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MEER/246: Kieselalge in der Antarktis liest je nach Umweltbedingungen verschiedene Varianten ihrer Gene ab (idw)


Stiftung Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere - 16.01.2017

Kieselalge in der Antarktis liest je nach Umweltbedingungen verschiedene Varianten ihrer Gene ab


Eine vergleichende Genomanalyse des 60 Millionen Basen umfassenden Genoms der Kieselalge Fragillariopsis cylindrus liefert Anhaltspunkte, wie die Anpassung dieser Algen an extreme Umweltbedingungen ermöglicht wird und inwieweit der Klimawandel sich auf diese evolutionäre Anpassung auswirken könnte. Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.


Foto: © Dr. Thomas Mock, School of Environmental Sciences, University of East Anglia, Norwich, Großbritannien

Wenn Eisschollen aufgrund stürmischer See aufbrechen und hochklappen, zeigt sich eine braune, untere Schicht. Hier vermehren sich Kieselalgen wie Fragilariopsis und geben dem Meereis eine bräunliche Färbung; das Stück Meereis auf diesem Bild hat eine Länge von ca. 2 mm. (*)
Foto: © Dr. Thomas Mock, School of Environmental Sciences, University of East Anglia, Norwich, Großbritannien

Ein internationales Team von Wissenschaftlern, darunter Forscher des U.S. Department of Energy Joint Genome Institute (DOE JGI), des Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig - Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn, der Universität Essen-Duisburg, der Universität zu Köln sowie des Alfred-Wegener-Instituts - Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung fand unter der Koordination von Thomas Mock, Professor of Marine Microbiology, School of Environmental Sciences an der Universitiy of East Anglia in England, zwei Varianten für viele Gene im Genom der in der Antarktis vorkommenden Alge F. cylindrus. Je nach Umweltbedingungen (Polarwinter oder Polarsommer) exprimiert (aktiviert) diese Alge die eine oder andere Genvariante. Als Vergleichsorganismen dienten die Genome der Kieselalgen Thalassiosira pseudonana und Phaeodactylum tricornuteum mit je etwa 30 Millionen Basenpaaren. Diese beiden Arten kommen in Meeren gemäßigter Breiten vor. Weltweit bindet das Phytoplankton der Meere, darunter auch Kieselalgen, mehr als ein Drittel des Kohlenstoffs der Ozeane. Damit spielen diese Organismen eine große Rolle in der Kohlendioxidbilanz der Erde.


Lichtmikroskopie: © Dr. Karen Junge, University of Washington, USA

Die Kieselalge Fragilariopsis cylindrus überlebt in kleinen Kanälen, die sich in gefrierendem Meerwasser bilden. In diesem Extremlebensraum herrschen Temperaturen bis -30 ºC, der Salzgehalt ist viermal so hoch wie bei normalem Meerwasser, es gibt so gut wie kein Licht. Um in dieser Lauge zu überleben, müssen sich die Algen vor dem Gefrieren und dem hohen Salzgehalt schützem sowie ein effizientes Photosyntheseinstrumentarium entwickeln. Aus diesem Grund finden Algenforscher diese Spezies so faszinierend. (*)
Lichtmikroskopie: © Dr. Karen Junge, University of Washington, USA

Im Polarwinter wird die Kieselalge F. cylindrus im polaren Eis eingeschlossen. Sie muss mit hohen Salzkonzentrationen, stark variierenden Eisen- und Kohlendioxidkonzentrationen, extrem niedrigen Temperaturen und zeitweise fast ohne Licht auskommen und vermehrt sich sogar unter diesen extremen Bedingungen noch, wenn auch in relativ geringem Umfang. Im Polarsommer, wenn das Winterpolareis verschwindet, werden die Algen aus dem Eis freigesetzt und vermehren sich unter dem Einfluss des Sonnenlichts stark. Sie dienen dem Krill als Nahrungsgrundlage. Die Alge bildet somit eine wichtige Grundlage für das Nahrungsangebot im Südpolarmeer.

Kieselalgen der Polarmeere trotzen dem extremen und variablen Lebensraum. Wie sie das schaffen, war bisher völlig unbekannt. "Unsere Daten geben einen ersten Einblick, wie diese Organismen als Basis eines der größten und einzigartigen Ökosysteme evolvierten" erläutert Thomas Mock.

"Unsere Analysen haben gezeigt, dass nahezu ein Viertel des F. cylindrus Genoms hoch divergente Allele aufweist. Dies sind Varianten der gleichen Gene die durch die Akkumulation von Mutationen stark divergieren. Die gleichen Gene hat man als einzelne Allele auch in anderen Kieselalgenarten gefunden" stellt Christoph Mayer vom ZFMK in Bonn dar. Und Igor Grigoriev, Leiter des Fungal Genomics Program am DOE Joint Genome Institute, ergänzt: "Es ist bemerkenswert, dass sich verschiedene Allele derselben Gene auseinander entwickeln haben, um es der Kieselalge zu erlauben auf verschiedene Umwelteinflüsse zu reagieren. Diese allelische Divergenz muss vor ca. 100.000 Jahren entstanden sein, was zeitlich mit dem Beginn der letzten Eiszeit zusammenfällt."

"Die neue Erkenntnis, dass F. cylindrus Population eine hohe Variation ihres Erbguts aufweisen und diese über die Zeit erhalten, um in der Lage zu sein, sich den harten Umweltbedingungen anpassen zu können, hat weitreichende Auswirkungen für unser Verständnis dafür, wie natürliche Populationen auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren" meint Jeremy Schmutz, Leiter des DOE JGI's plant programs und ebenfalls Co-Autor der Studie. "Auf dem Level des Individuums die Möglichkeit zu haben, die Expression eines Haplotypen unter sich ändernden Umweltbedingungen von einer Kopie auf eine andere umzustellen, zeigt die vorhandene Komplexität der Überlebensmechanismen in der Natur. Im Falle von F. cylindrus scheint die hohe Variation zwischen den zwei Haplotypen wichtig für das Überleben und die Anpassungsfähigkeit der Art an die Umwelt zu sein. Dies wird sehr wahrscheinlich die genomischen Techniken und Analysen ändern, die zur Erforschung von eukaryotischen Arten der Lebensgemeinschaften in Ozeanen angewendet werden."


(*) Die Bilder gehören zur Pressemitteilung "Alga of the Year" 2011: Fragilariopsis cylindrus loves the extremes (Fragilariopsis cylindrus liebt die Extreme).

Quelle: 'Evolutionary genomics of the cold-adapted diatom Fragilariopsis cylindrus'
http://dx.doi.org/10.1038/nature20803
DOI: 10.1038/nature20803

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news666391

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution150

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Stiftung Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig,
Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, Sabine Heine, 16.01.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2017

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