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WALD/153: Die letzten Urwälder schwinden - Und zwar nicht nur in den armen Ländern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2014

Umwelt:
Die letzten Urwälder schwinden - Und zwar nicht nur in den armen Ländern

von Stephen Leahy


Bild: © Crustmania/CC by 2.0

Kanada verzeichnet weltweit den größten Waldschwund
Bild: © Crustmania/CC by 2.0

Uxbridge, Kanada, 9. September (IPS) - Die letzten natürlichen Wälder der Erde gehen rapide zurück. Dabei beschränkt sich der Verlust nicht nur auf Länder wie Brasilien und Indonesien. Die Auswertung neuer Satellitenaufnahmen hat ergeben, dass in Kanada seit 2004 mehr als 104 Millionen Hektar Wald verschwunden sind oder stark geschädigt wurden. Das entspricht einer Fläche, die drei Mal so groß ist wie Deutschland.

"Alle vier Sekunden verschwindet ein Waldgebiet von der Größe eines Fußballfeldes", berichtet Christoph Thies von 'Greenpeace International'. Diese Entwicklung ist deutlich auf Satellitenfotos zu erkennen, die zwischen 2000 und 2013 entstanden sind. "Das ist absolut beängstigend und hat globale Auswirkungen", erklärt Thies. Denn Wälder haben eine wichtige Funktion bei der Regulierung des Klimas.


CO2-Senken zu CO2-Schleudern

Die Entwaldung setze derzeit mehr CO2 frei als alle PKW, Laster, Schiffe und Flugzeuge der Welt zusammengenommen, sagt der Experte. Die Regierungen der Staatengemeinschaft fordert er zum unverzüglichen Handeln auf, um die restlichen, noch intakten Wälder durch die Einrichtung neuer Schutzgebiete zu retten. Zudem müssten die Rechte der in den Wäldern lebenden Menschen viel stärker respektiert werden, so Thies. Es gelte Holz- und Möbelfabrikanten davon zu überzeugen, keine Ressourcen aus Urwäldern zu verwenden.

Greenpeace ist Partner der Initiative 'Intakte Waldlandschaften', die unter anderem auch von der Universität Maryland, dem 'World Resources Institute' und 'WWF Russland' unterstützt wird. Mit Hilfe von Satellitenbildern wird festgestellt, wo die letzten natürlichen Wälder liegen und wie groß sie sind. Laut der neuen Studie liegt etwa die Hälfte der Waldflächen, die durch Abholzung oder Schädigung der Bäume verloren gehen, in Kanada, Russland und Brasilien. In diesen drei Ländern sind demnach 65 Prozent der auf der Welt verbliebenen natürlichen Wälder zu finden.

Auch wenn sich die Medien vorwiegend auf den Raubbau an den Wäldern des brasilianischen Amazonasgebietes und Indonesiens konzentrieren, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Kanada seit 2000 mit 21 Prozent den globalen Rekord bei der Entwaldung hält. Indonesien trägt hingegen lediglich vier Prozent bei.

Die Erschließung von Ölsand- und Schiefergasvorkommen sowie Holzschlag und Straßenbau seien die Hauptursachen für den Verlust der Wälder in Kanada, sagt Peter Lee von der kanadischen Organisation 'Global Forest Watch'. Hinzu kommt die Zunahme von Waldbränden. Durch den Klimawandel ist es im Norden Kanadas rasch wärmer geworden. Dadurch trocknen boreale Nadelwälder und Sümpfe aus und sind weniger vor Feuern geschützt als früher.

In der kanadischen Ölsandregion Alberta verlaufen durch mehr als 12,5 Millionen Hektar Wald kreuz und quer Straßen, Pipelines und Stromleitungen, wie Lee berichtet. Es wird erwartet, dass die Erschließung der Ölsand- und Schiefergasvorkommen in Kanada binnen der kommenden zehn Jahre um das Doppelte oder sogar das Dreifache zunehmen wird. Seitens der Bundes- und Provinzbehörden bestehe wenig Interesse daran, die intakte Waldlandschaft zu erhalten, so Lee.

Nigel Sizer, globaler Leiter des Waldprogramms am 'World Resources Institute', weist darauf hin, dass die letzten ursprünglichen Wälder die meisten wild lebenden Tier- und Pflanzenarten beherbergen. Sibirische Tiger, Orang-Utans und Wald-Karibus benötigten ausgedehnte Waldflächen, um überleben zu können. "Wenn diese wichtigen Spezies aussterben, werden die gesamten Ökosysteme der Wälder in einem kaum zu kalkulierbaren Ausmaß dezimiert."

Die Regenerierung von Wäldern kann viele Jahrzehnte und in nördlichen Regionen sogar mehr als 100 Jahre in Anspruch nehmen. Wenn Arten aussterben oder nur noch wenige Exemplare übrig sind, kann es noch länger dauern, bis die Ökosysteme wieder hergestellt sind. Manchmal erholen sie sich auch gar nicht mehr.

Pflanzen und alle Lebewesen, die ein gesundes Waldökosystem ausmachen, leisten den Menschen lebenswichtige Dienste. So wird in Wäldern Wasser gespeichert und gereinigt, die Luft gesäubert sowie CO2 aufgenommen und Sauerstoff freigesetzt. Außerdem liefern sie Nahrung und Holz. Diese kostenlosen Dienstleistungen sind durch nichts zu ersetzen, wie Sizer betont. Normalerweise sind sie viel mehr wert als das gefällte Holz oder die Erträge durch Viehzucht auf Weiden in ehemaligen Waldgebieten.


Wälder zu Sojaplantagen

Laut der Studie sind in nur 13 Jahren in dem südamerikanischen Staat Paraguay 78 Prozent der natürlichen Wälder in Sojaplantagen und Weiden verwandelt worden. Auf der Website von 'Global Forest Watch' sind Satellitenfotos und Landkarten zu sehen, die den fortschreitenden Waldschwund in Paraguay dokumentieren. Die Bilder und Daten sind über verschiedene Tools auf der Website zugänglich.

Sie verdeutlichen ferner, dass etwa 25 Prozent der größten Wälder Europas 900 Kilometer nördlich von Moskau durch industrielle Abholzung vernichtet wurden. Der zweitgrößte tropische Regenwald der Erde im Kongo hat 17 Prozent seines Baumbestands durch Holzschlag, Bergbau und Straßenbau eingebüßt. Auf der Website von Global Forest Watch sind im Detail große Teile des kongolesischen Regenwaldes zu sehen, wo künftig Holz geschlagen werden darf.

Die Entwaldung beginne mit dem Straßenbau, der oftmals mit der Holz- und Bergbauindustrie zusammenhänge, sagt Thies. In Ländern wie Brasilien und Paraguay sei der Grund hauptsächlich die Umwandlung der Gebiete in riesige Agrarflächen, auf denen zumeist Exportgüter produziert würden.

Die neuen Daten könnten Firmen, die eine nachhaltige Bewirtschaftung zugesichert haben, dabei helfen, bei der Produktion von Nutzholz, Palmöl, Fleisch und Sojabohnen bestimmte Gebiete zu meiden. Thies hält Anstrengungen seitens der Privatwirtschaft für unverzichtbar, da sich die Regierungen kaum für den Schutz der Waldgebiete einsetzten. Thies zufolge muss das freiwillige Zertifizierungsprogramm 'Forest Stewardship Council' (FSC), das Standards für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung setzt, eine wichtigere Rolle bei der Verbesserung des Waldschutzes spielen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/09/worlds-last-remaining-forest-wilderness-at-risk/

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IPS-Tagesdienst vom 9. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2014