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ERNÄHRUNG/087: Tierische Produkte - Wir leben über unsere Verhältnisse (Böll Thema)


Böll THEMA - Ausgabe 2/2010
Das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung
Landwirtschaft und Klimawandel

«Wir zahlen bereits - ohne es zu bemerken»

Über tatsächliche Kosten, wahre Preise und die Bedingungen für eine konkurrenzfähige nachhaltige Landwirtschaft


Milch, Käse, Hühnerbrust und Schweinekotelett - wir leben über unsere Verhältnisse, merken es aber meist nicht. Denn die tierischen Produkte im Discounter sind nur scheinbar billig - durch Mehrfachsubventionierung und durch Verlagerung der Kosten in die Zukunft und oft auch in die Entwicklungsländer. Zu diesen verdeckten (im Fachjargon: externalisierten) Kosten gehört die Verschmutzung von Böden, Gewässern und Grundwasser mit Antibiotikarückständen aus der Massentierhaltung und mit Pestiziden für den Futteranbau in Monokultur. Doch diese Schäden schlagen sich in den Produktpreisen heute ebensowenig nieder wie die Klimafolgen durch (Über)Düngung mit synthetischen Stickstoffverbindungen. Für die Reinigung des Brauchwassers von Rückständen zahlt jeder Bürger Geld direkt an die Wasserwerke. Doch eigentlich müssten diese Kosten auf die Preise von Putenkeulen, Schweineschnitzeln, Hühnerschenkeln aufgeschlagen bzw. deren Produzenten abverlangt werden, die das Wasser verdrecken und vergiften.

Für die industrielle Produktion unserer Lebensmittel beanspruchen wir immer mehr Bodenfläche im außereuropäischen Ausland. Denn damit Hühner in 32 Tagen und Schweine in weniger als sechs Monaten schlachtreif sind, müssen sie extrem intensiv gefüttert werden. Der Eiweißanteil - meist aus Soja - stammt überwiegend aus Schwellen- und Entwicklungsländern.

Wir - die Länder der Europäischen Union - verbrauchen also weit mehr Ressourcen, als wir selbst haben. Dafür werden in anderen Weltregionen (Regen)Wälder abgeholzt. Die Landbevölkerung der betroffenen Regionen leidet unter der ökologischen und sozialen Erosion und muss die direkten Auswirkungen des Klimawandels fürchten.

Doch indirekt zahlen auch wir bereits und treiben damit die desaströse Entwicklung weiter an - mit unseren Steuergeldern. Denn die Industrieländer fördern die intensive Tierhaltung durch direkte und indirekte Subventionen. So werden die Importe begünstigt, die unsere inländische Überproduktion überhaupt erst ermöglichen.

Vor dem Hintergrund dieser Zusammenhänge und Tendenzen zieht der Weltagrarrat das zwingende Fazit: «Wir können nicht so weitermachen wie bisher!» Damit nachhaltige Landwirtschaft auf Dauer eine Chance hat, müssen zwei Bedingungen erfüllt werden:

Nach dem Verursacherprinzip müssen die Verantwortlichen für ökologische und soziale Schäden haften, so dass sich die tatsächlichen Kosten in den wahren Preisen niederschlagen: Man spricht dabei von einer Internalisierung der Kosten.
Wo die Hersteller landwirtschaftlicher Güter Entwicklungen fördern, die dem Tier-, Natur- und Verbraucherschutz und letztlich dem Gemeinwohl zugutekommen, müssen sie dafür bezahlt werden.

Ist es nicht absurd, dass wir heute für Milch und Fleisch von artgerecht gehaltenen Rindern mehr bezahlen müssen, als wenn sie dauerhaft in Ställen leben und ein Teil des Futters aus Übersee stammt? Nicht die Weidenutzung, sondern ressourcen- und energieverbrauchende Haltungssysteme, Graslandumbruch und die Abholzung von Regenwald schädigen das Klima. Zudem macht erst die Sojafütterung Rinder zu Nahrungskonkurrenten der Menschen.

Mangelnde Wahrnehmung und Ignoranz entwerten zunehmend die Leistungen der Ökosysteme für die Qualität der Böden, der Gewässer, der Luft und der biologischen Vielfalt.

Häufig ersetzt intensiver Maisanbau Grasland, welches das Potenzial hat, mehr Kohlenstoff - und somit den lebensnotwendigen Humus - im Boden zu speichern, als jede andere landwirtschaftliche Bewirtschaftung.

Multifunktionalität ist das Stichwort, unter welchem die vielen Funktionen der Landwirtschaft wie etwa der Erhalt landschaftlicher Schönheit, die Bereitstellung von Erholungsmöglichkeiten und die Förderung von Gesundheit zusammengefasst werden. Entgegen der in Europa verbreiteten Einschätzung ist die Honorierung dieser sogenannten Ökosystemdienstleistungen kein Luxus, sondern eine Voraussetzung für unser Überleben.


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Quelle:
Böll THEMA - Ausgabe 2/2010, Seite 24-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010