aufs Genaueste prüfen und sie eventuell verweigern. Aus Irland, das ebenfalls seine Rinderzucht bedroht sieht, waren ähnliche Äußerungen zu hören.[1]

Eine populäre Legitimation

Macron hat seine Ankündigung, dem Abkommen womöglich die Zustimmung zu verweigern, mit seiner angeblichen Sorge um die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens durch Brasilien unter Präsident Jair Messias Bolsonaro legitimiert. Diese Begründung ist - anders als ein Bezug auf französische Rinderzüchter - im gegenwärtigen Meinungsklima in weiten Teilen der EU populär und gut vermittelbar. Sie hat aus Sicht der französischen Regierung zudem den wichtigen Vorteil, auf absehbare Zeit zuverlässig wirksam zu sein: Bolsonaro ist nicht nur dafür berüchtigt, einen dramatischen Anstieg von Polizeimorden unmittelbar zu Beginn seiner Amtszeit begünstigt zu haben (german-foreign-policy.com berichtete [2]), sondern auch dafür, sich als Interessenvertreter der brasilianischen Agrarkonzerne sowie der brasilianischen Großgrundbesitzer zu betätigen. In deren Auftrag werden nicht nur regelmäßig Übergriffe gegen die Landlosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra, MST) und gegen indigene Bevölkerungsgruppen verübt, sondern auch große Teile des Amazonas-Regenwaldes abgeholzt. Prominente Agrarlobbyisten sind auf wichtigen Posten in der Regierung Bolsonaro präsent; der zum 1. Januar in sein Amt gelangte Präsident hat zudem gleich zu Beginn seiner Amtszeit seine ersten Attacken auf die Rechte der brasilianischen Indigenen gestartet.[3]

Die deutsch-brasilianische Agrarkooperation

Freilich kooperieren Deutschland und die EU schon lange mit Brasiliens Agrarindustrie, ohne sich durch deren brutales Vorgehen gegen Umwelt und indigene Bevölkerung abschrecken zu lassen. So importiert die EU seit vielen Jahren große Mengen an brasilianischem Rindfleisch. Im Jahr 2018 stieg das Volumen nach einem Einbruch, der durch einen Gammelfleischskandal verursacht worden war, wieder an und erreichte laut brasilianischen Statistiken 118.317 Tonnen.[4] Über 80 Prozent der deutschen Sojaeinfuhren kommen aus Südamerika, insbesondere aus Brasilien. Das Land ist insgesamt der größte Agrarlieferant der EU, deren Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr 14,5 Milliarden Euro für Produkte der brasilianischen Agrarindustrie bezahlten.[5] Die Bundesregierung fördert die Agrarkooperation bereits seit Jahren. So kommt seit 2003 die deutsch-brasilianische Arbeitsinitiative Agribusiness und Innovation einmal pro Jahr im Rahmen der deutsch-brasilianischen Wirtschaftstage zusammen. Forschungseinrichtungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft kooperieren mit brasilianischen Institutionen in der Agrarforschung, während im Rahmen des deutsch-brasilianischen Energieabkommens auch eine Arbeitsgruppe Biokraftstoffe tätig ist.[6]

"Deutschland mitschuldig"

Gegen die enge deutsch-brasilianische Agrarkooperation werden schon seit Jahren immer wieder Proteste laut. So protestierten etwa am 11. August 2016 rund 200 Angehörige diverser indigener Gemeinschaften aus ganz Brasilien vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft in Brasília.[7] Man wehre sich dagegen, "dass Deutschland durch seine Importe von Produkten des brasilianischen Agro-Business mitschuldig daran ist, dass dieser Wirtschaftssektor aggressiv unsere Rechte missachtet und gewalttätig gegen unsere Anführer und unser Leben vorgeht", hieß es damals in einem Offenen Brief, den die Protestierenden an Botschaftsvertreter übergaben. Laut Angaben der katholischen Commissao Pastoral da Terra (CPT) seien allein von Anfang 2016 bis zum Zeitpunkt des Protests mindestens 39 Bauern im Auftrag des Agrobusiness ermordet worden, hieß es weiter. Berlin und die deutschen Importeure dürften dies nicht weiter hinnehmen. Auch wegen der im Amazonasgebiet üblichen Brandrodungen wird schon lange gegen Agrarimporte aus Brasilien protestiert.

"Die Entwaldung verstärken"

Darüber hinaus sind schon frühzeitig Warnungen laut geworden, das Freihandelsabkommen EU-Mercosur werde den brasilianischen Agrarexport anheizen und die Abholzung bzw. Brandrodung großer Flächen zur Schaffung neuer Viehweiden und Sojaplantagen vorantreiben.[8] Wegen der steigenden Nachfrage aus der EU sei mit der "Ausweitung der Anbauflächen" zu rechnen, heißt es etwa in "kritischen Anmerkungen" dreier brasilianischer Wissenschaftler, die in Rio de Janeiro zu Nahrungsmittel- und Ernährungssouveränität forschen. Der EU-Beitrag "zum Voranschreiten der brasilianischen Ausfuhren von Sojabohnen und Rindfleisch" könne damit "den Fortgang der Entwaldung" nicht zuletzt im Amazonasgebiet "verstärken".[9] "Deutschland und die Europäische Union machen sich mit ihrer Unterschrift unter das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten an den verheerenden Waldbränden mitschuldig", urteilt Klemens Paffhausen, Brasilien-Referent des katholischen Hilfswerks Adveniat.[10]

Klimaschützer

Gestern haben die G7 über die Köpfe der brasilianischen Regierung hinweg Maßnahmen zum Schutz des Regenwaldes angekündigt, dessen schwere Schädigung sie selbst mit verursacht haben. Im eigenen Land hingegen setzen sich die westlichen Mächte für den Klimaschutz, den sie damit von Brasilien einfordern, nur völlig unzureichend ein. Dies gilt insbesondere auch für Deutschland (german-foreign-policy.com berichtete [11]).


Anmerkungen:

[1] S. dazu Freihandel mit Folgen.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7982/

[2] S. dazu Maas und die Menschenrechte.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7921/

[3] S. dazu "Jetzt auf Brasilien setzen".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7826/

[4] Josef Koch: EU importiert wieder mehr Rindfleisch aus Brasilien. agrarheute.com 25.01.2019.

[5] Fleischkonsum befeuert die Brände am Amazonas. t-online.de 24.08.2019.

[6] Deutsch-brasilianische Zusammenarbeit. bmel.de 02.03.2015.

[7] Christian Russau: Abstauben in Brasilien. Deutsche Konzerne im Zwielicht. Hamburg 2016. S. dazu die Rezension von german-foreign-policy.com
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7359/

[8] S. dazu Freihandel mit Folgen.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7982/

[9] Silvio I. Porto, Rosângela P. Cintrão, Renato S. Maluf: Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur: einige kritische Punkte zu Agrarfragen. amerika21.de 18.08.2019.

[10] Fleischkonsum befeuert die Brände am Amazonas. t-online.de 24.08.2019.

[11] S. dazu Das Fossil des Tages
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7814/
und Europas Umwelt-Musterknabe (III).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7860/

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang