Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.
Einmal Meeresrettung, bitte!
Verhandlungsbeginn für ein neues Abkommen zum Artenschutz auf der
Hohen See
von Marie-Luise Abshagen
Die Nutzung der Hohen See wird durch eine Reihe von Konventionen geregelt - beispielsweise zur Schifffahrt, zum Einbringen von Stoffen und zur Fischerei. Derzeit verhandelt die Internationale Meeresbodenbehörde außerdem über ein Regelwerk zum Abbau mineralischer Rohstoffe aus der Tiefsee. Was fehlt ist ein für alle Staaten geltendes Instrument zum Schutz der Lebensräume und Artenvielfalt in der Hohen See. Das soll sich mit einem neuen Abkommen der Vereinten Nationen (UN) ändern.
Meere bedecken rund 70 Prozent der Erdoberfläche. Sie spielen
eine wesentliche Rolle bei der Regulierung des Weltklimas und tragen
maßgeblich zur Ernährungs- und Einkommenssicherung der Weltbevölkerung
bei. Und doch nimmt die Bedrohung der Meeresumwelt rasant zu - sei es
Plastikmüll, Versauerung, Klimawandel, Überfischung oder Belastung
durch den Schiffverkehr.
Der Schutz der Weltmeere vor den Auswirkungen all dieser zerstörerischen Aktivitäten ist eine der größten Herausforderungen der Menschen und nicht umsonst in den Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) der UN verankert. Doch nicht nur die Vielzahl der Probleme und Ursachen gestalten dieses Unterfangen als sehr schwierig. Auch die Rechtslage verhindert bisher eine effiziente internationale Zusammenarbeit. So gibt es bis jetzt beispielsweise keine rechtliche Verpflichtung, bei Aktivitäten in der Hohen See eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Auch der Zugang zu genetischen Ressourcen der Meereslebewesen und deren Nutzung sind nicht reguliert. NaturschützerInnen sprechen von einem rechtlichen Niemandsland, in dem eigentlich alles geht, ohne Rücksicht auf Umwelt und Mensch.
Seerecht regelt Nutzung, aber nicht Schutz
Staaten können die Nutzung und den Schutz der Meere lediglich in ihren
Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ), die bis zu 200 Seemeilen vor
ihren Küsten hinausreichen, selbstständig regeln. In der Hohen See,
den zwei Dritteln der Ozeane außerhalb der Hoheitsgebiete von Staaten,
greifen nationale Gesetze nicht. Doch auch internationale
Regulierungen für die Hohe See sind unzureichend, da das
Seerechtsübereinkommen der UN (UNCLOS) lediglich die Nutzung der Meere
und ihrer Ressourcen regelt. Umweltschutz oder Schutz der biologischen
Vielfalt ist in UNCLOS nur unzureichend rechtlich ausbuchstabiert.
Um die Weltmeere schützen zu können, müssten weite Teile der Hohen See unter einen Schutzstatus gestellt und menschliche Aktivitäten (z. B. Fischerei oder Schifffahrt) verringert oder reglementiert werden. Bisher existieren weltweit bereits 9 Meeresschutzgebiete in der Hohen See,[1] doch diese sind nicht für alle Staaten verbindlich. Das South Orkneys-Meeresschutzgebiet im Südpolarmeer beispielsweise, das 2010 von der Kommission zum Erhalt der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) eingerichtet wurde, als erstes komplett in der Hohen See liegt und in dem vor allem Fischerei stark reglementiert wird, ist lediglich für die 25 Vertragspartner rechtsverbindlich.
Nach 10 Jahren beginnen Verhandlungen
Die Forderung einer Ergänzung von UNCLOS durch ein gesondertes
Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt in der Hohen See
existiert schon seit mehr als 10 Jahren. Mit der Rio+20-Konferenz
2012, der Verabschiedung der SDGs und Resolutionen der
UN-Generalversammlung 2015 und 2017 wurden Verhandlungen für ein neues
internationales, rechtlich bindendes Instruments zur Erhaltung der
biologischen Vielfalt der Meere in den Gebieten außerhalb nationaler
Gerichtsbarkeit (Biodiversity Beyond National Jurisdiction, BBNJ) in
die Wege geleitet. Die Verhandlungen greifen dabei auch bereits
bestehende, aber unverbindliche UN-Abkommen auf, wie die Aichi-Ziele
der Biodiversitätskonvention (CBD), die 2020 auslaufen und eigentlich
bis dahin mindestens 10 Prozent der Meeresfläche zu Schutzgebieten
erklärt haben wollen.
Im September 2018 begann die erste zwischenstaatliche Verhandlungsrunde des BBNJ-Abkommens. Bis 2020 soll es voraussichtlich fertiggestellt werden und 4 Elemente beinhalten: 1. den Zugang zu genetischen Ressourcen einschließlich Vorteilsausgleich (sprich eine gerechte Beteiligung an ihrem Nutzen); 2. gebietsbezogene Maßnahmen einschließlich Meeresschutzgebieten; 3. Umweltverträglichkeitsprüfungen, und 4. den Aufbau von Kapazitäten und Transfer von Meerestechnologie.
Wie eine Paris-Erklärung für die Meere
Viele zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Organisationen
setzen große Hoffnungen in das Abkommen. Bereits jetzt wird seine
Relevanz für die Meeresumwelt mit der Paris-Erklärung für das Klima
verglichen - jedoch mit einem signifikanten Unterschied. Da es sich
bei UNCLOS um ein völkerrechtlich bindendes Abkommen handelt, wird
eine Ergänzung von UNCLOS ebenfalls rechtlich bindend sein. Inwiefern
ein starkes Abkommen im derzeitigen multilateralen Klima verhandelbar
ist, muss sich allerdings zeigen. Russland und die USA, 2 im
Multilateralismus und der internationalen Meerespolitik sehr relevante
Akteure, haben bereits angekündigt, dass sie das Abkommen nicht
unterstützen, aber auch keinen Widerstand dagegen leisten werden. Da
die USA UNCLOS nicht ratifiziert haben, ist unklar, was das genau
bedeuten wird.
