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WALD/125: Warum REDD+ kein Fall für den Markt ist (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013
Markt oder Staat - Wer gibt den Ton an?

Warum REDD+ kein Fall für den Markt ist

von Friedrich Wulf



Der zur Zeit verhandelte Mechanismus REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation - »Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung«) fußt auf der Idee, finanzielle Anreize für Entwicklungsländer zu schaffen, den in ihren Wäldern gebundenen Kohlenstoff in der organischen Materie zu erhalten. Das Thema REDD+ ist seit 2008 ein wichtiges Thema der AG Biodiversität - und natürlich bei den Klimaverhandlungen der UNFCCC. 2005 wurde die Idee von Costa Rica und Papua-Neuguinea in den Klimaprozess eingebracht und bereits 2007 auf der Klimakonferenz in Bali in das Arbeitsprogramm aufgenommen, das 2009 zu einem neuen Klimavertrag führen sollte - den sogenannten »Bali Action Plan«.


Anfang 2009 hat das Forum Umwelt und Entwicklung eine zweitägige Tagung in Bonn durchgeführt und ein erstes Positionspapier erarbeitet, in dem bereits die meisten wichtigen Punkte angesprochen wurden(1):

Anwendungsbereich: REDD+ sollte weder Aufforstungsmaßnahmen noch Plantagen fördern, weil diese keinen Beitrag zur Biodiversität leisten;

Zusätzlichkeit zu Einsparungen von Industrieemissionen: REDD+ sollte keine Kompensationsmaßnahme darstellen, mit denen sich die Industrieländer von ihren Einsparungsverpflichtungen im Rahmen des Kyoto-Protokolls freikaufen können. Deswegen sollte es keine Zertifikate geben, die frei mit den Zertifikaten für fossile Emissionen handelbar sind.

Standards für Biodiversität und Soziales: es muss sichergestellt sein, dass REDD+ nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der Biodiversität dient und die Rechte der Bevölkerung achtet.

Leakage: es muss sichergestellt sein, dass anstelle des erhaltenen, angerechneten Waldes nicht anderswo gerodet wird.

Inzwischen hat sich REDD+ weiter entwickelt. In Cancún (2010) wurde der Mechanismus erstmals beschlossen, wenn auch noch mit Lücken (Entscheidung 1/CP.16, S. 2 f.).(2) Leider ist darin das Spektrum von möglichen Aktivitäten sehr (zu!) umfassend, vom Erhalt von Urwäldern bis hin zu Aufforstungsmaßnahmen, über deren Qualität (Monokulturplantagen) nichts ausgesagt wird. Andererseits (erfreulicherweise) muss laut Cancún-Beschluss die UN-Deklaration über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIPs) berücksichtigt werden und dank dem deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dürfen keine in Plantagen umgewandelten Urwälder angerechnet werden. Die Bedeutung dieser Punkte hat das Forum Umwelt und Entwicklung bei seiner zweiten REDD+-Tagung am 31. Mai 2011 und in dem daraus entwickelten Papier noch einmal bekräftigt.(3)

