Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

WASSER/151: Nicaragua - Interozeanischer Schifffahrtskanal gefährdet wichtigste Trinkwasserquelle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2013

Nicaragua: Interozeanischer Schifffahrtskanal gefährdet wichtigste Trinkwasserquelle

von José Adán Silva


Bild: © Oscar Navarrete/IPS

Auch der Fluss San Juan in Nicaragua könnte Teil des Kanals werden
Bild: © Oscar Navarrete/IPS

Managua, 27. August (IPS) - In Nicaragua hat ein neues Gesetz, das einem chinesischen Unternehmen die Konzession für den Bau und Betrieb eines Schifffahrtskanals vom Pazifik bis zum Atlantik überträgt, die Schutzbestimmungen für den Cocibolca-See und seine Zuflüsse ausgehebelt. Das auch als Nicaragua-See bekannte Gewässer ist das größte Frischwasserreservoir Zentralamerikas und nach dem venezolanischen Maracaibo-See das längste Binnengewässer Lateinamerikas.

Auf diese Zusammenhänge haben zwei lokale Nichtregierungsorganisationen hingewiesen: die Nicaraguanische Allianz zum Klimawandel (ANACC) und die Nationale Einheit für Risikomanagement (MNGR), die 20 Umweltgruppen des Landes vertreten.

Das Gesetz 840, von den Medien als 'großes interozeanisches Kanalgesetz' bezeichnet, war im Juni mit den Stimmen der Abgeordneten der linken Sandinistenpartei FSLN von Staatspräsident Daniel Ortega verabschiedet worden. Der Kanal, der auch durch den See verlaufen soll, wäre nach seiner Fertigstellung um das Vierfache länger als der Panama-Kanal.

Die Konzession für den Bau und den Betrieb des Kanals für die Dauer von 50 Jahren mit der Option auf eine ebenso lange Vertragsverlängerung hat das in Hongkong angesiedelte chinesische Unternehmen 'HK Nicaragua Canal Development Investment Co. Ltd.' (HKND Group) im Besitz des chinesischen Tycoons Wang Jing erhalten. Die Baukosten des Projekts werden auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Wie die MNGR berichtet, wurden mit den neuen rechtlichen Bestimmungen die Gesetze zum Schutz der landeseigenen Wasserquellen und -institutionen außer Kraft gesetzt, die im Rechtskompendium für die Trinkwasser- und Sanitärversorgung zusammengefasst sind. Das 2011 von der Nationalen Kommission für Trinkwasser, Sanitäres und Abwässer zusammengestellte Kompendium enthält 85 Gesetze, Dekrete, Gemeindeverordnungen, Verfassungsbestimmungen, internationale Abkommen und Verwaltungsvorschriften zum Schutz der einheimischen Gewässer.


Freibrief für den Investor

Doch das neue Kanalgesetz verpflichtet Nicaragua dazu, den Konzessionsinhabern "Zugang und Navigationsrechte über Flüsse, Seen, Meere und andere nicaraguanische Gewässer" zu ermöglichen, Darüber hinaus räumt es dem chinesischen Unternehmen das Recht ein, die Gewässer zu vergrößern, auszubaggern, umzuleiten und/oder zu verkleinern. Ferner hat sich der nicaraguanische Staat dazu verpflichtet, auf eine Klage gegen den Investor im Fall ökologischer Schäden während der Planung, der Bauarbeiten und des Betriebs des Kanals vor nationalen oder internationalen Gerichten zu verzichten.

Das Gesetz 840 hat zudem das im allgemeinen Gesetz über die nationalen Gewässer festgeschriebene Prinzip ausgehebelt, wonach der Schutz des Cocibolca-Sees als Trinkwasserreservoir im nationalen Interesse liegt.

