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AGRARINDUSTRIE/052: Wiesenhof, Massentierhaltung & eine Gesellschaft, die nichts sehen will (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 164 - Oktober/November 2011
Die Berliner Umweltzeitung

IM RABENBLICK
"Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt"
Wiesenhof, Massentierhaltung und eine Gesellschaft, die Bescheid weiß, aber trotzdem nichts sehen will

von Johanna Thiel


Eine weite grüne Wiese übersäht mit Hühnern, die rumflattern oder sich zufrieden im Sand baden. Bauern, die nur das Beste für ihre Tiere wollen- einen Bezug zu ihrer Arbeit und dem Land haben. So sollte es sein. Doch idyllische Szenarien wie diese werden leider immer seltener. In Deutschland aber auch anderswo auf der Welt.

Stattdessen: Eine nicht enden wollende Anzahl an zerrupft aussehenden Hühnern, auf ihrem eigenen Mist stehend. Das Atmen fällt ihnen schwer in der stickigen dunklen Halle. Panisch versuchen sie sich zu bewegen, doch vor zu viel Gewicht können manche nicht mal das meistern. Besonders fallen dabei jene auf, die sich gar nicht mehr regen: Tote Tiere, teilweise schon festgetreten in den Boden. Später sieht man, dass dies keine Einzelfälle sein können. Riesige Container voll mit Kadavern und Maden sind stattdessen die Regel, und täglich kommen Dutzende hinzu. Besonders bestürzend wird es, als ein paar Menschen ihren Auftritt haben. Genau genommen sind es Männer in weißen Schutzanzügen, die Hühner durch die Gegend schleudern, treten und töten. Kranke Tiere sollen sie aussortieren "von ihrem Leid befreien", gehen dabei allerdings ganz offensichtlich nicht konform mit dem Tierschutzgesetz vor. Die Schreie der Vögel treffen einen ins Herz.

Die hier beschriebenen Aufnahmen sind in der Reportage "Das System Wiesenhof", die am 31. August in der ARD ausgestrahlt wurde, zu finden.


Blick in die Geschichte

Wirft man einen kurzen Blick auf die Geschichte, die die Massentierhaltung zu verzeichnen hat, so muss man ihn erst in Richtung USA schwenken. Dort nämlich nahm die Intensivtierhaltung - wie man auch sagen kann - ihren Anfang. Allerdings handelte es sich dabei nicht primär um eine teuflische neue Idee der Industriellen, die vollkommen aus dem Nichts auftauchte und die man nur widerwillig annahm.

Es waren vielmehr McDonald's und die Fast-Food-Bewegung und dabei vor allem natürlich die neuen "Delikatessenliebhaber", die in den 50er-Jahren die Nachfrage nach dauerhaft verfügbarem billigen Fleisch drastisch ankurbelten und damit aus einem einstigen Luxusgut Alltagsnahrung machten. Die Haltung von Tieren im großen Stil war also nur eine marktwirtschaftlich logische Antwort, um den Forderungen der Konsumenten gerecht zu werden. Logisch scheint da ebenfalls, dass auch hier, wie in jeder Industrie, das Prinzip der stetig wachsenden Kostenminimierung und gleichzeitigen Ertragssteigerung greift. Nur, dass hier eben Lebewesen die "Ware" sind.

Paul-Heinz Wesjohann, Inhaber der PHW-Gruppe und damit auch der Firma Wiesenhof, war mit seinem Bruder zusammen der Vorreiter in Sachen Massentierhaltung und brachte sie in den 60er-beziehungsweise 70er-Jahren nach Deutschland. Die Grundprinzipien aus den Vereinigten Staaten übernahm man einfach: riesige Hallen, viele Tiere, zu wenig Platz, kein Tageslicht, Schlachten im Akkord und über den vielen "kleinen" Mastbetrieben ein großer Konzern, dem alles gehört und der alles steuert. So ließ und lässt sich viel Geld mit Tierhaltung verdienen und jene, die am meisten davon bekommen, müssen sich nicht einmal mehr die Hände schmutzig machen.

