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BIENEN/211: Das Verschwinden der Bienen (Securvital)


Securvital 4-2016 / Oktober - Dezember 2016
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Ernährung und Landwirtschaft

Das Verschwinden der Bienen

von Norbert Schnorbach


Zur Obst- und Gemüseernte tragen Hunderttausende von Bienenvölkern bei. Bange Frage: Geht das Bienensterben weiter? Gibt es ohne Bienen weniger Lebensmittel? Und was kann man dagegen tun? Anfang 2017 hat die Europäische Union eine brisante Entscheidung zu treffen - über die Zulassung von Pestiziden, die für Bienen und Hummeln verheerend sind.


Kleine Biene, große Wirkung. 4.000 Blüten kann eine Honigbiene an einem einzigen sonnigen Tag bestäuben. Sie sammelt Nektar und Pollen, befruchtet die Blüten mit Blütenstaub und sorgt damit für eine reiche Ernte. Bienen und Hummeln sind die fleißigsten Helfer von Obst- und Gemüsebauern. Zwei bis vier Milliarden Euro jährlich ist ihre Arbeit wert, gemessen an dem, was sie für die Obst und Gemüseernte allein in Deutschland jedes Jahr leisten. Das sind etwa 3.000 bis 6.000 Euro pro Bienenvolk. Mit dem Verkauf von Honig verdienen die Imker nur einen kleinen Bruchteil davon. Sie leisten mit der Bienenpflege einen enormen Dienst für die Allgemeinheit. Weltweit sind drei Viertel aller Nutz- und Nahrungspflanzen auf die Bestäubung durch die Bienen angewiesen, wenn die Ernte stimmen soll.

Aber diese Dienstleistung ist in Gefahr. Seit Jahren machen Nachrichten vom Bienensterben die Runde. Es nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Aus den USA wird berichtet, dass Hunderttausende von Bienenvölkern von Jahr zu Jahr verenden. Dass nicht alle Bienenvölker den Winter überleben, ist ein natürlicher Prozess. Aber auch in Deutschland liegt die Sterberate mit 20 bis 30 Prozent pro Jahr weit über dem früheren Durchschnitt. Im süddeutschen Oberrheingebiet starben vor einigen Jahren 80 Prozent aller Bienen durch chemische Insektengifte. In Chinas riesigen Obstanbaugebieten werden Apfelbäume von Menschenhand mit Pinseln und Wattestäbchen bestäubt, weil die Bienen verschwunden sind.

Enge Partnerschaft

Die Gefahr ist groß, dass die globale Leistung der Bienen für die Ernährung der Menschen zusammenbricht. So klein und unscheinbar die einzelne Biene sein mag: Sie ist weltweit gesehen das drittwichtigste Nutztier des Menschen nach Rind und Schwein. Wissenschaftler schätzen ihren Wert für die Landwirtschaft auf bis zu 600 Milliarden Euro jährlich, hat ein internationales Expertengremium vor einigen Monaten errechnet. Der UN-Weltrat für Biodiversität (IPBES) stellte im Frühjahr 2016 in einer weltweiten Bestandsaufnahme fest, dass ohne Bienen und Hummeln die Nahrungsversorgung der Menschheit in vielen Bereichen gefährdet wäre.

Seit Millionen von Jahren hat sich zwischen Blütenpflanzen und Insekten eine enge Partnerschaft zum wechselseitigen Nutzen herausgebildet. Die Pflanzen bieten Nektar und Pollen als Nahrung. Bienen, Hummeln und andere Insekten haben sich darauf spezialisiert und profitieren davon. Sie bestäuben im Vorüberkrabbeln die Blüten und tragen dazu bei, dass sich Früchte und Samen bilden und die Pflanzen sich vermehren können. Das gilt für 90 Prozent aller Blütenpflanzen auf der Erde.

Milben und Monokulturen

Diese Allianz zwischen Pflanzen und Bienen ist gefährdet, wenn die Insekten ausfallen. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Naturflächen verschwinden und Monokulturen prägen die Landwirtschaft. Immer mehr und immer wirksamere Pestizide dezimieren die Insekten. Und dann breiten sich auch noch Krankheiten global aus, die früher auf einzelne Gebiete beschränkt waren. Bei den Bienen ist das zum Beispiel die Varroa-Milbe - der Schrecken aller Imker. Seit über 30 Jahren befällt dieser Parasit immer mehr Bienenstöcke auf allen Kontinenten. Gesunde Bienen erkranken daran, der Nachwuchs wird geschwächt, ganze Bienenvölker gehen zugrunde.

