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FORSCHUNG/212: Kampf dem Virus - Wie Modellierer Tausende Schweine retten wollen (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2009

Kampf dem Virus


Der globale Wandel greift in vielen Bereichen - auch an unerwarteten Stellen: Plötzlich verläuft eine Tierseuche wie die Schweinepest nicht mehr nach klassischen Gesetzen. Welche Rolle spielen Klimawandel und Bioenergieproduktion? Mit innovativen Methoden der Risikobewertung fügen die ökologischen Modellierer des UFZ Puzzleteile zusammen und unterstützen aktuell die EU-Politik bei der Entwicklung neuer Handlungsvorschriften.

Kampf dem Virus

Wie Modellierer Tausende Schweine retten wollen.


Noch ahnen die drolligen Frischlinge im Schutz ihrer Mutter nicht, welche Gefahren in ihrem Leben auf sie lauern werden. Eine davon ist die Klassische Schweinepest - ein Virus, das bei Wildschweinen zu tödlichem Fieber führen kann. Obwohl die Seuche schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist, gibt es immer noch keine Medizin dagegen. Oft wird die Schweinpest mit dem Sensenmann verglichen, weil sie die Tiere reihenweise niedermäht. Hat die Krankheit erst einmal im Bestand der Schwarzkittel gewildert, geht ihr schnell der Atem aus, so die gängige Lehrmeinung. In letzter Zeit haben allerdings europäische Forscher vermehrt beobachtet, dass die Krankheit immer öfter nicht mehr von allein zum Erliegen kommt, sondern in zyklischen Wellen kommt und geht.

Unter Wissenschaftlern entstanden schnell die verschiedensten Hypothesen, wie es der Erreger schafft, sich nicht selbst auszurotten, sondern fortzubestehen - in der Fachsprache Persistenz genannt. Die Frage nach der richtigen unter den Persistenzhypothesen infizierte auch die Modellierer vom UFZ: Die Ergebnisse ihrer Computerexperimente, bei denen mal die eine, mal die andere erklärende Theorie simuliert wurde, brachten Licht ins Dunkel. Im Fachblatt OIKOS beschrieben die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Bergen einen bisher übersehenen Zusammenhang: Nicht die Dichte der Wildschweine oder die Ansteckungsgeschwindigkeit sind entscheidend für das Überleben des Virus in einer Population, sondern die Variabilität der Krankheitsverläufe beim einzelnen Tier. Es ist bekannt, dass eine Infektion mit der Schweinepest beim einzelnen Wildschwein schnell zum Tod, zu einem längeren Dahinkränkeln oder sogar zur Wiedergenesung mit anschließender Immunität führen kann. Die Studie der theoretischen Ökologen zeigt nun, dass der Cocktail aus den individuellen Verlaufsformen darüber entscheidet, ob ein Seuchenzug sich selbst auslöscht oder persistent verläuft.


Gutes Klima für den Virus?

Der Barmixer für diesen Cocktail könnte sich hinter veränderten Landnutzungskonzepten verbergen oder sogar klimabedingt sein. In der Landwirtschaft werden zunehmend Bioenergiepflanzen wie Mais angebaut. Kalte, schneereiche Winter, die dafür sorgen könnten, dass geschwächte Tiere auf natürliche Weise nicht überleben, werden seltener. Beide makroökologischen Prozesse verbessern die Lebensbedingungen der Wildschweine. Ein Wildschwein in guter Kondition kann aber der Erkrankung besser widerstehen. Dadurch entstehen mehr milde individuelle Infektionsverläufe, die nach den Erkenntnissen der Forscher im richtigen Anteil gemixt, die Persistenz der Krankheit ermöglichen. Diese spannende ökologische Dynamik hat unmittelbare Auswirkungen im Alltag, führt sie doch zur dauerhaften Anwesenheit des Virus in der Wildschweinpopulation einer Region. Und damit entsteht ein dauerhaftes Risiko für die ansässigen Schweinehalter. Einmal vom Wildschwein in den Hausschweinebestand gelangt, kann die Seuche richtig teuer werden. Daher gehört sie zu den am meisten gefürchteten Infektionen bei Haustieren.


Impfen statt schlachten

Bisher gilt die Regel: Werden in einem Hausschweinebestand Antikörper gegen das Virus gefunden, dann müssen der gesamte Bestand und alle Hausschweine im Umkreis von 1000 Metern getötet werden. Eine Vorsichtsmaßnahme mit großen ökonomischen Folgen: Bei einem Ausbruch der Schweinepest wurden in den Niederlanden 1997/98 eine Million Schweine getötet, weil sie sich im Seuchengebiet befanden, und weitere elf Millionen, weil sie aufgrund vorbeugender Handelsbeschränkungen nicht mehr verkauft werden konnten. Wenn es möglich wäre, umliegende Tierbestände bei einem Seuchenausbruch zu impfen, dann gäbe es eine ethische und wirtschaftliche Alternative zur massenhaften Tötung. Der entscheidende Schritt in diese Richtung wurde unter Federführung des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) gegangen. Durch die Initiative des Bundesinstituts für Tiergesundheit steht nun ein hochwirksamer Impfstoff für einen Notfalleinsatz bereit. "Zukünftige Ausbrüche könnten so regelrecht 'eingefroren' werden, indem man die Umgebung von infizierten Betrieben durchimpft" beschreibt Dr. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am FLI, die visionären Pläne.

