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FORSCHUNG/459: Pflanzenabwehr - Zuckerwettstreit im Maisfeld (idw)


Max-Planck-Institut für chemische Ökologie - 25.09.2014

Zuckerwettstreit im Maisfeld



Viele Getreidearten und Gräser binden Zucker an ihre Abwehrstoffe, sogenannte Benzoxazinoide, und schützen sich so davor, von ihren eigenen Pflanzenschutzmitteln vergiftet zu werden. Sobald aber ein Insekt die Pflanze anknabbert, spaltet ein Enzym aus der Pflanze den Zucker ab und aktiviert das Gift. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben nun entschlüsselt, warum diese Pflanzenabwehr bei Raupen der Gattung Spodoptera versagt. Die Eulenfalterraupen binden das Zuckermolekül verkehrt herum an den Abwehrstoff von Maispflanzen und machen das Insektengift so unschädlich.

Pflanzen und Insekten speichern Zuckerverbindungen als Energievorräte. Zucker können jedoch auch Teil eines tödlichen Wettkampfs zwischen der Pflanze und ihrem Schädling werden, wie Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena jetzt herausgefunden haben. Viele Getreidearten und Gräser binden Zucker an ihre Abwehrstoffe, sogenannte Benzoxazinoide, und schützen sich so davor, von ihren eigenen Pflanzenschutzmitteln vergiftet zu werden. Sobald aber ein Insekt die Pflanze anknabbert, spaltet ein Enzym aus der Pflanze den Zucker ab und aktiviert das Gift. Die Max-Planck-Wissenschaftler haben nun entschlüsselt, warum diese Pflanzenabwehr bei Raupen der Gattung Spodoptera versagt. Die Forscher fanden im Kot der Insektenlarven, die als Maisschädlinge erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen, Moleküle der ursprünglichen pflanzlichen Verbindung, die sich lediglich durch eine räumlich anders angebundene Zuckergruppe unterscheiden. Im Gegensatz zum Pflanzenabwehrstoff kann die neue Verbindung nicht mehr enzymatisch in ein Gift umgewandelt werden. Die verkehrte Wieder-Anbindung des Zuckers stellt somit eine sehr einfache, aber effektive Entgiftungsstrategie dar, mit deren Hilfe Eulenfalterraupen als Landwirtschaftsschädlinge so erfolgreich werden konnten. (Angewandte Chemie - International Edition, September 2014, doi: 10.1002/ange.201406643).

Viele Pflanzen verteidigen sich gegen Insektenfraß, indem sie Gifte oder Abwehrstoffe produzieren. Allerdings haben sich viele Insekten an die pflanzliche Verteidigung angepasst und können sich ungehindert an vermeintlich giftigen Pflanzenblättern gütlich tun. Die Überwindung der Pflanzenabwehr kann darin bestehen, dass die schädlichen Stoffe aus der Pflanzennahrung vom Insekt rasch ausgeschieden, im Gewebe eingelagert oder entgiftet werden. Durch solche Anpassungen ist im Laufe der Evolution nicht nur die enorme Insektenvielfalt entstanden, es haben sich auch viele, auf bestimmte Pflanzen spezialisierte Schädlingsarten entwickelt, die jedes Jahr unsere landwirtschaftliche Produktion gefährden.

Als weltweit großflächig angebautes Getreide wird Mais von vielen Schädlingen bedroht, darunter auch Raupen der Gattung Spodoptera. In Nord-und Südamerika ist der Heerwurm Spodoptera frugiperda ein wichtiger Maisschädling, der beträchtlichen Schaden verursacht. Mais wehrt sich wie viele andere Gräser und Getreide mit Chemie. Die Blätter junger Maispflanzen enthalten große Mengen eines Benzoxazinoids namens (2R )-DIMBOA-Glycosid. Die Pflanzen produzieren zusätzlich ein Enzym, das im Raupendarm aktiv wird und dort das DIMBOA-Glycosid spaltet und den Zucker freisetzt. Das freie DIMBOA-Molekül, das bei der Spaltung entsteht, hat auf viele Schädlinge eine toxische Wirkung: Die Schädlinge sterben oder hören auf zu wachsen. Der Heerwurm ist jedoch immun gegen dieses Gift.

Forscher um Daniel Giddings Vassão und Jonathan Gershenzon aus der Abteilung Biochemie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie sind jetzt einer bisher unbekannten Entgiftungsstrategie dieser Schädlinge auf die Schliche gekommen. Raupen des Heerwurms und zweier weiterer Spodoptera-Arten haben in ihrem Darm ein Enzym, das die Wiederanbindung des Zuckers an das giftige DIMBOA-Molekül katalysiert. Um eine erneute Abspaltung auszuschließen, wird der Zuckerrest allerdings umgedreht gebunden. Dies fanden die Wissenschaftler bei der chemischen Analyse von Raupenkot heraus. Modernste und hochsensible Verfahren der Massenspektrometrie und Kernresonanzspektroskopie ergaben, dass das Benzoxazinoid aus dem Raupenkot nicht mehr der Substanz aus den Maisblättern entsprach und es sich vielmehr um eine Art Spiegelbild handelt (nunmehr (2S)-DIMBOA-Glycosid genannt).

