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ANBAU/159: Wieder weniger chemisch ackern (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 370 - Oktober 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wieder weniger chemisch ackern
Der Totalherbizidwirkstoff Glyphosat ist auch vor Kritik aus der Praxis nicht mehr sicher

von Claudia Schievelbein



Zurück zu vernünftigem Ackerbau ist eine Devise, die inzwischen in der Debatte um den Pestizidwirkstoff Glyphosat (enthalten z. B. im Pestizid Round up) in landwirtschaftlichen Kreisen Gewicht hat. Zwar bewegen gerade die breite Öffentlichkeit die in letzter Zeit häufiger auftauchenden kritischen Studien zu eventuellen Gesundheitsschäden des Wirkstoffes, verbunden mit der Erkenntnis, dass er sich überall in unserer Umwelt und in uns befindet. Viele konventionell wirtschaftende Bauern und Bäuerinnen stehen diesen Studien auch aufgrund der über Jahre von der Industrie genau anders erzählten Geschichte skeptisch gegenüber. Was aber durchaus kritisch wahrgenommen wird, ist der in den vergangenen Jahren immer schnellere und sorglosere Griff zum Glyphosat als billigem, bequemem Ackerbauinstrument. Dieser gipfelte in der Einführung und Bewerbung der sogenannten Vorerntesikkation, sprich dem Totspritzen von Getreide und Raps vor der Ernte. Zunächst als Notmaßnahme bei sehr unterschiedlich entwickelten Beständen gedacht, wurde es, auch in den Anzeigen in der Fachpresse, zum Zeit und Kosten sparenden Instrument der Erntesteuerung. Glyphosat ist damit nicht nur Steigbügelhalter der Gentechnik, sondern auch der einer Agrarstruktur, die aufgrund von Größe effizient und durchgeplant bis ins letzte Detail sein muss. Die Logik lautet: das Getreide ist reif, wenn es der Terminkalender des Lohnunternehmers zulässt, nicht die Witterungslage. "Mancher Große könnte das nicht so durchziehen ohne Glyphosat", sagt Siegfried Herbst, konventioneller Ackerbauer in Südniedersachsen. Sein Nachbar, Matthias Erler, spritzt wie Herbst Glyphosat zur Queckenbekämpfung auf Stoppeläcker und will das auch weiterhin tun können, wenn 2015 die Neuzulassung von Glyphosat auf der Agenda der EU steht. Allerdings hätte er es gerne, wenn die Anwendung gegen Problemunkräuter die einzige wäre, die die EU noch zulassen würde. "Lernt wieder vernünftig zu ackern", habe ihm schon vor ein paar Jahren ein Berater auf einer Veranstaltung zugerufen und er sehe das genauso, sagt Erler.


In die Defensive

Er steht damit längst nicht mehr allein, auch sein Berufskollege Andreas Heumer aus dem Münsterland sagt, mit "gutem Ackerbau" lasse sich beispielsweise die Sikkation grundsätzlich vermeiden. Gleichzeitig ärgert sich Heumer darüber, wenn die örtliche Presse skandalisiert, dass in einem fast reifen Getreidebestand einen Tag nach der Glyphosatspritzung das Mittel gefunden werde. Auch nach den vorgeschriebenen acht Tagen Wartezeit vor dem Drusch sei das Glyphosat doch nicht weg, kritisiert aber auch Niedersachse Erler die Sikkation. Er berichtet von einem Betrieb in Mecklenburg Vorpommern, der massive Fruchtbarkeitsprobleme in seiner Milchviehherde hatte, solange das verfütterte Stroh offensichtlich von mit Glyphosat totgespritzten Getreidebeständen stammte. Zwar ist das eine individuelle Erfahrung, aber sie deckt sich mit Untersuchungen von Tierärzten in den USA, die inzwischen ganz offiziell Zusammenhänge herstellen zwischen gesundheitlichen Problemen im Bereich Fruchtbarkeit bei Schweinen und Rindern und der Verfütterung von glyphosatbehandelten Futtermitteln. Und auch von der Uni Leipzig wurde zumindest konstatiert, dass alle 200 untersuchten konventionellen Milchkühe Glyphosat im Urin ausschieden, alle einen Mangel an bestimmten lebenswichtigen Spurenelementen und zum Teil Anzeichen für Organschädigungen aufwiesen. Die Kritik am Wirkstoff wird breiter und bezieht sich auch immer mehr auf das Zustandekommen der glyphosatfreundlichen Studien aus der Industrie. Dem, die Zulassung erteilenden, Institut für Risikobewertung werden zu offensichtliche Verflechtungen mit der Chemieindustrie vorgeworfen, Monsanto als Herstellerkonzern ist inzwischen eher in einer defensiven Position. Österreich und Dänemark haben die Anwendung von Glyphosat zur Sikkation verboten auch der grüne Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Alexander Bonde, betreibt eine entsprechende Initiative.


Höhepunkt überschritten

"Den Landwirten bleibt nur übrig, durch einen überlegten Einsatz des Wirkstoffes weniger Angriffsfläche als bisher zu bieten", empfiehlt der Chefredakteur der DLG-Nachrichten Thomas Preuße. Wenn der Einsatz weiter steige, erschwere man die Argumentation für die Wiederzulassung. Offenbar bedarf es einer Haltungsänderung gegenüber dem bequem-billigen Glyphosat. "Als ich meine Lehre gemacht hab, waren die Bauern noch stolz drauf, wenn sie kein Glyphosat brauchten, um den Acker sauber zu haben," sagt Matthias Erler. Erst die breite Propagierung vermeidlich bodenschonender, pflugloser Anbausysteme begründete die Erfolgsgeschichte des Totalherbizids. Die damit einhergehende arbeitswirtschaftliche Effizienz beförderte einmal mehr die Rationalisierungsvorteile größerer Betriebe und ließ die auch vorhandenen Nachteile in den Hintergrund treten. Langzeiteffekte wie ein verändertes Bodenleben, die Begünstigung von Problemorganismen wie Fusarien und Schnecken oder die einsetzende Ertragsdegression treten erst nach und nach zu Tage. Ein Umdenken scheint erst jetzt einzusetzen: "Der Höhepunkt ist überschritten", mutmaßt Niedersachse Erler. Beginnt tatsächlich der Stern des chemischen Allheilmittels gegen ackerbauliche Unzulänglichkeiten zu sinken? Noch sprechen 1 Mio. Tonnen auf der Welt eingesetzten Glyphosats eine deutliche Sprache, aber die der kritischen Stimmen immer häufiger auch. Und wenn sie von den Anwendern selbst kommen, entfalten sie sicherlich die größte Wirkung.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 370 - Oktober 2013, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013