Viele Imker sehen in der Varroa-Milbe die Hauptursache für das Bienensterben. Andere verweisen darauf, dass die industrialisierte Landwirtschaft den Bienen kaum noch Nahrung für das ganze Jahr bietet. Eintönige Mais-Landschaften sind kein Lebensraum für Wildbienen und Hummeln, sie verhungern und verschwinden. Seit einigen Jahren fällt der Verdacht auch auf eine neue Klasse von Pestiziden, sogenannte Neonicotinoide. Diese synthetischen Nikotin-Verbindungen wirken als Nervengift auf Insekten, tausend mal giftiger als das verbotene DDT. Bereits zwei Maiskörner, die damit gebeizt sind und in eine Wasserpfütze fallen, könnten für Bienen tödlich sein, sagt Walter Haefeker, Präsident des Europäischen Berufsimkerverbands.

Die neuen Insektengifte werden von der chemischen Industrie angepriesen und bringen Milliardenumsätze für Hersteller wie BASF, Bayer und Syngenta. Sie werden teils direkt auf die Pflanzen gespritzt, teils wird das Saatgut damit getränkt, um Schädlinge abzutöten.

Gifteinsatz erlaubt?

Einige dieser Gifte sind bis auf weiteres auf Feldern mit Bienenpflanzen verboten, andere dürfen nur stark eingeschränkt verwendet werden. Trotzdem fand die Umweltorganisation BUND vor kurzem bei einer Inhaltsanalyse Spuren von Neonicotinoiden in allen untersuchten deutschen Honigproben.

2017 steht eine politische Entscheidung für die weitere Zulassung von Neonicotinoiden an. Nach Presseberichten will das Landwirtschaftsministerium in Berlin das geltende Verbot durch allerlei Ausnahmeregelungen aufweichen. Frankreich dagegen will den Gifteinsatz weiter verbieten. Die Auseinandersetzung dürfte sich in den kommenden Monaten verschärfen.

Ähnlich wie beim umstrittenen Pflanzengift Glyphosat, das ebenfalls die Artenvielfalt bedroht, vermitteln deutsche und europäische Agrarpolitik den Eindruck, dass sie eher industrienahe Meinungen vertreten und das Vorsorgeprinzip des Verbraucherschutzes hintanstellen. Die Industrie drängt auf Freigabe ihrer umsatzträchtigen Produkte und argumentiert, ohne Pestizide gäbe es Ernteeinbußen. Kritische Wissenschaftler dagegen warnen vor den Neonicotinoiden. So hat Prof. Ignatz Wessler von der Universitätsmedizin Mainz kürzlich festgestellt, das sie schon in geringer Konzentration die Fortpflanzung der Bienen schädigen. Zu alarmierenden Ergebnissen kamen weitere Studien: Die umstrittenen Insektizide töten die Bienen nicht sofort, sondern wirken "subletal", d.h. sie schädigen ihr Erbgut, schwächen das Immunsystem und machen sie anfällig für Krankheiten oder stören das Orientierungsvermögen, sodass sie nicht zu ihrem Volk zurückfinden und verhungern.

"Bienen sind ein Gradmesser für eine intakte Umwelt"
Prof. Jürgen Tautz, Bienenforscher an der Universität Würzburg

Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Wissenschaftsjournal Nature zwei neue Studien, nach denen auch Vögel und Fische, insbesondere aber auch Wildbienen und Hummeln von den Neonicotinoiden bedroht sind. Für den Lebensmittelanbau ist das eine weitere Hiobsbotschaft. Denn so wie die Honigbienen leisten auch ihre wilden Verwandten wertvolle Dienste.

Neben den von den Imkern gehegten und gezüchteten Honigbienen (Apis mellifera) gibt es allein in Deutschland mehrere hundert wilde Bienenarten. Sie leben teils in kleinen Völkern in Erd- oder Baumhöhlen, teils sogar einzeln als Solitärbienen. Sie tragen erheblich zur Bestäubung und damit zur Ernte von Äpfeln, Kirschen, Gurken, Kürbissen und vielen anderen Gemüsen und Salaten bei. Umweltverbände wie NABU, BUND, Greenpeace und das "Netzwerk Blühende Landschaften" fordern deshalb, dem Bienenschutz in der Landwirtschaft insgesamt höhere Priorität zu geben.

