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GENTECHNIK/637: Feldbefreiung - Interview mit Christiana Schuler von "Gendreck weg" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 148 - Februar/März 09
Die Berliner Umweltzeitung

Einschüchtern lassen, das geht nicht!

Interview mit Christiana Schuler von "Gendreck weg"


Im April 2008 wurde in Sachsen-Anhalt ein Versuchsfeld für Genweizen zerstört (siehe RABE RALF Juni/Juli 08). Das Feld befand sich auf dem Gelände des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, das auch eine Genbank beherbergt. Dort wird das Saatgut von mehr als 60.000 Getreidesorten gelagert und auch regelmäßig ausgesät. Diese Saaten liefen durch den Versuch Gefahr, kontaminiert zu werden - ein uraltes Erbe wäre zerstört worden. Angesichts dieses Risikos beschlossen sechs Aktivisten der Gruppe "Gendreck weg" zu handeln. Sie gingen mit Rübenhacken gegen die genmanipulierten Weizenpflänzchen vor und "befreiten" das Feld.

Jetzt beginnt der Prozess gegen die freiwilligen Feldbefreier von "Gendreck weg". DER RABE RALF traf sich in diesem Zusammenhang erneut mit Christiana Schuler, Mitglied der Gruppe, zu einem Interview. Sie ist zuständig für die Pressearbeit rund um die Gaterslebener Feldbefreiung.

Christiana, nun folgen auf die mutige Aktion rechtliche Konsequenzen. Wann ist der erste Prozesstag und wie lautet die Anklage?

Der Prozess beginnt voraussichtlich am 26. Februar in Magdeburg, kann aber auch noch verschoben werden. Es handelt sich um ein Zivilverfahren, das IPK ist der Kläger. Das Institut erhebt eine Schadensersatzforderung über 170.000 Euro. Später wird dann noch ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch folgen.

Ein Gerichtsprozess kann im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden. Was wollt ihr erreichen?

Wir haben die Feldbefreiung durchgeführt, um den in der Genbank gelagerten Schatz zu retten. Das IPK ist der Meinung, dass es mit den in der Genbank gelagerten Samen willkürlich umgehen kann. Dabei handelt es sich hier um ein Archiv, das im öffentlichen Auftrag und Interesse besteht, und es verwaltet nicht Privateigentum, sondern Kulturgut. Das IPK hat kein Recht, mit diesem Erbe verantwortungslos umzugehen. Diesen Aspekt wollen wir während des Prozesses unterstreichen.

Außerdem ist es uns wichtig zu betonen, dass sowohl die Zulassungsbehörde als auch das IPK selbst das hohe Risiko des Versuchs eingestanden haben. Die Kontaminierung anderer Weizenpflanzen konnte nicht ausgeschlossen werden, doch die Freisetzung des manipulierten Weizens wurde trotzdem gestartet. Wir wollen diese Fahrlässigkeit anprangern und den Prozess zu einer öffentlichen Anklage gegen die Gentechnikindustrie werden lassen.

Werdet ihr der Schadensersatzforderung nachkommen?

170.000 Euro sind für uns eine unerreichbare Summe. Die Angeklagten werden sich also für zahlungsunfähig erklären. Doch selbst wenn wir das Geld zur Verfügung hätten, würden wir nicht zahlen wollen: schließlich käme das der Finanzierung neuer Versuche entgegen.

Bisher fielen Verurteilungen von Feldbesetzungs- und -befreiungsaktivisten eher milde aus. Doch derzeit wird vor dem Gießener Amtsgericht ein Exempel statuiert: Zwei Feldbefreier wurden zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Macht euch diese neue Taktik Angst?

Ja, tut sie. Wir wissen nicht, ob die Justiz noch weitere Abschreckungsprozesse geplant hat. Doch gegen ungerechte Repressionen hilft nur eine Solidaritätskampagne im großen Maßstab. Schließlich handelten die sechs Angeklagten nicht bloß im eigenen Interesse, sondern stellvertretend für breite Teile der Bevölkerung. Einschüchtern lassen, das geht nicht! Deshalb brauchen wir Unterstützung.

Bisher arbeitet ihr sehr transparent. Auf eurer Internetseite stellen sich einige der Feldbefreier mit Namen und Gesicht vor und nennen ihre Gründe für die Aktion. Werdet ihr auch nach dem Prozess an dieser Taktik festhalten?

Wir als freiwillige Feldbefreier werden auch weiterhin mit unseren Gesichtern und Persönlichkeiten arbeiten. Wir verstecken uns nicht in der Anonymität, und dieses Aktionskonzept hat sich bewährt. Unser Mitbegründer Michael Grolm wurde 2008 für sein Engagement bei "Gendreck weg" mit dem taz Panter-Preis für HeldInnen des Alltags ausgezeichnet. So etwas ist nur durch Offenheit möglich.

Wird sich an dem bisher starken Rückhalt in der Bevölkerung etwas verändern, wenn die Prozesse anlaufen und ihr mehr oder weniger kriminalisiert werdet?

Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Unterstützung gerade während laufender Verfahren besonders stark ist. Das ist allerdings auch nötig, denn wir sind auf moralische und finanzielle Hilfe angewiesen: für die Anwälte, die Revision, Fahrtkosten und Organisation. Die schwere Last, die wir mit der Feldbefreiung und den rechtlichen Konsequenzen auf uns genommen haben, muss auf möglichst viele Schultern verteilt werden.

Da kommt noch ein großes Stück Arbeit auf euch zu. Wenn du heute nach Gatersleben schaust, hat es sich dann gelohnt?

Die Feldbefreiung im April letzten Jahres war auf jeden Fall ein Riesenerfolg. Das IPK wird laut eigener Angabe in Gatersleben keine weiteren Versuche mehr durchführen, dafür fehlen nach unserer Aktion die Geldgeber. Auch darüber hinaus war 2008 ein erfolgreiches Jahr für Gentechnikgegner, doch darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Es gibt an viel zu vielen anderen Orten nach wie vor Versuche mit genetisch manipulierten Pflanzen, eine breite Antigentechnikbewegung ist so nötig wie zuvor.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg beim Prozess! Verrätst du uns zum Schluss, was der geneigte Leser tun kann, um euch zu unterstützen?

Dieser RABE RALF-Ausgabe liegt eine Solidaritäts-Postkarte bei. Die auszufüllen und an uns zu schicken, wäre schon mal ein großer Schritt für uns, der nicht mit viel Aufwand verbunden ist. Ansonsten freuen wir uns natürlich über Spenden, die es uns zum Beispiel ermöglichen, bei Verurteilung in Berufung zu gehen oder gute Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Und zum Prozessauftakt wollen wir vor Ort demonstrieren, um die Angeklagten unsere Unterstützung fühlen zu lassen. Zeit und Ort dafür werden auf unserer Internetseite www.gendreck-weg.de bekannt gegeben.

Das Interview führte Marlis Heyer.

www.gendreck-weg.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 148, Februar/März 09, S. 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009