Das Problem: Auch geimpfte Tiere bilden Antikörper aus und müssten nach den zurzeit geltenden EU-Richtlinien geschlachtet werden. Als Ausweg werden von den Virologen genetisch markierte Impfstoffe entwickelt. Alternative Bekämpfungskonzepte werden denkbar, bei denen nur noch Tierbestände getötet werden, in denen das Virus selber gefunden wird oder Antikörper, die nicht von einer Impfung mit markiertem Impfstoff herrühren. Ob solche Strategien tatsächlich funktionieren können, interessiert auch die Europäische Kommission. Im Rahmen einer von der Behörde beauftragten Studie haben die Forscher des Helmholtz-Zentrums mit hochrangigen internationalen Experten zusammengearbeitet und mit Modellsimulationen die Chancen und Risiken eines solchen Strategiewechsels ausgelotet. Die Ergebnisse sind vielversprechend und gerade publiziert worden. Auf dem steinigen Weg bis zur Änderung der noch gültigen EU-Direktive startet 2009 ein Forschungsgroßprojekt, an dem 17 Partner beteiligt sind und das die EU mit rund 3 Millionen Euro unterstützt. Ziel der Forscher ist es, genetisch markierte Impfstoffe zur Marktreife zu führen. Dazu soll die passende Bekämpfungsstrategie mit dem Werkzeug der UFZ-Modellierer ermittelt und in akuten Seuchengebieten Europas überprüft werden. In diesem Rahmen erhalten die Modellierer des UFZ endlich auch die finanziellen Mittel, um dem Problem persistenter Seuchenzüge beim Wildschwein zu Leibe zu rücken. Denn bei den Schwarzkitteln wirkt der existierende Impfstoff ebenso gut. "Das ist wie bei einem Haus, in dem zwar verschiedene Familien wohnen, aber alle unter der gleichen Hausnummer zu erreichen sind", erklärt Dr. Hans-Hermann Thulke vom UFZ, der mit seinen Kollegen die virtuellen Seuchen unter wissenschaftliche Obhut genommen hat. Allerdings muss die Impfung den Schwarzen anstatt mit der Nadel in leckeren Köderhüllen verabreicht werden. In Deutschland und Frankreich werden bereits Impfköder in landesweiten Feldversuchen ausgelegt. Reichen die angewandten Strategien aus, um die Ausbreitung der Seuche in Wildpopulationen einzudämmen? Wie kann das Verfahren mit Blick auf das gerade gefundene Wissen über den Cocktail aus individuellen Krankheitsverläufen verbessert werden? Die Modellierer und Kooperationspartner aus der Bundesbehörde hoffen, gemeinsam in den nächsten Jahren Antworten auf diese Fragen zu finden. Hans Hermann Thulke


UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Hans Hermann Thulke
Department Ökologische Systemanalyse
Telefon: 0341/235-1712
E-mail: hans.thulke@ufz.de

mehr Informationen:
www.ufz.de/index.php?de=3896
www.fli.bund.de/175.html


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Gelangt die Klassische Schweinepest in Hausschweinbestände, kann die für den Menschen ungefährliche Seuche große wirtschaftliche Schäden verursachen.


• SCHWEINEPESTFÄLLE IN DER VORDERPFALZ

Beispielhafte Ausschnitte aus dem Schweinepestverlauf in der Vorderpfalz zwischen 1998 und 2003. Die rot umrandete Region zeigt ein auf und ab der Erkrankungen. Neueinträge sind ausgeschlossen. Das heißt, die Seuchenzahlen waren zwischenzeitlich unter die statistische Nachweisgrenze gefallen. Außerdem ist der räumliche Bezug von Ausbrüchen beim Hausschwein (rot) zum Geschehen in der Wildschweinpopulation (blau) zu sehen.
Quelle: FLI-Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für Epidemiologie, Wusterhausen


WISSENSWERTES

Die Klassische Schweinepest (KSP) ist eine für den Menschen ungefährliche Tierseuche, die ausschließlich Schweine (Sus scrofa) befällt. Die Übertragbarkeit zwischen Wild- und Hausschweinen verursacht große wirtschaftliche Schäden. Die Europäische Union versucht bereits seit den 70er Jahren, die Seuche auszurotten. Das gelang nicht, weil die Schweinpest in Wildschweinpopulationen überleben kann. Fälle von Wildschweinpest werden ganz aktuell aus Nordrhein-Westfalen gemeldet. Infizierte Schweine geben das Virus durch Sekret weiter. Schlammsuhlen oder direkter Körperkontakt tragen zur Ausbreitung bei. Einzelne Tiere können das Virus sogar bis zu 120 Tage ausscheiden. Über Hunde, Jäger oder Futter kann der Erreger in Hausschweinbestände eingeschleppt werden.

• Schweinepestfälle in Gesamtdeutschland ab 2003 (Stand 23.01.09; seit 2003 werden infizierte Wildschweinpopulationen großflächig beimpft). infolge des Ausbruchs beim Hausschwein 2006 mussten 121.000 Schweine gemäß EU-Vorgaben getötet und entsorgt werden
(Quellen: J. Teufert, P. Kranz, FLI-Friedrich-Loeffler-Institut, Wusterhausen)


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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2009, S. 1-3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009