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UNO/110: Ablenkung von echtem Klimaschutz - REDD und Natural Climate Solutions (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2021

Ablenkung von echtem Klimaschutz
Wie REDD und Natural Climate Solutions zum Scheitern entworfen wurden

von Chris Lang
Aus dem Englischen von Ramona Bruck.


Die Lösung zum Aufhalten des Klimawandels ist einfach: Fossile Brennstoffe müssen im Boden bleiben. Aber dazu gab es auf der COP26, der UN-Klimakonferenz in Glasgow, kaum Fortschritte. Die tragische Realität ist, dass die 26 UN-Klimagipfel, die seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 stattgefunden haben, den Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre nicht eindämmen konnten. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 werden fossile Brennstoffe nicht einmal erwähnt.

Bei diesen UN-Treffen stellt sich ein seltsames Déjà-vu-Gefühl ein. 1995 bei der COP1, die in Berlin stattfand, blockierten Hunderte von Demonstrierenden die Türen und forderten, dass die Delegierten nicht gehen dürften, bevor sie nicht etwas Sinnvolles zur Lösung der Klimakrise erreicht hätten. "Kein Blabla mehr. Action now!", skandierten sie.

26 Jahre später, kurz vor Beginn der COP26, bezeichnete Greta Thunberg auf dem Youth4Climate-Gipfel die Klimaversprechen der Regierungen als Blabla: "Build back better. Bla, bla, bla. Grüne Wirtschaft. Bla, bla, bla. Netto-Null bis 2050. Bla, bla, bla. Das ist alles, was wir von unseren sogenannten Regierenden hören. Worte, die großartig klingen, aber bisher nicht zu Taten geführt haben. Unsere Hoffnungen und Ambitionen ertrinken in ihren leeren Versprechungen".[1]

Nicht alles, was auf den UN-Klimatreffen beschlossen wurde, sollte man als Worte abtun, denen keine Taten folgten. Wahr ist aber, dass die getroffenen Maßnahmen nur den Anschein erwecken, die Klimakrise zu lösen, in Wirklichkeit jedoch vermieden haben, das zu tun.

Kompensierung: ein gefährliches Ablenkungsmanöver

Das Kyoto-Protokoll war made in the USA. Nach seiner Vereinbarung auf der COP3 erklärte der damalige US-Präsident Bill Clinton, dass dieser Erfolg "das Engagement der USA widerspiegelt, die Instrumente des freien Marktes zu nutzen, um dieses Problem zu bewältigen. Wir haben bekommen, was wir wollten: die gemeinsame Umsetzung, den Emissionshandel und einen marktorientierten Ansatz."[2] Vor der Klimakonferenz von Kyoto wollte die EU die Treibhausgasemissionen bis 2010 um 15% senken und eine Emissionssteuer einführen. Al Gore, Hauptverhandlungsführer für die USA in Kyoto, und sein Verhandlungsteam, drückten das Ziel der EU für die Emissionsminderung auf 5,2%. Und sie argumentierten, dass es den reichen Ländern erlaubt sein sollte, ihre Minderungsleistungen von anderen Ländern zu kaufen.

Das US-Team drückte somit das gigantische Schlupfloch für den Kohlenstoffhandel in das Kyoto-Protokoll. Dieses Schlupfloch ermöglichte es z. B. Russland über den Joint Implementation Mechanismus riesige Mengen "heißer Luft" zu verkaufen. Das Land konnte dies tun, weil seine Emissionen drastisch zurückgegangen waren, als seine Industrie nach der Auflösung der UdSSR zusammenbrach. Gleichzeitig ermöglichte der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, CDM) Fabriken in Indien und China, durch den Verkauf von Emissionsgutschriften aus der Unschädlichmachung von HFC-23-Treibhausgasen Milliarden von Dollar zu verdienen. Ohne den CDM wären diese Gase nie hergestellt worden.[3] Ebenfalls führten CDM-Projekte zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen: Dazu gehören unter vielen anderen hochproblematischen CDM-Projekten der Alto-Maipo-Wasserkraftdamm in Chile, die Mülldeponie Bisasar Road in Südafrika, das Aguan-Biogasprojekt in Honduras und die industriellen Baumplantagen von Green Resources in Uganda.