"Wir waren überrascht, dass der Unterschied lediglich in der geänderten dreidimensionalen Anbindung der Zuckergruppe besteht. Entscheidend ist dabei, dass das pflanzliche Enzym den Zucker nicht mehr abspalten kann und somit das giftige DIMBOA auch nicht mehr zum Einsatz kommt. Die Eleganz dieses Mechanismus besteht in seiner Einfachheit, aber er schützt die Raupen davor, vergiftet zu werden", fasst Felipe Wouters, der als Doktorand am Institut die Untersuchungen durchgeführt hat, die Ergebnisse zusammen. Wie sein Kollege Daniel Giddings Vassão kommt er aus Brasilien, wo der Heerwurm vor dem Anbau von Bt-Mais große Teile der Maisernte vernichtete. Wie die Nachrichtenagentur Reuters diesen Sommer berichtete, beobachten brasilianische Farmer jedoch eine zunehmende Resistenz des Schädlings gegenüber Bt, ein Grund mehr, das Verständnis ihrer natürlichen Anpassungs-mechanismen an die pflanzliche Abwehr zu vertiefen. "Wenn wir mehr darüber erfahren, wie ein Darm-Enzym aus dem Heerwurm einen so gefährlichen Schädling gemacht hat, können wir dieses Wissen vielleicht zu unserem Vorteil einsetzen, indem wir beispielsweise das Enzym deaktivieren und die natürliche Maisabwehr vollständig wiederherstellen", meint Daniel Giddings Vassão.

Pflanzen-Insekten-Wechselwirkungen beinhalten sehr komplexe und dynamische Stoffwechselprozesse. Bei der Analyse und Identifizierung von chemischen Verbindungen, die dabei eine Rolle spielen, wird die dreidimensionale Anordnung der Moleküle oft übersehen. "Dabei birgt die räumliche Struktur der Verbindungen hier den Schlüssel zum Erfolg", betont Jonathan Gershenzon, Direktor der Abteilung Biochemie. "Wir Menschen können von diesen Insekten eine ganze Menge über das chemische Konzept der Chiralität lernen, nämlich dass eine Verbindung und ihr Spiegelbild völlig unterschiedliche biologische Wirkungen haben, obwohl ihre Atome an denselben Stellen miteinander verbunden sind". Der Begriff "Chiralität" wird vom griechischen Wort für Hand abgeleitet und bezieht sich auf die Entsprechung des Prinzips in der Anatomie, nämlich der spiegelbildlichen Anordnung der rechten und der linken Hand. Einen traurigen Bekanntheitsgrad erlangte die unterschiedliche Wirkungsweise von Spiegelmolekülen durch die katastrophalen Folgen des Beruhigungsmittels Contergan zu Beginn der 60er Jahre: Der Wirkstoff Thalidomid lag in diesem Medikament in zwei Versionen vor, als (S)- sowie als (R)-Thalidomid. Wissenschaftler gingen bei der Klärung der fatalen Wirkung davon aus, dass nach Einnahme durch schwangere Frauen nur das (S)-Thalidomid Missbildungen bei Ungeborenen auslöste, während das (R)-Thalidomid die gewünschte beruhigende Wirkung hatte.

Die Wissenschaftler wollen jetzt die Enzyme und die beteiligten Gene identifizieren, die für den Entgiftungsprozess in Spodoptera-Raupen verantwortlich sind. Darüber hinaus werden sie nach ähnlichen Enzymen in verwandten Arten suchen und diese miteinander vergleichen. DIMBOA ist nur eine Verbindung aus einer Vielzahl toxischer Benzoxazinoide, die in Gräsern zu finden sind. Ziel der Forschung ist ein umfassendes Bild des Benzoxazinoid-Stoffwechsels in Insekten, das dazu beitragen soll, bessere Strategien zu entwickeln, um Ernteschädlinge in Schach zu halten. [AO]

Originalveröffentlichung:
Wouters, F.C., Reichelt, M., Glauser, G., Bauer, E., Erb, M., Gershenzon, J., Vassão, D.G. (in press). Reglucosylation of the benzoxazinoid DIMBOA with inversion of stereochemical configuration is a detoxification strategy in lepidopteran herbivores. Angewandte Chemie - International Edition. DOI: 10.1002/anie.201406643
http://dx.doi.org/10.1002/ange.201406643

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.ice.mpg.de/ext/1166.html?&L=1

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
http://idw-online.de/de/news605037
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1258

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Angela Overmeyer, 25.09.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2014