Seither ging es bei den Verhandlungen um die Überprüfung der REDD+-Umsetzung (Measurement, Reporting and Verification - MRV - aber nur in Bezug auf den gebundenen Kohlenstoff). Auf Ebene der NGOs hat sich eine Gruppe gebildet, die sich speziell um die Überwachung von safeguards beziehungsweise um safeguard information systems (SIS) kümmert. Dazu soll nun auf der 19. Vertragsstaatenkonferenz (COP 19) in Warschau dieses Jahr eine Entscheidung gefällt werden, ebenso wie eine Entscheidung zur Finanzierung. Das bietet nochmals die Möglichkeit, sich für Finanzierungsmechanismen stark zu machen, die den Kriterien des Forums entsprechen. REDD+ bedarf einer adäquaten, zusätzlichen, transparenten, langfristig angelegten und vorhersehbaren Finanzierung zur Unterstützung der teilnehmenden Entwicklungsländer. REDD+-Finanzierung sollte langfristig an Erfolgskriterien geknüpft erfolgen (»performance based«). Und natürlich an die Einhaltung der noch zu konkretisierenden Sozial- und Biodiversitätsstandards. Wie wichtig dies ist, zeigen die zahlreichen gescheiterten REDD-Projekte der Vergangenheit: sei es die Erhaltung des Mau-Waldes in Kenia, aus dem die einheimische Bevölkerung ohne rechtliche Grundlage vertrieben wurde,(4) sei es das Kalimantan Forests and Climate Partnership (KFCP),(5) wo ebenfalls die Rechte der Bevölkerung missachtet werden und der Erfolg durch die fortschreitende Rodung in anderen Teilen Indonesiens (Leakage-Effekt) in Frage gestellt wird oder - ganz aktuell - der Fall Panama, wo die Indigenen aus dem von UN-REDD initiierten Vorbereitungsprozess zu REDD+ im Januar wieder ausgestiegen sind,(6) weil sie nicht angemessen beteiligt wurden und teilweise geschmiert werden sollten. Ein wichtiges Hindernis zur angemessenen Beteiligung sind oft ungeklärte beziehungsweise nicht offiziell festgehaltene Landnutzungs- oder Besitzrechte der Indigenen, die eine angemessene Einbindung und eine Teilhabe an den REDD+-Geldern verhindern.

Natürlich ist all dies nicht das REDD+, das von der UNFCCC angestrebt wird, sondern es sind Pilotprojekte beziehungsweise Parallelprozesse, die quasi als "Testballons" für REDD fungieren. Sie zeigen aber, welche Schwierigkeiten bei REDD+ auftreten können. Ihr Eintreten ist umso wahrscheinlicher, wenn Geld nicht an die Leute vor Ort fließt, sondern an nationale Autoritäten, die sich dann über deren Rechte hinwegsetzen, um sich die Gelder zu sichern. Dazu braucht es Kontrollen, leistungsabhängige Zahlungen und dazu wiederum eine unabhängige Kontrollinstanz. Diese ist bei einem Fonds, der entsprechend verwaltet wird, leichter einzurichten als bei Zertifikaten, die frei auf dem Markt gehandelt werden können. Durch einen freien Markt wird die Beziehung zwischen dem (nicht gerodeten) Wald und den Zertifikaten gelockert, es kann zu Spekulationen kommen und letztlich zu einem Prozess der Finanzialisierung,(7) bei dem das Geschehen vor Ort nichts mehr mit dem zu tun hat, was mit den Zertifikaten geschieht. In der Folge ist es unwichtig, ob Biodiversitäts- oder Sozialstandards eingehalten werden. Durch die mangelnde Bindung der Marktzertifikate zum Geschehen vor Ort wird auch die Möglichkeit erhöht, dass es statt realen Einsparungen nur zu einer räumlichen Verschiebung des Rodungsgeschehens kommt (Leakage). Dieses und weitere Probleme des Zertifikatehandels ("Offsetting") hat Friends of the Earth (UK) in einem Bericht bereits 2009 deutlich gemacht.(8) Letztlich können die Umwandlung von Waldfunktionen in eine Handelsware und die Finanzialisierung zu erheblichen Preisschwankungen führen, wie es uns 2008 das Beispiel Lehman Brothers gezeigt hat. Ein Fonds kann viel eher eine langfristig angelegte und vorhersehbare Finanzierung erbringen, wie von uns gefordert.

Gegen die Rolle von Zertifikaten beziehungsweise des Marktes sprechen vor allem auch die folgenden Punkte:

  • Der Zertifikatehandel setzt einen Bedarf voraus. Dieser besteht im Wesentlichen in den Industrieländern, die ihre industriellen Emissionen billig kompensieren wollen. Genau das aber widerspricht unserer Forderung nach Zusätzlichkeit. Ohne diese Option gibt es aber nicht genügend Interesse, um das nötige Kapital aufzubringen. Dies zeigt sich bereits jetzt, da nur die EU ihren Emissionshandel weiter fortsetzt.
  • Nicht alle Länder haben gleichen Zugang zu den Märkten, so dass ein Ungleichgewicht entstehen wird.
  • Es lässt sich schlecht steuern, was mit den Geldern geschieht. Somit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Biodiversitäts- und Sozialstandards ignoriert werden und Monokulturen statt Wälder gefördert werden.

