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WIRTSCHAFT/114: Faule Kompromisse in der WTO - keine gerechten Lösungen für alle erreicht (FUE)


Forum Umwelt & Entwicklung - Pressemitteilung vom 17. Juni 2022

Faule Kompromisse in der WTO - keine gerechten Lösungen für alle erreicht

Entwicklungsländer die großen Verlierer bei Covid-19, Fischerei, E-Commerce und Landwirtschaft


Genf, 17.06.22: Nach mehreren Verlängerungen ging heute in den Morgenstunden die 12. Ministerkonferenz (MC12) der Welthandelsorganisation (WTO) zu Ende ohne, dass ein umfassender Lösungsweg für globale Gesundheit in Form des so genannten umfassenden TRIPS Waivers für Impfungen, Medikamente und Diagnostika, bereitet wurde. Auch in Sachen Welternährung wurde nicht viel erreicht, denn selbst die Erklärung zur Ernährungssicherheit erhält keine konkreten Vorschläge, wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsimporten werden. Das zwanzig Jahre alte E-Commerce Moratorium wurde erneut verlängert, es sichert den High-Tech Giganten weiterhin Zollfreiheit für ihre Dienstleistungen. Auch bei den Entscheidungen zum Abbau der Fischereisubventionen wurden die Interessen der Entwicklungsländer nicht angemessen berücksichtigt. Die schwachen Ergebnisse der WTO-Ministerkonferenz zeigen erneut, dass die WTO-Mitglieder nicht in der Lage sind, die Regeln für den globalen Handel gerecht zu gestalten.

"Alle strittigen Themen wie Landwirtschaft, Fischerei, E-Commerce und TRIPS haben Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Aber Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht auf", kritisiert Jürgen Knirsch, Handelsexperte von Greenpeace Deutschland. "Wenn die WTO noch nicht einmal in der Lage ist, ihr Kerngeschäft zu managen, wie will sie dann bei Themen wie Umweltschutz, Menschenrechten und Kernarbeitsnormen vorankommen?", fragt Jürgen Knirsch.

"Vor allem für den Bereich globale Gesundheit in Zeiten einer Pandemie ist das Ergebnis besonders ernüchternd", so Nelly Grotefendt, Referentin für Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung. "Ich hatte sehr gehofft, dass die Länder sich zu einem Präzedenzfall durchringen können, der weitreichend ist. Bei der nächsten Pandemie werden wir immer noch den gleichen Prozess durchlaufen müssen, und das wird viel Zeit kosten. Daher hätten wir jetzt die notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen, damit wir im Falle einer weiteren Pandemie mehr Leben retten können. Außerdem werden Medikamente und Diagnostika eine wichtige Rolle bei den nächsten Wellen dieser Pandemie spielen - besonders im Globalen Süden."

"Im Mittelpunkt der Erklärung zur Ernährungssicherheit steht wieder mal der altbekannte Aufruf zur Vermeidung von Exportrestriktionen", so Francisco Mari, Agrarhandelsexperte von Brot für die Welt. "Dies ist stetige Ruf der großen Agrarexporteure, wie EU und USA Märkte offen zu halten. Nur kurz wird erwähnt, dass es für Regierungen auch Sinn machen könnte zu verhindern, dass Nahrung von Händlern exportiert wird, um auf dem Weltmarkt große Gewinne zu machen", so Mari weiter. Indien wurde deswegen schon vor Wochen heftig kritisiert. Kein Wunder also, dass Indien auch diesmal wieder keine feste Regeländerung erreichte, damit alle Entwicklungsländer Programme auflegen können, die Kleinbauer*innen zu Festpreisen ihre Produkte aufkaufen und dann in öffentlichen Armutsprogrammen der bedürftigen Bevölkerung zur Verfügung stellen. Auch alle anderen seit Jahren erhobenen Forderungen der Entwicklungsländer endlich die eigenen Ernährungssysteme handelspolitisch besser durch wirksamen Marktschutz vor Krisen zu schützen, wie sie jetzt die russische Aggression und hohe Energiepreise verursachen. Immerhin werden die Staaten aufgefordert das Welternährungsprogramm zu unterstützen. Gänzlich unerwähnt bleibt ein Aufruf zur Zusammenarbeit mit der Welternährungsorganisation (FAO) und dem Welternährungsrat (CFS). Dies zeigt wie wenig die WTO, Menschenrechte, wie das Recht auf Nahrung zur Grundlage ihrer Entscheidungen macht.