Natürlich kann man sagen, dass Konzerne wie Wiesenhof belangt werden sollten für das, was sie tun. Tierquälerei, Umweltverschmutzung, mangelnde Hygiene, Lohndumping; um nur ein paar Aspekte zu nennen. Tatsächlich sind die meisten Menschen auch tendenziell gegen Massentierhaltung und könnten selbst niemals einem Tier solch schlimme Dinge antun, wie es der oben beschriebene sogenannte "Impftrupp" tut. Wenn es dann allerdings um den Preis geht, blenden die meisten das Tier und dessen Leid hinter dem "Produkt" aus oder sagen dann eben doch "Es ist ja nur ein Tier" während sie ihre Katze am Kopf kraulen. Hier ist man fast schon am Kern angelangt. Es handelt sich nämlich im höchsten Grade, wenn auch nicht nur, um ein gesellschaftliches Problem.

Wir leben in einem Land, in dem man alles sofort, überall und jederzeit günstig verfügbar haben will. So auch die Nahrung, die wir zu uns nehmen und folglich auch sämtliche tierische Produkte. Hier stellt sich die Frage: Wie soll man, wenn nicht auf industriellem Wege, diesen hohen Ansprüchen gerecht werden? Wenn man möchte, dass etwas dauernd verfügbar ist bis kurz vor Ladenschluss, dann muss die Industrie, ohne sie in Schutz nehmen zu wollen, erst recht auf Pump oder Verdacht produzieren. Ökologisch könnte das niemals sein. Das heißt leider auch, dass abartigerweise viele Tiere ihr ganzes Leben in einem dunklen Stall stehen und leiden, um dann auch noch in der Tonne zu landen, nur weil die Allgemeinheit dauernd essen will.


Änderung in den Köpfen notwendig

Die Schlussfolgerung, die man ziehen muss: Wenn sich ernst- und dauerhaft etwas an der Tierhaltung und Produktion tierischer Erzeugnisse ändern soll, muss sich auch in den Köpfen der Menschen etwas ändern. Die Leute müssen bereit sein, mehr für einen Hähnchenschenkel oder Käse zu bezahlen und damit aber auch in Kauf nehmen, dass sie nicht mehr jeden Tag ein Fleischgericht verspeisen können (was ohnehin nicht sonderlich gesund ist). Es muss wieder ein Bezug zu dem entstehen, was wir essen und die Tatsache, dass wir genug haben, darf nicht als Selbstverständlichkeit abgetan werden.

Natürlich fällt es schwer, zu dieser Einstellung zu kommen, wenn überall bunte Bilder einem eine fertige Mahlzeit für wenig Geld anbieten und Alternativen durchaus komplizierter und zeitaufwändiger scheinen. Deshalb aber so zu tun, als hätte man keine anderen Möglichkeiten, ist nicht zukunftsfähig: Der hohe Fleischkonsum hat ja eben nicht nur Negativfolgen für die Tiere, sondern auch in hohem Maße für die Umwelt. Gen-Soja- und Mais-Anbau in Brasilien, zu viele rülpsende Kühe und Grundwasserverseuchung sind nur einige Aspekte. Sicherlich kann man aber nicht alle Schuld beim Konsumenten suchen. In der Agrarpolitik lief und läuft vieles falsch. Subventionen verleiten zur umweltschädlichen Überproduktion, Exporten in "Länder der dritten Welt" und der stetigen Vergrößerung sowie Industrialisierung des eigenen Betriebes.


Ökolandbau stärker fördern

Die EU sollte ökologischen Landbau, das Zusammenschließen kleiner Höfe zu Genossenschaften und den Vertrieb von lokalen Produkten mehr fördern und gleichzeitig andere sinnlose Agrar-Subventionen runterschrauben. So würden einerseits die Konsumenten wieder mehr Bezug zur Nahrung und ihrer Herkunft bekommen und andererseits die Integrität der Bauern wiederhergestellt. Die Landwirtschaft darf nicht länger in den Händen jener sein, die rein gar keinen Bezug zu ihr haben. Eine weitere Möglichkeit ist eine Ausweitung des Tierschutzgesetzes und die hundertprozentige Ahndung von Vergehen gegen dieses. Dies würde zusätzlich ein Zeichen setzen und Nicht-Bio-Unternehmen zu nachhaltigerer Produktion zwingen.

Ein abschließender Appell an alle Fleischliebhaber: Weniger ist manchmal mehr! Durch eine Reduzierung des eigenen Konsums kann man schon viel bewegen. Probieren Sie es aus, es wird nicht nur Ihnen gut tun.

Reportage "Das System Wiesenhof"
www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=8068044


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Platz für die Hühner! Foto: www.es-press.de
Begutachtung eines Artgenossen bei Wiesenhof Foto: PETA


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 164 - Oktober/Novembers 2011, S. 3
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2011