Lösungsansätze existieren. Die Einrichtung eines globalen Fonds, der eine ergebnisorientierte Politik und Kontrollen sowie eine langfristige und verlässliche Finanzierung ermöglicht, ist möglich, wenn alle zustimmen. Der Fonds könnte aus einer ohnehin nötigen Besteuerung von Kerosin und Schiffstreibstoffen oder über eine globale CO2-Abgabe gespeist werden, wie sie die Schweiz bereits vor Jahren vorgeschlagen hat.(9) Dies würde nicht nur die nötige Finanzierung bereit stellen, es würde auch Anreize liefern, den CO2-Ausstoß zu senken, und es würde jene Industriestaaten am meisten belasten, die am meisten Klimagase ausstoßen und zur Klimaerwärmung beitragen.

Mit gutem Willen und Kompromissbereitschaft sind diese Probleme möglicherweise irgendwann lösbar. Neben der Korruption gibt es aber noch ein offensichtliches Problem, über das aber bisher noch keiner spricht, weil es den ganzen Mechanismus endgültig killen könnte, den »Elephant in the room«: die Frage der Baseline, der Referenzwerte für die Entwaldungsrate. Noch immer gibt es keine allgemeingültigen Vorgaben, wie die Referenzwerte ermittelt werden sollen, gegenüber denen der Fortschritt beim Rückgang der Entwaldung ermittelt werden soll. Länder mit einer historisch hohen Entwaldungsrate würden nach dem gängigen Modell belohnt, auch wenn sich ihre Waldfläche weiter - nur eben langsamer - verringert, wohingegen Länder mit einer bisher geringen Entwaldung leer ausgehen könnten, da sich ja dann auch ihre Entwaldungsrate nicht verbessern kann. Es bleibt also spannend - und man sollte sich vielleicht doch überlegen, ob nicht eventuell doch ganz andere Ansätze bessere Resultate bei der Erhaltung der Wälder liefern können.


Autor Friedrich Wulf ist Projektleiter Politik und Internationales bei Pro Natura und Koordinator der AG Biologische Vielfalt des Forums Umwelt und Entwicklung.


Anmerkungen

(1) Klimawandel begrenzen - Biodiversität erhalten: Positionspapier zum REDD-Mechanismus - http://www.forumue.de/publikationen/positionspapiere/positionspapier/klimawandel-begrenzenbiodiversitaet-erhalten-positionspapier-zum-redd-mechanismus/.

(2) Vgl. http://unfccc.int/resource/docs/2010/cop16/eng/07a01.pdf#page=2.

(3) Vgl. Klimawandel begrenzen - Biodiversität fördern - Menschenrechte schützen - Finanzierung gewährleisten
http://www.forumue.de/fileadmin/userupload/positionspapiere/FUE_REDD_09112011_web2.pdf.

(4) Vgl. http://www.redd-monitor.org/2009/11/19/ogiek-threatened-witheviction-from-mau-forest-kenya/

(5) Vgl. http://www.foei.org/en/resources/publications/pdfs/2011/in-the-reddaustralias-carbon-offset-project-in-centralkalimantan.

(6) Vgl. http://www.redd-monitor.org/2013/03/06/coonapip-panamasindigenous-peoples-coordinating-bodywithdraws-from-un-redd/#statement.

(7) Unter »Finanzialisierung« wird ein verzerrtes institutionelles Arrangement verstanden, das auf »künstliche« Weise finanziellen Reichtum schafft, d. h. ohne mit realwirtschaftlichen Produktionsprozessen verbunden zu sein - s.
http://de.wikipedia.org/wiki/Finanzialisierung#Finanzialisierung.

(8) Vgl. Friends of the Earth (2009): A dangerous distraction. Why offsetting is failing the climate and people: the evidences.
http://www.foe.co.uk/resource/briefing_notes/dangerous_distraction.pdf.

(9) http://unfccc.int/files/kyoto_protocol/application/pdf/switzerlandfinancebap091008.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013, S. 12-13
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2013