Lebender Organismus

Auch die Verbraucher können dazu beitragen. "Bio-Lebensmittel kaufen", rät Christiane Huxdorff von Greenpeace, "denn diese werden ohne chemisch-synthetische Pestizide produziert". Wer einen Garten hat, kann auf Pestizide verzichten und den Insekten statt eintönigem Rasen mehr Vielfalt in Form von Naturwiese und bienenfreundlichen Pflanzen bieten.

"Bienen sind ein Gradmesser für eine intakte Umwelt", sagt Prof. Jürgen Tautz von der Universität Würzburg. Er erforscht die Bienen seit vielen Jahren und ist fasziniert von ihren Fähigkeiten und ihrem hoch organisierten Sozialleben. Ihre Kommunikation untereinander durch Tänze, Berührungen und Duftmarkierungen sei noch lange nicht vollständig erforscht. Ihre Fähigkeiten als Baumeister von exakt sechseckigen Wabenstrukturen mit einem Maximum an Festigkeit und einem Minimum an Materialaufwand sei inspirierend für technische Konstruktionen. Und die soziale Organisation eines Bienenvolkes ist einzigartig: mit einer Königin und Zehntausenden von Arbeiterinnen, die vielfältige Aufgaben erfüllen - beim Sammeln von Nektar und Pollen, als Wächterinnen, bei der Brutpflege, beim Bau von Honigwaben und als Kundschafterinnen, wenn ein Bienenvolk ausschwärmt. Diese Zusammenarbeit erfolgt so reibungslos, dass die Bienenkolonie wie ein einziger lebender Organismus wirkt. Sie gehören nach den Worten des Bienenforschers Tautz "zu den erstaunlichsten Geschöpfen der Erde."

Honig als Medizin

Honig in heißer Milch oder im Tee gilt als traditionelles Hausmittel bei Erkältungen und Halsschmerzen. Außerdem ist seine heilende Wirkung bei Wunden schon seit der Antike bekannt. Zur Zeit der Pharaonen strich man in Ägypten bei Verwundungen, Ausschlag und Verbrennungen Honig auf die Haut, berichten ägyptische Schriften. In neuerer Zeit hat die medizinische Wissenschaft die antibakterielle, entzündungshemmende Wirkung des Honigs untersucht. In Australien und Neuseeland sowie in einigen deutschen Kliniken wird "medizinischer Honig", der mit Gammastrahlen vorbehandelt ist, bei Hautverletzungen angewendet. Mit Erfolg: Er wirkt in manchen Fällen besser als moderne Antibiotika, stellte die Bonner Universitätsklinik fest.


Weitere Infos
  • DVDs:
  • More than Honey (Dokumentation, 90 Min., 2014)
  • Bienen - Himmelsvolk in Gefahr (55 Min., 2014)
  • Bücher:
  • Jürgen Tautz: Phänomen Honigbiene (278 Seiten, Berlin/Heidelberg 2012)
  • Kerstin Eitner, Katja Morgenthaler: Die Biene - eine Liebeserklärung (152 Seiten, Greenpeace Media 2015)
  • Randolf Menzel, Matthias Eckoldt: Die Intelligenz der Bienen (368 Seiten, München 2016)
  • Internet:
  • Mellifera (Verein für ökologische Bienenhaltung):
  • www.mellifera.de
  • Hobos (Bienenforschung an der Universität Würzburg):
  • www.hobos.de
  • BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland):
  • www.bund.net/honigbiene

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Ohne Bienenbestäubung würde die Apfelernte schrumpfen - auf die Hälfte oder noch weniger
  • Umweltschützer protestieren gegen "Bienenkiller"-Pestizide
  • Mangels Bienen bestäubt eine chinesische Bäuerin ihre Obstbäume von Hand
  • Vom Ei zur Arbeitsbiene: Forscher untersuchen das Wachstum in den Waben
  • Soziale Organisation im Bienenstaat: Zusammenarbeit und Kommunikation

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Quelle:
Securvital 4/2016 - Oktober - Dezember 2016, Seite 6-10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Oktober 2016

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