Ein Bericht des Öko-Instituts aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Schluss, dass 85% der in dieser Analyse erfassten Projekte zwischen 2013-2020 wahrscheinlich keine zusätzlichen Emissionsreduktionen bewirken konnten und überschätzt wurden.[4] Wie Larry Lohmann von der britischen Organisation The Corner House anmerkt, "sind die Kohlenstoffmärkte [...] nicht dazu da, Emissionen zu reduzieren. Ihre Funktion [...] ist es, das Leben der fossilen Brennstoffwirtschaft und indirekt ein ausbeuterisches und ungleiches System des Extraktivismus und der Naturzerstörung zu verlängern. Deshalb werden sie von so vielen, von fossilen Brennstoffen abhängigen Konzernen und kapitalistischen Staaten unterstützt. Die Kohlenstoffmärkte haben mehr als 20 Jahre lang sehr gut mit einem katastrophalen Anstieg der Emissionen koexistiert."[5]

Montreal, COP11: Einstieg in REDD

Doch die Vermeidung von Entwaldung wurde aus drei Gründen aus dem Kyoto-Protokoll ausgeschlossen. Ein Grund war die Befürchtung, dass reiche Länder einfach Kohlenstoffkompensationen kaufen würden, um eine Reduzierung der Emissionen im eigenen Land zu vermeiden. Ein zweiter Grund ist die schlichte Tatsache, dass es eine riskante Strategie ist, sich auf den Schutz der Wälder zur Bewältigung der Klimakrise zu verlassen, denn Wälder können abbrennen. Außerdem stoppt die Verlangsamung der Abholzung durch den Schutz eines Waldgebiets nicht die Leckage, da die Waldzerstörer, z. B. Palmölkonzerne, die Waldzerstörung dann anderswo fortsetzen. Drittens lehnte Brasilien den internationalen Kohlenstoffhandel ab, damit reiche Länder künftige Entwicklungsmöglichkeiten im Amazonas-Regenwald nicht einschränken könnten.

Im Jahr 2005 wurde die Idee, die Emissionen aus der Abholzung zu reduzieren, von den Regierungen von Papua-Neuguinea und Costa Rica erneut in die UN-Klimaverhandlungen eingebracht. Zwei Jahre später in Bali startete die Weltbank ihre Forest Carbon Partnership Facility (FCPF). Ihr ultimatives Ziel sei es, "einen Waldkohlenstoffmarkt in Gang zu bringen", verkündete die Bank. Um nicht außen vor zu sein, riefen drei UN-Organisationen (die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, das UN-Entwicklungsprogramm UNDP und das UN-Umweltprogramm UNEP) das UN-REDD-Programm ins Leben.

Und Norwegen sprang mit NICFI (Norway's International Climate and Forest Initiative) auf den Zug auf. Der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg kündigte an, dass Norwegen jährlich 500 Millionen US-Dollar bereitstellen werde, um die Abholzung in den Entwicklungsländern zu verhindern. Es folgten jahrelange Verhandlungen auf UN-Ebene, die zum Warschauer Rahmen für REDD-plus führten, der auf der COP19 angenommen wurde.

14 Jahre nach der COP in Bali kann keine dieser Initiativen einen einzigen Hektar vermiedener Entwaldung als Ergebnis der Milliarden von Dollar vorweisen, die für REDD ausgegeben wurden. Zwar argumentiert Norwegen, dass die Verringerung der Entwaldung in Brasilien von 2004 bis 2012 irgendwie ein Ergebnis von REDD war, aber die überwiegende Mehrheit der Verringerungen fand statt, bevor irgendwelche REDD-Zahlungen an Brasilien geleistet wurden. Die erste Zahlung erfolgte im Jahr 2009. Seit 2012 hat die Entwaldung in Brasilien zugenommen, und in den zwei Jahren unter Präsident Jair Bolsonaro hat sich das Problem weiter verschärft.

Die Ärmsten der Armen zahlen für REDD

Wenn REDD-Projekte durchgeführt wurden, geschah dies viel zu oft auf Kosten der ärmsten Gemeinschaften der Welt. In Kambodscha ist es dem REDD-Projekt Oddar Meanchey nicht gelungen, die Entwaldung zu stoppen, und auch die lokalen Gemeinden haben nicht davon profitiert. Einem Bericht der Rights and Resources Initiative zufolge besteht die Gefahr, dass REDD den Lebensunterhalt der Menschen in der Provinz Mai Ndombe (Demokratischen Republik Kongo), in der ein massives REDD-Programm der Weltbank geplant ist, beeinträchtigt. Geld für REDD in Mai Ndombe zu investieren, würde den Landkonflikt nur verschärfen, heißt es in dem Bericht. Die weit verbreitete Korruption und die schlechte Regierungsführung machen die Sache nur noch schlimmer.