So oder so werden die Verhandlungen nicht einfach werden. Meinungen von Staaten bezüglich der Schärfe von Schutzkriterien gehen sehr weit auseinander. Denn ein solches Abkommen wird massiv auf Nutzungsinteressen in der Hohen See stoßen. Dies gilt insbesondere für Bereiche wie Fischfang und Schifffahrt.
Obwohl zahlreiche große Fischfangnationen der Welt, darunter Island, Japan und Südkorea, ihre Unterstützung für das Abkommen signalisiert haben, sind diese natürlich wenig an einer weiteren Einschränkung von Fischgründen interessiert. Genauso werden Staaten - und Industrie - wenig Begeisterung für eine Begrenzung globaler Handelsrouten der gut 40.000 Containerschiffe auf den Weltmeeren zeigen. Auch zeichnet sich ab, dass die Nutzung und Verteilung des Gewinns aus genetischen Ressourcen ein heißes Verhandlungsthema sein wird. Während die G77 einen gerechten Verteilungsmechanismus fordern, wollen andere das Thema eher nicht antasten, auch in Erinnerung an die schweren Verhandlungen bei der CBD zu diesem Thema. Und schließlich spielen Bemühungen, das Walfangverbot zu lockern und weitere Zufluchtsstätten für Wale zu verhindern, wie es zuletzt im September erneut von Japan durch eine Resolution bei der Internationalen Walkommission versucht wurde, in die Verhandlungen mit hinein.
Wettrennen mit den Verhandlungen zu Tiefseebergbau
Besondere Brisanz wird der Zusammenhang zwischen den Verhandlungen der
Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) zu Tiefseebergbau haben.
Staaten, die Tiefseebergbau befürworten und vorantreiben, werden wohl
kaum an einer Beeinflussung der ISA-Verhandlungen interessiert sein,
insbesondere im Hinblick dessen, dass die abzubauenden mineralischen
Ressourcen in der Hohen See oft in den Gebieten mit besonders hoher
Artenvielfalt liegen. Genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Denn mit Tiefseebergbau wird die Biodiversität der Meere
unwiderruflich geschädigt werden, mit einem BBNJ-Schutzabkommen
Tiefseebergbau deutlich eingeschränkt. Die Verhandlungen bei der ISA
und zum BBNJ widersprechen sich im Kern also grundlegend - und das
obwohl es klare Überschneidungen bei den verhandelnden Staaten gibt.
Es ist somit ein gewisser Verhandlungswettbewerb entstanden, welches
Abkommen das andere einschränken wird - zumal beiden
Verhandlungsprozessen 2020 als gewünschtes Verabschiedungsdatum
vorliegt, was natürlich kein Zufall ist. Sollten erste
Testbergbauversuche neben mineralischen Vorkommen auch genetisch
wertvolle - weil beispielsweise in der Pharmazie verwertbare -
Ressourcen auf den Erzen finden, wird es noch komplizierter werden.
Denn das spielt in die BBNJ-Verhandlungen hinein und wird weitere
IndustrieakteurInnen auf den Plan rufen.
Deutschland will ein starkes Abkommen, verhandelt aber auch für
Tiefseebergbau
Deutschland positioniert sich in der Verhandlung klar für die
Einrichtung eines starken Abkommens. Inwiefern sich aber hier die
grundlegende Befürwortung eines solchen Abkommens in den jeweiligen
Verhandlungsdetails wiederfinden wird, wird sich zeigen. Denn zum
einen spricht die Bundesregierung in den meisten UN-Verhandlungen
nicht alleine, sondern die Europäische Union (EU) bezieht gemeinsam
Position. Insbesondere die Interessen von europäischen
Fischfangnationen werden die Stimme der EU beeinflussen. Darüber
hinaus verfolgt die EU mit ihrer Blue Economy-Strategie die
Erschließung der Meere für die wirtschaftliche Nutzung.
Darüber hinaus ist Deutschland ebenfalls an den Verhandlungen in der ISA über ein Regelwerk zum Tiefseebergbau beteiligt. Hier spricht die Bundesregierung zwar immer wieder davon, dass möglichst hohe Umweltstandards die zentrale Verhandlungsposition seien. Ob dies wirklich einhaltbar ist, wie sich diese genau ausgestalten und was im Falle eines schwachen Verhandlungsergebnisses geschieht, ist allerdings offen.
Eine spannende Zeit für die internationale Meerespolitik ist angebrochen, bei der es aber auch um verdammt viel geht.
Autorin Marie-Luise Abshagen ist Referentin für
nachhaltige Entwicklung beim Forum Umwelt und Entwicklung.
1. Pelagos Sanctuary im Mittelmeer, South Orkneys Marine Protected Area im Südpolarmeer, Netzwerk von Meeresschutzgebieten in der Hohen See: Charlie-Gibbs South MPA (146.030 Quadratkilometer), Milne Seamount Complex MPA (20.900 Quadratkilometer), Mid-Atlantic Ridge north of the Azores High Seas MPA (93.570 Quadratkilometer), Altair Seamount High Seas MPA (4.380 Quadratkilometer), Antialtair High Seas MPA (2.800 Quadratkilometer), Josephine Seamount Complex High Seas MPA (19.360 Quadratkilometer), Charlie-Gibbs North High Seas MPA (177.000 Quadratkilometer).
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz
für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten
der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
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Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 26 - 27
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2019
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