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WASSER/025: Brasilien - Wasser durch Agrarchemikalien verseucht, Schäden für Mensch und Umwelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Juli 2011

Brasilien: Wasser durch Agrarchemikalien verseucht - Schäden für Mensch und Umwelt

Von Mario Osava


Cuiabá, Brasilien, 26. Juli (IPS) - Trinkwasser in Brasilien kann Rückstände von 22 verschiedenen toxischen Agrarchemikalien, 13 Schwermetallen, ebenso vielen verschiedenen Lösungsmitteln und sechs Desinfektionsmitteln enthalten. Wie hoch die Konzentration sein darf, legt eine amtliche Skala fest. Aus wirtschaftlichen Gründen werden diese Regelungen allerdings auch missachtet. Die Kontrollen sind eher lasch.

Bis 1977 galt in dem größten südamerikanischen Land die Vorschrift, dass das für den menschlichen Konsum bestimmte Wasser höchstens Spuren von zwölf Agrarchemikalien und zehn Metallen aufweisen darf. 1990 und 2004 seien jedoch weitere chemische Substanzen zugelassen worden, kritisierte Wanderlei Pignati, Medizinprofessor an der Föderalen Universität von Mato Grosso.

Pignati zufolge wird das Wasser zwar auf Bakterien hin untersucht, nicht aber auf die zunehmende chemische Verunreinigung. Dafür würden teure High-Tech-Geräte benötigt, begründet der Wissenschaftler die Versäumnisse. Pignati gilt als Experte auf dem Gebiet der Forschung über den missbräuchlichen Einsatz giftiger Agrarchemikalien.


Spitzenreiter bei Einsatz toxischer Chemikalien

Seit drei Jahren hält Brasilien die Spitzenposition unter den weltweiten Konsumenten chemischer Pflanzenschutzmittel. Dabei produziert das Land etwa ein Drittel weniger Getreide als die USA. Als größter Produzent in der tropischen Landwirtschaft hat Brasilien, das im vergangenen Jahr Agrarerzeugnisse im Wert von rund 76,4 Milliarden US-Dollar ausführte, einen hohen Preis für seine wirtschaftlichen Erfolge gezahlt.

Experten führen den Aufschwung vor allem auf den massiven Gebrauch chemischer Düngemittel, Insektizide, Herbizide und Fungizide zurück. Für den Export wurden zudem ausgedehnte Monokulturen vor allem mit Soja angelegt, das traditionelle Ausfuhrerzeugnisse wie Kaffee und Zucker rasch in den Schatten stellte.

In dem Bundesstaat Mato Grosso im mittleren Westen zeigt sich dieser Wandel besonders deutlich. Die Region ist zum landesweit größten Anbaugebiet für Soja geworden. Dort wird auch die größte Menge an Agrarchemikalien verwendet. Pro Jahr sind dies etwa 150 Millionen Liter - das entspricht 50 Litern pro Einwohner. Pignati zufolge liegt der landesweite Durchschnitt bei 5,2 Litern.

In Mato Grosso ist der landwirtschaftliche Anbau ausgeweitet worden, nachdem große Waldflächen abgeholzt wurden. Zugleich nahm auch der Einsatz von Pestiziden zu. "Vor zehn Jahren nahm man pro Hektar Sojafeld acht Liter. Inzwischen sind es bereits zehn Liter", sagte Pignati. "Die Agrarchemikalien sind eine erlaubte Droge - wie Alkohol und Tabak."

Der brasilianische Staat fördere durch Steuerbegünstigungen den Einsatz toxischer Substanzen in der Landwirtschaft, kritisierte der Experte. Medikamente würden höher besteuert. Dies alles gehe zu Lasten der menschlichen Gesundheit.

Pignati engagiert sich in der unabhängigen Ständigen Kampagne gegen toxische Agrarchemikalien und für das Leben, die Anfang Juni in Mato Grosso gegründet wurde. Der Gruppe zufolge ist es sinnvoller, die Ursachen für Krankheiten zu bekämpfen, anstatt sich nur mit deren Behandlung zu befassen.


Kläranlagen völlig veraltet

Der Mediziner warnte auch vor einer zunehmenden Verschmutzung der Wasserquellen. In Mato Grosso entspringen zahlreiche Flüsse, die unter anderem in das Becken des Rio de la Plata fließen. Die Kläranlagen sind nach Angaben von Pignati etwa hundert Jahre alt und nicht im Stande, viele Chemikalien auszufiltern. Wer dieses Wasser trinkt, riskiert Durchfälle, neurologische Erkrankungen und sogar Krebs.

Im März 2006 ging über der Stadt Lucas do Rio Verde, in der rund 45.000 Menschen leben, ein 'toxischer Regen' nieder. Im Umkreis der Stadt im Norden von Mato Grosso liegen Felder, auf denen Soja, Mais und Baumwolle angebaut werden. Viele Menschen und Tiere erlitten damals Vergiftungen, Gärten wurden verseucht.

Zahlreiche Chemikalien, die in Brasilien verwendet werden, sind in Europa seit Jahren verboten. Ein Beispiel ist das Insektizid Endosulfan, das Missbildungen von Föten im Mutterleib sowie Nervenschäden und eine Schwächung des Immunsystems hervorruft. In Brasilien wird die Substanz erst ab 2013 verboten sein. In den nächsten Saatperioden werden davon noch jeweils 14 Millionen und acht Millionen Liter verwendet.

Laut einer von Pignati geleiteten Studie der Wissenschaftlerin Danielly Palma, die im März vorgestellt wurde, wurden bei Frauen Rückstände von Endosulfan und DDT in der Muttermilch festgestellt. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2011