In Tansania stellten die norwegischen Wissenschaftler Hanne Svarstad und Tor A. Benjaminsen fest, dass das von Norwegen finanzierte Kondoa Irangi REDD-Projekt zu Belastungen für DorfbewohnerInnen geführt hat. Besonders Menschen, die in der Nähe des Waldes leben und kaum oder keinen Zugang zu anderen Waldgebieten haben und DorfbewohnerInnen mit kleinen Höfen oder ohne Ackerland waren stärker betroffen. Ebenfalls waren Frauen stärker betroffen als Männer, vor allem weil sie daran gehindert wurden, Brennholz zum Kochen zu sammeln.

Ein Bericht aus dem Jahr 2019 [6], der sich mit "tatsächlich existierenden" REDD-Projekten befasste, stellte eine Reihe von Problemen fest. Lokale Gemeinschaften waren "verwirrt" über REDD, Einnahmen wurden nicht erzielt, und es gab deutliche Hinweise darauf, dass REDD seine sozialen und ökologischen Ziele nicht erreicht. Die AutorInnen berichten, dass die ersten REDD+-Projekte vor großen Problemen stehen: Neben der schwachen Durchsetzung der nationalen Wald- und Landgesetze und Konflikten um Eigentumsrechte führte auch der mangelnde Schutz vor staatlicher Gewalt zu einer begrenzten Wirksamkeit.

Fossile Brennstoffe können nicht kohlenstoffneutral sein, und die Behauptung, die Emissionen seien durch den Kauf von Emissionsgutschriften ausgeglichen worden, ist reine Augenwischerei.

Zu groß zum Scheitern?

Trotz all dieser gut dokumentierten Probleme war REDD zu groß für die Regierungen, die Milliarden für REDD ausgegeben hatten, um ein Scheitern einzugestehen. Als Notlösung diente eine Reihe von Umbenennungen: Natürliche Klimalösungen (Natural climate solutions), Netto-Null, die LEAF-Koalition (Lowering Emissions by Accelerating Forest Finance) und die grüne Gigatonnen-Herausforderung.

Diese Umbenennungen haben zwei Dinge gemeinsam: Erstens sind sie alle Mechanismen für den Emissionshandel. Zweitens sind sie bei den großen UmweltverschmutzerInnen sehr beliebt, weil sie es ihnen ermöglichen, so weiterzumachen wie bisher. Eine Reihe von Öl- und Gaskonzernen, darunter Shell, BP, Total, Gazprom, Eni, Petronas, PetroChina und Occidental, haben kürzlich Lieferungen von "kohlenstoffneutralem" Flüssigerdgas angekündigt.

Fossile Brennstoffe können natürlich nicht kohlenstoffneutral sein, und die Behauptung, die Emissionen seien durch den Kauf von Emissionsgutschriften ausgeglichen worden, ist reine Augenwischerei. Klimaschwindel wie REDD und natürliche Klimalösungen existieren genau zu diesem Zweck. Sie ermöglichen es der fossilen Brennstoffindustrie, sich selbst grün zu waschen.

Der Autor ist ein Umweltaktivist mit einem MSc in Forst- und Landnutzung von der Universität Oxford. Seit 2008 betreibt er die Website REDD-Monitor.org.

Anmerkungen

[1] https://www.theguardian.com/environment/2021/sep/28/blahgreta-thunberg-leaders-climate-crisis-co2-emissions
[2] https://redd-monitor.org/2013/09/10/hot-air-and-carboncrooks-the-reality-of-carbon-trading/
[3] http://www.klimaretter.info/umwelt/hintergrund/6770weltbank-ethischer-bankrott-mit-hfc-23
[4] https://ec.europa.eu/clima/system/files/2017-04/clean_dev_mechanism_en.pdf
[5] https://redd-monitor.org/2020/10/22/interview-with-larrylohmann-the-corner-house-carbon-markets-do-not-need-to-befixed-they-need-to-be-eliminated/
[6] https://www.environmentandsociety.org/mml/learning-actuallyexisting-redd-synthesis-ethnographic-findings


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2021, Seite 24-27
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 17 75 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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