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GENTECHNIK/790: Glyphosat und Roundup - weiterhin in der Diskussion (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Glyphosat und Roundup - weiterhin in der Diskussion
Neue Untersuchungen zeigen, dass die Pestizide die Embryonalentwicklung stören und zu Geburtsfehlern führen

Von Marta Mertens


Die Meldungen über negative gesundheitliche Effekte von Glyphosat, dem Wirkstoff des Breitbandherbizids Roundup, häufen sich. Sie kommen in erster Linie aus Argentinien, einem Land, in dem auf 19 Millionen Hektar (entspricht über 50 Prozent der Ackerfläche), die gentechnisch veränderte, so genannte RoundupReady (RR)-Sojabohne, die gegen Glyphosat resistent ist, angebaut wird. 200 Millionen Liter glyphosathaltige Mittel werden pro Jahr dort ausgebracht - häufig aus der Luft. Der Sprühnebel gelangt dabei nicht nur auf die RR-Sojaflächen, sondern wird in einem größeren Umfeld verteilt. Flächen, Pflanzen und Tiere von Kleinbauern sowie Gewässer werden so mit glyphosathaltigen Herbiziden belastet, die Menschen atmen die Mittel ein.


Gestörte Embryonalentwicklung

Seit längerem gibt es Berichte über gesundheitliche Probleme der Landbevölkerung in den betroffenen Gebieten. So wurden vermehrt Tot- und Fehlgeburten und Missbildungen bei Neugeborenen beobachtet. Auch die Krebsraten sollen sich erhöht haben. Wissenschaftliche Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Professor Andrés Carrasco an der Medizinischen Fakultät der Universität Buenos Aires stellten nun einen Zusammenhang zwischen diesen Beobachtungen und der Einwirkung von Glyphosat her. Professor Carrasco und sein Team behandelten Frosch- und Hühnereier mit unterschiedlichen Konzentrationen von Glyphosat und verfolgten die Embryonalentwicklung mit molekularbiologischen Methoden. Selbst bei Konzentrationen, die 1/5000 eines kommerziellen glyphosathaltigen Herbizids entsprachen, beobachteten sie massive Störungen der Embryonalentwicklung von Kaulquappen und Küken (Paganelli et al. 2010). Die Missbildungen betrafen vor allem den Kopfbereich und das Nervensystem.

Die Forscher analysierten die mögliche Wirkungsweise von Glyphosat bzw. Roundup und fanden, dass das Herbizid eine für die normale Entwicklung von Wirbeltieren wichtige Signalkette stört und die Aktivität entscheidender Gene beeinträchtigt. Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass ein Überschuss an Retinolsäure (ein Abkömmling von Vitamin A) zu charakteristischen Störungen der Embryonalentwicklung bei Versuchstieren und beim Menschen führt, die sich besonders im Kopf- und Hirnbereich auswirken. Wie Carrasco und sein Team zeigen konnten, stieg in den mit Glyphosat behandelten Embryonen die Retinolsäure-Aktivität stark an. Von einem kausalen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Behandlung und Geburtsfehlern ist demzufolge auszugehen, zumal Glyphosat die menschliche Plazenta überwinden kann.

Insbesondere in Argentinien werden nun Forderungen nach einem Verbot von Glyphosat laut, denn wie Professor Carrasco auf der Konferenz der gentechnikfreien Regionen vom 16. bis 18. September 2010 in Brüssel und Gent ausführte, stieg die Anzahl der Krebserkrankungen in Anbauregionen von RR-Soja um 300 Prozent und die von Missbildungen gar um 400 Prozent.


Argentinien diskutiert ein Verbot

Auch Fehlgeburten treten offenbar gehäuft auf. Die molekularen Mechanismen der. Wirkung von Glyphosat sind zwar noch nicht im Detail bekannt, doch gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass das Mittel unter anderem die Zellteilung stört, den Zelltod herbeiführt und den Hormonhaushalt beeinträchtigt. Zudem steht Glyphosat im Verdacht, bestimmte Krebserkrankungen wie das Non-Hodgkin-Lymphom (Krebserkrankung des lymphatischen Systems) zu fördern und die Entstehung von Hauttumoren zu begünstigen.


Kein nachhaltiger Sojaanbau

Die sich immer weiter verdichtenden Belege für toxische Effekte von glyphosathaltigen Herbiziden werden in einer neuen wissenschaftlichen Studie zur RR-Soja zusammengetragen (Antoniou et al. 2010). Die Studie beleuchtet auch die negativen ökologischen und sozio-ökonomischen Wirkungen des RR-Sojaanbaus, einschließlich der Versuche durch die Industrie, Wissenschaftler, die auf die Risiken des Anbaus von Gentech-Pflanzen und des Einsatzes von Glyphosat hinweisen, zu behindern. Die Autoren der Studie kommen zum Schluss, dass der Anbau von RR-Soja weder nachhaltig noch verantwortungsbewusst ist. Dies steht im Gegensatz zu den Darstellungen des Round Table on Responsible Soy (RTRS, Runder Tisch zum verantwortungsbewussten Sojaanbau), der von der einschlägigen Industrie mit Unterstützung des WWF 2005 ins Leben gerufen wurde. Laut WWF sollen über das RTRS-System der Regenwald und weitere besonders wertvolle Naturschutzflächen davor bewahrt werden, dem Sojaanbau zum Opfer zu fallen. Aus Industriesicht dürfte Ziel des Unterfangens sein, das stark angekratzte Image der gentechnisch veränderten RR-Soja zu verbessern, um die enormen Sojaimporte in kritische Märkte wie die EU nicht zu gefährden. Geplant ist, ab dem nächsten Jahr entsprechend gekennzeichnete, auch gentechnisch veränderte Sojaprodukte auf den (europäischen) Markt zu bringen.

Umweltverbände wie Friends of the Earth und Global Forest Coalition haben sich mit Verweis auf die gesundheitlichen, ökologischen und sozioökonomischen Risiken des RR-Systems gegen dieses RTRS Label als irreführend gewandt und sprechen von Greenwashing".


Marta Mertens
studierte Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und am Reed College in Portland, Oregon (USA). Seit mehreren Jahren ist sie freiberuflich tätig als Gutachterin und Referentin im Bereich Biotechnologie - mit dem Schwerpunkt Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion.

Quellen:
Antoniou, M., Brack, P., Carrasco, A., Fagan, J., Habib, M., Kageyama, P., Leifert, C., Nodari, R.O., Pengue, W. 2010. GM soy. Sustainable? Responsible? Deutsche Lang- und Kurzfassung:
http://www.gmwatch.eu/images/pdf/gmsoy_sust_respons_summary_ger_v2.pdf.
http://www.gmwatch.eu/images/pdf/gmsoy_sust_respons_summary_ger_v9.pdf.

Paganelli, A., Gnazzo, V., Acosta, H., López, S.L., Carrasco, A.E. 2010. Glyphosate-based herbicides produce teratogenic effects on vertebrates by impairing retinoic acid signaling. Chem. Res. Toxicol. doi 10.1021/tx1001749.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2011