Nicaragua habe HKND die Kontrolle über den See und dessen umliegende Gewässer übertragen. Dazu gehörten 16 Wassereinzugs- und 15 Schutzareale sowie 25 Prozent der Gebiete, in denen sich der Regenwald des Landes konzentriere, warnt David Quintana von der Nicaraguanischen Stiftung für nachhaltige Entwicklung.

Der Kanal soll durch Naturschutzgebiete verlaufen, in denen hunderte Pflanzen-, Vogel-, Säugetier-, Reptilien-, Amphibien-, Fisch- und Moluskenarten beheimatet sind. Laut dem Vizedirektor des Humboldtzentrums, Víctor Campos, wird der Kanal jede Chance unterbinden, den Cocibolca-See irgendwann einmal zur Trinkwasserquelle aller Zentralamerikaner zu machen. "Der Bau des Kanals und der Schutz des Wassers für den menschlichen Gebrauch schließen einander aus", erklärte er.

Der Kanal soll sich über eine Fläche von 270 Kilometer einschließlich der Strecke durch den Cocibolca-See ziehen und wird für Schiffe befahrbar sein, die für den Panama-Kanal zu groß sind.

Nach Aussagen des Biologen Salvador Montenegro, der das Forschungsinstitut für Wasserressourcen der Nationalen Autonomen Universität von Nicaragua leitet, werden bei den Bauarbeiten am See riesige Sedimentmengen anfallen, die das Wasser verschlammen und die meisten Lebensformen des Gewässers ersticken.

Der Bau des Kanals, der 520 Meter breit und 27,6 Meter tief werden soll, sei ökologisch gesehen das schlimmste vorstellbare Szenario für den See und die umliegenden Wassereinzugsgebiete, warnte Montenegro. "Schon ein kleines Ölleck, ein Erdbeben oder starke Winde können bereits ein ökologisches Desaster auslösen, das den See als Trinkwasserquelle für immer zerstören wird."


"Kein Kanal ist so viel wert wie dieser See"

Die gleiche Warnung kam von Jaime Incer Barquero, dem wissenschaftlichen Umweltberater von Präsident Ortega. "Es ist immer noch an der Zeit, einen solchen Fehler, der die größte Trinkwasserquelle des Landes und ganz Zentralamerikas zunichte machen würde, zu verhindern", sagte er. "Kein Kanal ist so viel wert wie dieser See."

Angesichts der Welle der Kritik, die den Regierungsplänen entgegenschlägt, hat Präsident Ortega erklärt, dass die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsstudie die Zukunft des Kanalprojekts und dessen Verlauf bestimmen werden. Doch die zuständigen Behörden haben auf die Bedenken nicht reagiert. Sie beschränken sich darauf, den wirtschaftlichen Nutzen eines solchen Kanals für Nicaragua herauszustreichen.

HKND-Sprecher Ronald MacLean erklärte in etlichen Mitteilungen, dass die britische Umweltberaterfirma 'Environmental Resources Management' eine professionelle Umweltverträglichkeitsstudie durchführen und dabei alle möglichen Routen für den Kanal in Betracht ziehen werde. "Es ist klar, dass wir uns mit der Umweltfrage befassen müssen. Wir werden die möglichen Auswirkungen des Projekts und die entsprechenden Gegenmaßnahmen in Betracht ziehen", schrieb er Anfang August in einer E-Mail, die von der PR-Firma des Unternehmens verbreitet wurde.

In der Zwischenzeit bereiten Umweltorganisationen, Unternehmer, Politiker der Opposition und indigene Gemeinschaften, die sich um ihr Land und den Zugang zu Wasser sorgen, eine Klage gegen das Kanalprojekt vor. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.fundenic.org.ni/
http://humboldt.org.ni/
http://www.cira-unan.edu.ni/
http://www.ipsnews.net/2013/08/nicaraguas-new-canal-threatens-biggest-source-of-water/
http://www.ipsnoticias.net/2013/08/nicaragua-se-juega-el-agua-dulce-por-canal-interoceanico/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2013