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MASSNAHMEN/035: Hans Joachim Schellnhuber über den Ernstfall für die Klimadiplomatie (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 3/2009

Jetzt kann es kein Verstecken mehr geben

Von Josef Zens


Hans Joachim Schellnhuber, Klimaberater der Bundesregierung und Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), über den Ernstfall für die Klimadiplomatie

Ein "Kohlenstoff-Kassensturz" des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) soll den Weg in eine nachhaltige Zukunft weisen. Im WBGU sitzen drei Leibniz-Forscher, so auch WBGU-Vorsitzender Hans Joachim Schellnhuber. Er erläutert die Brisanz des Papiers.


Josef Zens: Herr Professor Schellnhuber, im Dezember beginnt die 15. Weltklimakonferenz in Kopenhagen. Wie wichtig ist diese "Conference of the Parties"?

Prof. Dr. Schellnhuber: Die COP 15 ist der Ernstfall für die Klimadiplomatie. Es geht jetzt darum, die Weichen für die Beachtung der 2-Grad-Leitplanke zu stellen.

Josef Zens: Was meinen Sie mit 2-Grad-Leitplanke?

Prof. Dr. Schellnhuber: Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass die globale Mitteltemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau steigen sollte - andernfalls dürften die Folgen des Klimawandels unbeherrschbar werden.

Josef Zens: Das sagt die Wissenschaft seit längerer Zeit ...

Prof. Dr. Schellnhuber: ... und jetzt ist es in der Politik angekommen. Sogar die USA akzeptieren inzwischen die 2-Grad-Linie. Es gibt zwar keine politische Verpflichtungserklärung, aber zahlreiche Regierungen erkennen die Sicht der Wissenschaftler als überzeugende Einschätzung an - das ist gar nicht hoch genug zu bewerten!

Josef Zens: Wieso ist das so wichtig?

Prof. Dr. Schellnhuber: Es handelt sich gewissermaßen um einen "archimedischen Punkt", von dem aus man eine riesige Hebelwirkung entfalten kann: Wenn die 2-Grad-Marke als Ziel definiert wird, folgt alles andere mit logischer Präzision. Wir haben das im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) durchgerechnet und ein Gutachten dazu angefertigt. Unser Papier soll der Bundesregierung als Leitlinie für die Verhandlungen in Kopenhagen dienen.

Josef Zens: Was steht in dem Papier?

Prof. Dr. Schellnhuber: Wir führen einen "Kohlenstoff-Kassensturz" durch, der klar zeigt, was bis zum Jahr 2050 getan werden muss, um mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die 2-Grad-Linie zu halten. Diese Wahrscheinlichkeit kann die Politik vorgeben, der Rest ist Berechnung. Wenn wir etwas mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit die Leitplanke beachten wollen und historische Emissionen seit 1990 berücksichtigen, dann sind die USA schon jetzt mit ihrer Kohlenstoff-Bilanz in den Miesen.

Josef Zens: Sie müssten also CO2 vernichten oder einlagern, um den Saldo auszugleichen.

Prof. Dr. Schellnhuber: Genau. Oder sie kaufen sich Emissionsrechte. Das Gleiche gilt übrigens auch für Deutschland, allerdings in wesentlich milderer Form.

Josef Zens: Ist so ein Szenario realistisch?

Prof. Dr. Schellnhuber: Das ist nicht die Frage, denn es geht um Notwendigkeiten. Mit der Natur kann man nicht verhandeln.

Josef Zens: Es geht aber auch um politische Durchsetzbarkeit und Pragmatismus.

Prof. Dr. Schellnhuber: Deshalb haben wir ein weiteres Szenario berechnet, das die Emissionen von 2010 an begrenzt und mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit die 2-Grad-Linie hält. Als Wissenschaftler ist mir dabei durchaus unwohl, denn das sind schlechtere Chancen als beim Russischen Roulette, wo man immerhin mit fünf Sechsteln Wahrscheinlichkeit überlebt.

Josef Zens: Würden sich die Delegierten bei der COP 15 auf diese Berechnung einlassen, was müsste dann geschehen?

Prof. Dr. Schellnhuber: In den nächsten vierzig Jahren dürften weltweit jährlich nur circa 18 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden. Zum Vergleich: 2008 waren es laut Schätzungen bereits etwa 30 Milliarden Tonnen. Für Deutschland hieße das, den Ausstoß schon in den kommenden Jahren deutlich schneller zu reduzieren und bis zum Jahr 2030 auf Null zu senken. Schwellenländern wie Indien und China würden mittelfristig noch geringfügig ansteigende Emissionen zugestanden, die USA müssten innerhalb von zehn Jahren rechnerisch auf Null kommen.

Josef Zens: Wie soll das gehen?

Prof. Dr. Schellnhuber: Indem wir intensiven Emissionshandel zulassen. Das würde natürlich den Entwicklungs- und Schwellenländern zugutekommen.

Josef Zens: Inwiefern?

Prof. Dr. Schellnhuber: Unser Vorschlag versucht, elementare Gerechtigkeitsprinzipien anzuwenden. Dies heißt für uns, dass jeder Mensch auf der Erde von jetzt an den gleichen Anspruch auf ein bestimmtes Kohlenstoff-Budget hat. Der Rest ergibt sich mathematisch: Wenn wir ein Gesamtbudget von 750 Milliarden Tonnen CO2 nicht überziehen wollen, dann müssen die, welche jetzt über Gebühr emittieren, den Ausstoß drastisch reduzieren - oder eben Emissionsrechte kaufen. Das würde auf einen massiven Mitteltransfer von den Ländern des Nordens nach Süden hinauslaufen. Das Geld wäre aber Ergebnis eines fairen Handels und nicht, wie die jetzige Entwicklungshilfe häufig, eine ineffiziente Gabe von Almosen.