Die WTO hat, um die 12. Ministerkonferenz zu einem Abschluss zu bringen eine Reihe an faulen Kompromissen geschlossen. Daher zieht Jürgen Knirsch das Fazit: "Wir brauchen eine andere multilaterale Struktur für die anstehenden Aufgaben im Handelsbereich."

Die 13. Ministerkonferenz soll in 9 Monaten stattfinden. Als Konsequenz aus der 11. und 12. Ministerkonferenz sollte vor allem die zivilgesellschaftliche Beteiligung wieder gestärkt werden und im Sinne des Multilateralismus dem Trend der Einzelverhandlungen gegengesteuert werden.

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Die Welternährung ist nicht verhandelbar - Die 12. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation tagt in Genf

Pressemitteilung - Genf, 13.06.2022

Die 12. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation tagt seit Sonntag dem 12.06 in Genf. Auf der Agenda stehen unter anderem die Ausnahmeregelung für den Patentschutz für Impfstoffe für die Covid-19 Bekämpfung, ein Abkommen zu Fischerei-Subventionen, die Verlängerung von Steuerfreiheit für Streamingplattformen und neue Regelungen im Agrar- und Dienstleistungssektor. Außerdem drängen die Industrieländer auf eine vermeintliche Reform der WTO, die ihre Interessen vertiefen soll.

Neu auf die Tagesordnung findet sich die durch die russische Aggression mit heraufbeschworene weltweite Ernährungskrise. In einer eigenen Erklärung wollen sich die WTO-Mitglieder zu Lösungsvorschlägen verpflichten. Wie schon die G7 Agrarminister wird gebetsmühlenhaft nur ein Vorschlag mit langer Tradition entstaubt: Der Freihandel wird das Problem lösen, Exportrestriktionen für Nahrungsmitteln vertiefen den globalen Hunger. Und wenn der 'freie Handel' es nicht schafft akute Hungersituationen zu bekämpfen, dann soll die Ernährungshilfe des Welternährungsprogramms schnell Abhilfe bringen. In einer weiteren Erklärung werden die WTO-Mitgliedsstaaten aufgefordert das World Food Programme (WFP) zu unterstützen und keine Lieferrestriktionen für den Aufkauf gegen das WFP zu erlassen.

Doch die meisten Exportbeschränkungen, wie sie Indien nun erlassen hat, werden zum Schutz eines Ausverkaufs ihrer Agrarprodukte erlassen, die bei diesen hohen Preisen von den Händlern lieber exportiert werden als sie der bedürftigen Bevölkerung anzubieten.

"Es ist richtig zu fordern, dass die Ukraine ihre Weizenernte auf den Weltmarkt bringen darf und Russland Hunger nicht als Waffe einsetzt, auch nicht mit Erpressungen über ihre eigenen hohen Weizenexporte", sagt Ernährungsexperte Francisco Marí. "Es darf nicht mit dem Hunger der Welt gespielt werden, jegliche Nothilfe muss zugelassen werden."

Aber wie auch die G7, schweigt das WTO-Abschlussdokument darüber, wann die WTO Entwicklungsländern endlich besondere Schutzmaßnahmen erlauben will, um ihre Agrarmärkte vor Billigimporten aus Industrieländern zu schützen. "In dieser Krise merkt man wieder einmal, wie wichtig es wäre die Importabhängigkeit von Nahrungsimporten zu reduzieren. Das wird nur durch eine massive Förderung lokaler und regionaler Nahrungsproduktion geschehen." So Marí weiter. Kurz vor den globalen Weizenernten verpasst es die EU sich und andere Weizenproduzenten, wie die USA und Kanada in der WTO-Abschlusserklärung selbst zu verpflichten, im Falle, dass Russland auch eine Mengenkrise provoziert, eigene Weizenreserven auf den Markt zu bringen. Würden von den neuen Getreideernten weniger für Fleisch und Agrotreibstoffe verwendet werden, könnte Weizen eingelagert werden. Diesen könnte man dann bedürftigen Staaten zur Verfügung stellen. Auch das würde Putin und den Weizenspekulanten die Hoffnung auf eine weitere Vertiefung der Krise vermiesen und eine Dämpfung der Nahrungsmittelpreise wäre überall willkommen.



weitere Informationen

WTO-Blog und Videoblog:
https://www.forumue.de/themen/handel/wto-blog/
https://youtube.com/playlist?list=PL5bEtHu6v0ojADAB9XiPDkydb0j8A1Hwl

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Quelle:
Pressemitteilungen, 13. und 17.06.2022
Herausgeber: Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 17 75 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. Juni 2022

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