Josef Zens: Der Klima-Chef der Vereinten Nationen, Yvo de Boer, spricht von Unsummen, die das kosten würde.

Prof. Dr. Schellnhuber: Er hat Recht, wir reden von zwei bis drei Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts, also von Billionen. Nur: Was ist die Alternative? Der Klimawandel ist in vollem Gange, und wir sollten tunlichst gegensteuern. Wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen, werden die Mehrkosten im Vergleich zum "Weiter-wie-bisher" minimal sein. Wir vom WBGU halten das 2-Grad-Ziel für operationalisierbar - das neue Gutachten weist den Weg. Nach diesem "Kohlenstoff-Kassensturz" kann es kein Verstecken mehr geben.

Josef Zens: Was meinen Sie damit?

Prof. Dr. Schellnhuber: Unsere Bilanzen sind Schlussfolgerungen aus einem breiten wissenschaftlich abgesicherten Konsens. Wer die 2-Grad-Leitplanke akzeptiert, der muss umgehend und ernsthaft mit der Dekarbonisierung beginnen.

Josef Zens: Das klingt nach politischem Zündstoff.

Prof. Dr. Schellnhuber: Unser Gutachten ist von enormer Brisanz, ich halte es für das wichtigste Papier des WBGU bislang.

Josef Zens: Wenn man sich allerdings die Gegenwart vor Augen führt, ist von einer beginnenden Dekarbonisierung nichts zu sehen. Nach der Ostsee-Pipeline kommt jetzt mit Nabucco eine weitere Erdgas-Leitung.

Prof. Dr. Schellnhuber: Das ist zukunftsblinder Aktionismus. Um eines kurzfristigen Vorteils willen - die fraglichen Gasvorräte reichen vielleicht noch 30, 40 Jahre - investiert man Milliarden in eine Technik, mit der wir zur Klimadestabilisierung beitragen. Dann schon lieber Wüstenstrom und zwar eher heute als morgen. Das halte ich für wirklich zukunftsfähig.

Josef Zens: Und die Abwrackprämie?

Prof. Dr. Schellnhuber: Da reicht das Wort "Kurzfristdenken" schon nicht mehr, das ist "Kürzestfristdenken"! Hier ging es natürlich um die Monate bis zur Bundestagswahl. Die Abwrackprämie ist sowohl ökonomisch als auch ökologisch verfehlt. Jetzt einen Großteil der Automobilflotte zu modernisieren, heißt auf die Technikfortschritte der nächsten Jahre zu verzichten. Die Verschrottung ist auch deshalb kontraproduktiv, weil sehr viel Energie und Rohstoffe in die Produktion der jetzigen Autos geflossen sind. Und die strukturellen Probleme der Autobauer löst die Prämie auch nicht. Ich denke, die Zukunft liegt ohnehin in der Elektromobilität.

Josef Zens: Aber wir werden nicht einfach einen Schalter umlegen und von der alten Kohlenstoff-Wirtschaft auf eine Solarstromwirtschaft umsteigen können.

Prof. Dr. Schellnhuber: Nein, aber wir können uns mit Übergangstechniken Zeit kaufen und sollten jetzt vor allem in intelligente Stromnetze, die "Super-Smart Grids", investieren.

Josef Zens: Was sind für Sie Übergangstechniken?

Prof. Dr. Schellnhuber: Hinreichend qualifizierte Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, zum Beispiel, und die zusätzlichen Gewinne in Erneuerbare Energien zu investieren. Eine weitere Option ist die CO2-Abscheidung aus Rauchgas, das so genannte CCS-Verfahren (Carbon Dioxide Capture and Storage). Kohle halte ich für eine akzeptable Option, wenn wir sie sauberer als bisher verbrennen. Die Industrieländer müssen entsprechende klimafreundliche Techniken entwickeln und sie dann Staaten wie Indien oder China, die auf Kohle angewiesen sind, zur Verfügung stellen.

Josef Zens: Vor der Konferenz in Kopenhagen: Überwiegt bei Ihnen Optimismus oder Pessimismus?

Prof. Dr. Schellnhuber: Ich bin eher optimistisch, denn die Stimmung in der internationalen Politik hat sich deutlich zu Gunsten des Klimaschutzes verbessert. Hierzu trägt die Regierung Obama ein gutes Stück bei. Die COP 15 wird aber wohl der Auftakt für viele weitere Verhandlungsrunden sein.

Josef Zens: Das haben Sie vor vielen Jahren auch zur Kyoto-Konferenz und dem Kyoto-Protokoll gesagt.

Prof. Dr. Schellnhuber: Kyoto war sehr wichtig für den Klimaschutz. Aber im Vergleich zu Kopenhagen war es nur ein Trainingslager für die Nachhaltigkeits-Weltmeisterschaft.

Josef Zens: Und die COP 15 ...

Prof. Dr. Schellnhuber: ... ist auch noch nicht das Finale. Aber ein entscheidendes Gruppenspiel.


Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, CBE, ist Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und berät die Bundeskanzlerin in Fragen des Klimawandels.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 3/2009, Seite 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2009